
Oliver Launer war sich sicher. Bonfire, das würde ein Knüller. Diese Band würde den Bassumern das Rocken schon beibringen. Launer ist ja früher schließlich selbst nach Bremen ins Aladin gefahren, um die Musiker zu sehen, die zu ihrer Glanzzeit hinter den Scorpions eine der größten Nummern im deutschen Hardrock waren. Bonfire-Videos liefen Ende der 80er, Anfang der 90er auf MTV rauf und runter, Bonfire-Platten und CDs gingen hundertausendfach über die Ladentheke. Und nun, an diesem Abend im vergangenen September, sowas: „35 Leute“, sagt Launer, „35 Leute in dieser großen Halle.“
Oliver Launer ist Konzertveranstalter, und für Konzertveranstalter ist es der größte Albtraum, eine Band engagiert zu haben, die fast niemand sehen will. Heute kann Launer über das Bonfire-Fiasko schmunzeln, aber damals war die erste Enttäuschung groß. Wenigstens hielt sich der finanzielle Schaden in Grenzen. Denn zu Launers Glück hatte ein paar Wochen vorher Michael Patrick Kelly, der „Paddy“ aus der Kelly-Familie, 3300 Menschen nach Bassum gelockt. Das war Rekord für Launer. Am Ende des Jahres konnte er deshalb einen Strich ziehen und feststellen: Nochmal gut gegangen, er war plus/minus null aus dem Konzertjahr 2018 herausgekommen.
Launer muss – vielleicht mehr als professionelle Agenturen – auf solide Zahlen achten, denn er macht das Ganze seit drei Jahren als „ambitioniertes Hobby“. Bei ihm reißt ein Flop gleich eine Lücke in den Etat. Die großen Veranstalter mit 100, 200 oder mehr Events pro Jahr können den einen oder anderen Ausfall leichter verkraften.
Oliver Launer, 52, ist ausgezogen, Kultur aufs Land zu bringen. Neun Veranstaltungen sind es 2019 in Bassum, sieben davon Open Air. Es kommen jedes Jahr mehr Menschen. Launer lebt seit vielen Jahren mit Frau und drei Kindern in Bremen. Er arbeitet hier als Fischereireferent für den Wirtschaftssenator, ist aber gebürtiger Bassumer. Sein Aha-Erlebnis hatte der begeisterte Konzertgänger 2006 im Weserstadion.
Depeche Mode standen oben auf der Bühne, Launer hatte ordentlich Geld für die Tickets ausgegeben, 80 Euro sollen es pro Karte gewesen sein, und dann musste er erleben, dass der Sound mies war und die Band ihren Set bestenfalls routiniert runterspielte. So jedenfalls hat Launer das damals empfunden und seitdem keine große Lust mehr auf überdimensionierte Konzertereignisse. Er wurde erst Fan der Music Hall in Worpswede und hatte dann, nach einem Auftritt von Johannes Oerding eben dort, die Idee: „Den hole ich nach Bassum, jetzt mach’ ich mal was für meine Heimatstadt.“
Ihn hat das immer geärgert, dass draußen, fernab der größeren Städte, so wenig los war. Dabei kann das funktionieren: Pop-Kultur auf dem Land. Wer würde heute Wacken kennen, wenn nicht ein paar Heavy-Metal-Fans 1990 ihr eigenes Festival dort aufgezogen hätten? Und Scheeßel: Das Hurricane-Festival ist der beste Werbeträger für die kleine Gemeinde. Das Reload-Festival in Sulingen schließlich bringt 12 000 Fans auf die Beine.
Das Bassum-Open-Air, so heißt Launers Konzertreihe, zu etablieren, war harte Arbeit. Beim Start geholfen hatte die Tatsache, dass die Agentur von Johannes Oerding ohne großes Zögern zusagte. Aber weil Launer ein Kind der 70er- und 80er-Jahre ist, wollte er sich gleich noch einen Wunsch dazu erfüllen und verpflichtete auch Albert Hammond. Albert wer? Genau das war die Frage, die Launer hier und da auch gestellt wurde. „Ich konnte es kaum glauben“, sagt er, „da verkauft einer 360 Millionen Platten, hat Hits, und dann kennt man ihn nicht.“
Launer hat die Erfahrung gemacht, dass der eigene Geschmack, der gar nicht so ausgefallen ist, trotzdem nicht automatisch massentauglich sein muss, und dass andersherum Dinge passieren, die er nie für möglich gehalten hätte. Zum Beispiel als er nach Oerding und Hammond ein Jahr später Howard Carpendale nach Bassum holte. Kaum war „Howie“, wie ihn seine vornehmlich weiblichen Fans nennen, auf der Bühne, wäre die versammelte Security beinahe unter die Räder gekommen, so nahe wollte die entfesselte Menge ihrem Liebling kommen.
