
Gleich mehrmals trat Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) auf die Euphorie-Bremse. Trotz sinkender Corona-Zahlen, trotz der gestarteten Impf-Kampagne dürfe man „nicht in die Falle tappen“ und bereits laut nach Lockerungen rufen, mahnte der Regierungschef am Freitag in der Sondersitzung des Landtags. Und bemühte ein amerikanische Sprichwort: „Wenn du Licht am Ende des Tunnels siehst, bedenke, es könnte der nächste Zug sein.“ Vorsicht sei also geboten, der bis Mitte Februar verlängerte Lockdown bitter nötig.
Dabei wies Weil die Forderungen von Grünen und FDP nach einer langfristigen Strategie als unrealistisch zurück. Das Virus unterwerfe sich keiner politischen Planung – weder in Deutschland, noch in Europa. „Gegen eine Pandemie gibt es kein Patentrezept.“ Der Ministerpräsident verteidigte erneut den niedersächsischen Sonderweg, die Grundschulen nicht komplett zu schließen, sondern ein Unterrichtsangebot in halben Klassen bei Aufhebung der Präsenzpflicht vorzuhalten. „Am Ende wissen die Eltern am besten, was gut ist für ihre Kinder.“
FDP-Fraktionschef Stefan Birkner sprach dagegen von einem „Schlingerkurs in den Schulen“, der alle Beteiligten verunsichere. „Was Montag noch richtig war, ist Freitag schon falsch.“ Wenn die verunsicherten Eltern über den Grundschulbesuch ihrer Kinder entscheiden müssten, warum denn dann nicht auch für alle anderen Schultypen, fragte der Liberale. Sein FDP-Kollege Björn Försterling kritisierte, dass Kultusminister Grant Hendrik Tonne zehn Monate seit Ausbruch der Krise versäumt habe, die Schulen technisch sowie mit regelmäßigen Corona-Tests und Schutzmasken gegen das Virus zu wappnen.
Grünen-Fraktionsvize Christian Meyer verlangte, wenigstens jetzt die Schulschließungen für technische Nachrüstungen zu nutzen. Außerdem müssten Sitzenbleiben und Abschulungen ausgesetzt werden. „Kein Kind darf durch Corona in der Schule benachteiligt werden.“ Hart ins Gericht ging der frühere Agrarminister mit den Kontaktregeln für Familien. Diese seien „lebensfremd“, etwa wenn es Ausnahmen bei bis zu Dreijährigen, nicht aber für genauso betreuungsbedürftige Vier- oder Fünfjährige gebe. „Das führt dazu, dass solche Regeln gar nicht mehr beachtet werden.“ Wie Birkner bemängelte auch Meyer, dass die Opposition immer noch nicht richtig eingebunden werde. Viele konstruktive Vorschläge etwa für kostenlose Masken, Kontrollen von Arbeitnehmerunterkünften oder einen besseren Schulbusverkehr würden komplett ignoriert. Damit vernachlässige die rot-schwarze Koalition die Bewältigung der Krise.
SPD-Fraktionschefin Johanne Modder wies die Vorwürfe als unfair zurück. Wenn man Ausnahmen von den strengen Kontaktregeln mache, um Härten zu vermeiden, müsse man sich eben auf eine bestimmte Altersgrenze festlegen. Ihr CDU-Kollege Dirk Toepffer verwies auf die schwierigen Abwägungsprozesse zwischen einem wirksamen Infektionsschutz und den berechtigten Interessen der Betroffenen. Angesichts der neuen, erschreckenden Erkenntnisse zum Ansteckungsrisiko von Kindern sei er inzwischen froh, diese nicht alle von Kontaktbeschränkungen ausgenommen zu haben. „Eine Lösung, die sich von selbst aufdrängt, gibt es nicht“, erklärte der Rechtsanwalt. Wichtig sei vor allem die Akzeptanz der Bürger. „Am Ende zählt, dass die Mehrzahl der Maßnahmen eingehalten wird.“
Dass dies nicht immer der Fall sei, gab Toepffer unumwunden zu. So habe eine Fraktionskollegin beim Außer-Haus-Verkauf in einem Schnellrestaurant in Hannover mitbekommen, wie ein anderer Kunde für zehn Personen bestellt habe. Von Beschränkung auf einen Haushalt plus einer weiteren Person könne dort wohl keine Rede sein. Außerdem seien die sozialen Medien voll von Fotos, auf denen sich die Menschen mit verbotenen Freizeitaktivitäten brüsteten.
Selbstkritisch gab sich Sozialministerin Carola Reimann (SPD) wegen der verunglückten Info-Kampagne zum Impfstart für über 80-Jährige. Das vom Land beauftragte Tochterunternehmen der Post hatte teilweise Adressen allein aufgrund von altertümlich klingenden Vornamen genutzt. Dadurch erhielten auch Personen, die seit Jahren verstorben sind, die Schreiben. „Ich bitte alle Angehörigen, die sich dadurch verletzt fühlen, um Entschuldigung“, sagte Reimann im Landtag. Auch Ministerpräsident Weil bat um Nachsicht, dass sich solche Pannen nicht vollständig verhindern ließen. Grüne und FDP sahen die Hauptschuld dagegen beim Sozialressort. Man hätte von Anfang an auf die viel zuverlässigeren Adressen der Meldeämter zurückgreifen müssen. Die angeführten Datenschutzbedenken hätten sich in Luft aufgelöst.