
Niels Högel hat weitere der ihm vorgeworfenen Taten gestanden. Der ehemalige Krankenpfleger, der wegen hundert-fachen Mordes angeklagt ist, räumte am Dienstag vor dem Oldenburger Landgericht ein, zehn weitere Patienten zu Tode gespritzt zu haben. Nach 82 besprochenen Fällen hat Högel nun 35 Morde explizit zugegeben. Beim vierten Verhandlungstag im großen Festsaal der Weser-Ems-Halle belastete er auch seine ehemaligen Kollegen am Klinikum Delmenhorst indirekt.
„Man hat gesehen, dass ich etwas injiziere und unmittelbar danach tritt eine Reanimationssituation ein“, sagte Högel, „da hätte man sich schon fragen können oder sogar müssen, ob es da einen Zusammenhang gibt.“ Auf der Intensivstation des Delmenhorster Klinikums habe er zunehmend versucht, die Patienten auch dann in eine lebensbedrohliche Situation zu spritzen, wenn andere Pfleger unmittelbar in der Nähe gewesen seien, sagte Högel. Es sei „ein Austesten“ gewesen, „ein Grenzen erweitern“. Ein größeres Risiko einzugehen, das habe ihn herausgefordert. „Ich wollte erwischt werden“, sagte Högel, „aber es passierte nicht.“
Damals, im Sommer 2003, sei er bereits abgestumpft gewesen, benebelt von Alkohol und Schmerzmitteln, eine Zeit wie „im Tunnel“. Er habe diese Phase auf der Delmenhorster Intensivstation nur noch „sehr verschleiert“ wahrgenommen. „Wieso ich so mutiert bin, kann ich nur vermuten“, sagte Högel. „Ich war einfach nicht in der Lage, aufzuhören.“
An viele der 32 Fälle, die am Dienstag besprochen wurden, konnte sich Högel nicht erinnern. Nur einmal schloss er aus, für die Tat verantwortlich zu sein. Im Fall Adnan T. betonte der ehemalige Pfleger mehrfach, nicht manipuliert, dem Patienten keine tödlichen Medikamente gespritzt zu haben. Nachträglich konnte bei Adnan T., der am 15. Juni 2004 im Klinikum verstarb und in der Türkei beigesetzt wurde, Lidocain nachgewiesen werden – allerdings in der Haarwurzel. Ob das Mittel nicht schon deutlich vor dem Tod verabreicht wurde, lasse sich deshalb nicht eindeutig feststellen, sagte der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann. Högel stritt nun ab, etwas mit dem Fall zu tun haben. Er erinnere sich an den Patienten, an dessen Verband am Auge, den Beistand der Familie im Krankenhaus. Der Fall Adnan T. ist einer von insgesamt bislang fünf Morden, die Högel bestreitet.
Vor dem Verfahren hat Högel, der bereits für sechs Taten zu lebenslanger Haft verurteilt ist, einen Laptop in die Zelle gestellt bekommen. Die Patientenakten, Arztbriefe und Kontrollkurven sollen ihm helfen, sich an die Morde zu erinnern. Bei den zehn Fällen, die er am Dienstag gestand, waren es aber nicht nur die Krankheitsverläufe seiner Patienten, die Högel laut eigener Aussage dabei halfen, sich die Taten ins Gedächtnis zu rufen.
Er erzählte von einem ostfriesischen Vornamen eines Patienten, den er sich gemerkt habe. Von einer Brokkolitorte, die eine Pflegerin mitgebracht habe. Von einem Patientennamen, der ihn an den ersten Todesfall erinnere, den er während seiner Ausbildung in Wilhelmshaven erlebt hatte. Und von der komplizierten Geburt seiner Tochter im Juli 2004.
Kurz danach habe er einem Patienten den Wirkstoff Ajmalin gespritzt, um „die Euphorie hochzuhalten“. Als die Reanimation scheiterte, und der Patient starb, sei seine positive Stimmung verflogen. Bis er nach Hause kam, Frau und Kind sah. Dann sei es ihm wieder besser gegangen, sagte Högel. „Ich habe das Böse vor der Haustür gelassen.“
+++Dieser Artikel wurde um 20.45 Uhr aktualisiert+++