
Für frischen Spargel war das Gasthaus Kehlenbeck in Lunsen bei Thedinghausen früher weithin bekannt. Und für Grünkohl: „Den haben wir von November bis März jedes Wochenende frisch gekocht – immer gleich für 60 Personen“, sagt Inhaber Jürgen Kehlenbeck. Dazu kamen dann die Familienfeiern, die ordentlich Geld in die Kasse gebracht hätten. 1951 hatte seine Mutter das gemütliche Gasthaus in einem norddeutschen Fachwerkhaus an der Landstraße nach Achim eröffnet.
Nach ihrem Tod übernahmen Jürgen und seine Frau Heike nebenberuflich die Geschäfte. Nach der eigenen Pensionierung lassen sie es jetzt ruhiger angehen. Noch ein paar Jahre wollen sie ihre Gaststube weiter offen halten, „solange die Gesundheit mitspielt“. Endlose Abende und Wochenenden in der Küche und hinter dem Tresen möchten sie nicht mehr. Zu essen servieren sie deshalb seit Jahresanfang ihren Gästen nichts mehr.
Die Kehlenbecks sind kein Einzelfall. Geschichten wie ihre hört öfter, wer sich gerade auf dem Land unter Gastronomen umhört. Von einem landesweiten Kneipensterben möchte Rainer Balke, Geschäftsführer des Branchenverbandes Dehoga in Hannover, nicht sprechen, aber von einem extremen Rückgang. „Während sich die Städte und Ballungsräume wie die Großregion Hannover ganz gut halten, wird die Dorfkneipe allmählich zur Seltenheit“, sagt Balke.
3895 reine Schankwirtschaften zählte sein Verband landesweit im Sommer 2015. Zu Beginn des Jahrtausends dürften es rund doppelt so viele gewesen sein. Viele Wirte finden keine Nachfolger mehr. Hohe Mieten, lange Arbeitszeiten von bis zu 80 Stunden, fehlende Investitionsmittel für neue Technik, Ambiente und gastronomische Neuerungen sowie Gäste, die häufig wegbleiben, weil sie das Angebotene längst auch zuhause konsumieren können, sind Ursachen dafür. Auch das Rauchverbot dürfte seinen Anteil daran haben. Die gutbürgerliche Kneipe mit Mobiliar aus dunklem Holz, mit Topfblumen und weißen Gardinen, ist sie ein Auslaufmodell aus dem vergangenen Jahrhundert?
Anteile für eine Genossenschaft
Mancherorts im Land sind Bürger aufgewacht und wollen der Entwicklung nicht tatenlos zusehen. Der Gasthof „Zum Domkreuger“ in Kirchboitzen, heute einem Stadtteil von Walsrode, ist so ein Fall. Seit 280 Jahren bewirtete die Eignerfamilie Rabe im Dorf gegenüber der Kirche ihre Gäste. Vor 25 Jahren haben Rabes ein kleines Hotel angegliedert. Sogar einen Pool gab es schließlich – doch keinen Nachfolger. Nach zwei Jahren vergeblicher Suche drohte 2015 die Schließung der Traditionsgaststätte – bis sich Anwohner und Gäste ihrer annahmen. 120 Bürger zeichneten Anteile von 2000 Euro für eine Genossenschaft. Die kaufte und sanierte das Haus und verpachtete es für zunächst zwei Jahre.
Ähnliche Beispiele gibt es vereinzelt aus dem ganzen Land. Ob als Genossenschaft oder als GmbH – Bürger bringen ihr Geld ein, um Treffpunkte zu erhalten, in denen sie seit Generationen Geburtstag oder Hochzeit gefeiert, den Schützen- oder Grünkohlkönig proklamiert oder die Jubilare der Freiwilligen Feuerwehr geehrt haben. Jüngst wurden Bewohner im Kreis Vechta aktiv. Nachdem der Wirt der Dorfkneipe „Zum Schanko“ gestorben ist, planen sie ebenfalls eine Genossenschaft und wollen das Etablissement zum Dorfgemeinschaftshaus umfunktionieren. So soll auch vermieden werden, dass die örtlichen Vereine in Handorf-Langenberg künftig ohne ein Vereinslokal dastehen. Selbst die Gemeinde ist für diese Lösung und hat einen sechsstelligen Förderbetrag in Aussicht gestellt.
Verbandsfunktionär Balke sieht die Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Hier würden viele „Krokodilstränen“ vergossen, meint er kritisch. Immerhin sei der Mangel an Gästen der Hauptgrund für den Kneipenschwund. Außerdem zeigt die Statistik, dass die Kunden andere Bewirtungsformen offenbar bevorzugen. So hat die Zahl der Cafés landesweit sogar zugenommen. Trotzdem sei bürgerschaftliches Engagement natürlich lobenswert, meint Balke, solange es nicht den Wettbewerb verzerre. Finanzspritzen der Kommunen etwa sieht er kritisch. „Die haben zur Folge, dass einzelne Betriebe bevorzugt werden. Damit gerät vielleicht wiederum die Kneipe im Nachbardorf in Existenznot.“
Wie es in Lunsen weitergeht, ist noch nicht abschließend entschieden. „Unsere Kinder wollen das Geschäft nicht übernehmen“, sagt Jürgen Kehlenbeck. Er selbst war bei der Telekom beschäftigt – montags bis freitags von 7 bis 15.30 Uhr. Da habe sich der Nebenberuf einrichten lassen, „auch wenn es anstrengend war“. Bei den flexiblen Arbeitszeiten und der ständig erwarteten Verfügbarkeit von heute gehe das nicht mehr. So hat sich auch sonst noch kein Nachfolger gemeldet, der das Haus erwerben könnte.
„Was sollen wir uns da noch krumm machen auf die letzten Jahre“, sagt der 64-jährige Kehlenbeck. Wenn sie den Laden in ein paar Jahren endgültig zusperren, wird es im Dorf keinen reinen Schankraum mehr geben für die Freiwillige Feuerwehr und für diejenigen unter den 250 Einwohnern, die es zu Hause vor dem TV zu langweilig finden.