
In der Whatsapp-Gruppe von Wilken Hartje macht zurzeit ein Video die Runde, das den Bauern in diesem Land aus den Herzen spricht. Das Filmchen zeigt einen Landwirt, der kurz vor Weihnachten auf den Namen seiner Frau eine Flasche Glyphosat bei Ebay im Internet bestellt hat. Er packt das Päckchen aus, hält die Plastikflasche mit dem Herbizid in die Kamera und sagt: „Da fehlen uns Landwirten die Worte. Wir müssen Sachkundenachweise vorzeigen, alle drei Jahre zur Fortbildung, und die Pflanzenschutzspritzen müssen regelmäßig zum Tüv. Der normale Verbraucher dagegen bekommt es ohne Sachkenntnis und vernünftige Ausbringtechnik. In diesem Sinne frohe Rest-Weihnachten.“
Weihnachten ist vorbei. Das neue Jahr hat begonnen, und für die Landwirte geht es weiter wie zuletzt. So jedenfalls empfinden sie das. Sie fühlen sich unfair behandelt. Sie sehen sich in die Ecke gedrängt und als Sündenbock für alles, was in Sachen Klima und Umweltschutz falsch läuft. Auch der Insektenatlas 2020, der jetzt in Berlin vorgestellt wurde, macht die Bauern nicht glücklich. Hartje, Kreislandwirt mit Hof in Syke-Heiligenfelde, weiß um die Befindlichkeiten seiner Berufskollegen, er sagt: „Natürlich sind wieder wir Bauern schuld. Das kennen wir doch schon.“
Der Insektenatlas von BUND und Heinrich-Böll-Stiftung fasst Zahlen und Daten zusammen. „Der globale Schwund von Insekten ist dramatisch“, sagt Barbara Unmüßig, Vorstand der Böll-Stiftung, die den Grünen nahesteht, „Ursache Nummer eins ist die industrielle Landwirtschaft.“ Die Menge der weltweit eingesetzten Pestizide sei seit 1950 um das Fünfzigfache gestiegen.
Das Insektensterben betrifft in Deutschland das gesamte Bundesgebiet. Laut Insekten-Atlas fallen bei 86 Prozent der 233 Wildbienenarten die Bestände kontinuierlich. Besonders schlecht sieht es für Ameisen aus, „auch durch überdüngte Weiden“, heißt es. Mehr als 90 Prozent der insgesamt 107 Ameisenarten seien in Deutschland rückläufig. Bedroht sind auch viele Käfer. Das Fehlen von Dungkäfern beispielsweise, so führt die Studie aus, lasse sich am Zustand von Kuhfladen ablesen. Vielerorts zersetzten sie sich nicht mehr, Betonfladen heiße das Phänomen.
An der Wichtigkeit der Insekten lassen auch die Bauern keinen Zweifel. „Wir brauchen Insekten“, sagt Hartje, „sogar mehr denn je.“ Darüber, wie die Lage wieder besser wird, sind Landwirte, BUND und Stiftung allerdings unterschiedlicher Meinung. „Ohne einen Umbau der Landwirtschaft ist das Sterben von Schmetterlingen, Hummeln und Käfern nicht zu stoppen“, sagt Olaf Bandt, Vorsitzender des BUND, „die Vorschläge der Bundesregierung im Insekten-Aktionsprogramm reichen nicht aus.“
Weniger Pestizide, dafür mehr Vielfalt in der Landschaft wünscht sich Bundesumweltministerin Svenja Schulze beispielsweise, und Hecken und blütenreiche Wiesen statt Monokulturen. Für Kreislandwirt Hartje sind das „Worthülsen“. Er halte den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln für reduzierbar, ja, aber dafür müsse es Alternativen geben, etwa neue Wirkstoffe, aber die seien schwierig zu finden und zu entwickeln, „und es dauert lange, bis sie schließlich auf dem Markt sind“. Außerdem, sagt Hartje, vergesse man in der allgemeinen Aufregung über Pestizide offenbar leicht, weshalb die Mittel eigentlich zum Einsatz kämen, nämlich nicht, um die Umwelt zu schädigen, sondern als Schutz für die Pflanzen vor Unkräutern, Pilzen und Schädlingen.
Uneins sind sich Landwirte und die Initiatoren des Insektenatlasses auch in der Frage, wie die EU-Agrarsubventionen verteilt werden sollten. 60 Milliarden Euro gibt die EU jährlich für Europas Landwirtschaft aus, rund sechs Milliarden davon fließen nach Deutschland. „Öffentliches Geld muss zum Schutz der Insekten eingesetzt werden“, sagt Bandt. Die Mittel müssten in der neuen Förderperiode an eine naturfreundliche, klimaschonende und tiergerechte Landwirtschaft gebunden werden. Bisher wird ein Großteil der Direktzahlungen an Landwirte nach der Hektar-fläche bemessen. Hartje sieht keine Notwendigkeit, an dieser Praxis etwas zu ändern. „Sie ist transparent und kontrollierbar“, sagt er.
Einig sind sich BUND, Böll-Stiftung und Landwirte dagegen in ihrer Kritik am geplanten Mercosur-Abkommen mit der EU. Das Freihandelsabkommen mit Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay ist höchst umstritten, erst Anfang der Woche hatten Frankreich und Österreich Widerstand gegen die Unterzeichnung angekündigt. Auch BUND und Böll-Stiftung üben jetzt Kritik. Barbara Unmüßig sagt: „In der EU längst verbotene oder nicht mehr lizenzierte Pestizide der großen Chemieunternehmen wie Bayer und BASF werden global weiterhin fast unbeschränkt gehandelt.“ Ihr Export in andere Regionen der Welt müsse verboten werden. „Im Mercosur-Abkommen auch noch eine Zoll-reduktion für Pestizide zu verhandeln, verhöhnt alle nationalen Nachhaltigkeitsbemühungen“, so Unmüßig weiter.
Auch die deutschen Landwirte sind mit dem Abkommen nicht zufrieden. „In Mitteleuropa haben wir die schärfsten Bedingungen und Vorschriften“, sagt Hartje, „aber der Markt agiert global.“ Heißt: Die weltweite Konkurrenz mit weniger strengen Vorgaben hat Wettbewerbsvorteile gegenüber den deutschen Bauern. „Dagegen gehen wir auf die Straße“, sagt Hartje. Tatsächlich machen die Bauern 2020 dort weiter, wo sie 2019 aufgehört haben. Schon für kommende Woche sind die nächsten Protestaktionen geplant. Landwirte wollen bundesweit gegen die geplante neue Düngemittelverordnung und für faire Preise im Lebensmitteleinzelhandel demonstrieren. Am 17. Januar ist Niedersachsens Landeshauptstadt Hannover ihr Ziel.
Der Selbsttest ist damit deutlich günstiger als der Schnelltest in den Testzentren, Apotheken und Arztpraxen, hat aber eine ...