Mit der Zeit hat Launer, der immer noch ein Ein-Mann-Unternehmen ist, aber treue Helfer hat, viel über sein Publikum gelernt. Er weiß inzwischen, was hier draußen auf dem Land gut ankommt und was nicht. Das Gastspiel von Ingo Appelt zum Beispiel wird mit ziemlicher Sicherheit einmalig bleiben, „als Typ gigantisch“, sagt Launer, aber vom Programm her, Launer überlegt kurz, bevor er weiterspricht, vom Programm her „sehr speziell“. Nur 180 Leute wollten Appelt in Bassum beim zotigen Kalauern zusehen. Vorher in Städten wie Mainz, Kiel oder Flensburg und hinterher in Karlsruhe oder Mannheim zog Appelt mehr Leute. Eine sichere Bank ist dagegen Bernd Stelter, ein anderer aus dem Comedy-Fach. „Er ist kompatibel“, sagt Launer. Stelter kommt nach seinem Debüt 2017 Ende dieses Jahres zum zweiten Mal nach Bassum.
Launer sagt, dass er im Laufe der Jahre Lehrgeld gezahlt, aber dass er daraus auch die richtigen Schlüsse gezogen habe. Da nur zehn bis 15 Prozent aller Karten von Menschen gekauft werden, die in Bassum und den umliegenden Städten wie Twistringen, Syke oder Sulingen zu Hause sind, denkt er lieber groß als klein. „Du musst überregional ausgerichtet sein“, sagt er. Deshalb holt er gern Bands, von denen jeder schon gehört hat: Saga, John Lees Barclay James Harvest und Manfred Manns Earth Band.
Und, das hat er auch gelernt, manchmal muss man gewisse Dinge einfach hinnehmen. 900 Leute waren vor zwei Jahren bei Carpendale in Bassum, Launer fand das okay, wundert sich aber bis heute, dass die Fans zu Carpendale-Konzerten in Hamburg oder Hannover busseweise von auswärts anreisen und für ein Ticket auch noch mehr bezahlen als bei ihm. Der Anziehungskraft von Großstädten können sich Konzertbesucher offenbar nur schwer entziehen.
Dabei hat der Kulturstandort Bassum ein echtes Schätzchen zu bieten. Launers Konzerte finden vornehmlich an der Freudenburg statt. Das ist eine mittelalterliche Burgruine, malerisch gelegen am Ortsrand. Die Künstler wissen, auf was sie sich einlassen: eine Konzertmuschel im Grünen, 80 Quadratmeter Platz auf der Bühne. Da muss manch einer beim Equipment und den Showeffekten abspecken, „aber das tun die meisten gerne“, sagt Launer. Er beschreibt das Konzerterlebnis Freudenburg so: „Der maximale Abstand zur Bühne ist 35 Meter, selbst derjenige, der erst fünf Minuten vor Konzertbeginn kommt, ist noch nahe dran. Bei uns sieht der Zuschauer den Schweiß auf der Stirn des Künstlers.“ Man merkt: Launer kann auch gut verkaufen.
Nur folgerichtig, dass er die Termine für 2019 aus dem Effeff nennen kann: Oerding zum zweiten Mal, Ben Zucker, Klaus Lage, Schandmaul, Sasha und noch ein paar mehr. Ein bisschen experimentiert hat Launer auch diesmal wieder: Er hat eine Udo-Jürgens-Show im Programm und macht erstmals in Klassik. Die Italienische Operngala mit der Klassischen Philharmonie Nordwest stellt er sich ein bisschen wie Sommer in Lesmona vor, mit Kaffee und Kuchen im Garten zwischen blühenden Blumen. 2020 soll es dann auch wieder richtig krachen. Launer tut gerade alles dafür, die US-Altrocker Foreigner zu verpflichten. Das ist, genau wie Bonfire, seine Musik. Aber diesmal, davon ist er überzeugt, trifft er damit auch den Geschmack der Masse.