
Auch zu Wochenanfang noch: um die 16 Grad, dazu neun Stunden Sonne an diesem Montag. Dienstag und Mittwoch soll es ähnlich warm werden, und wieder wird die Sonne scheinen, wenn auch vermutlich etwas weniger intensiv.
Wenn Kristian Wichmann die Wettervorhersage für die nächsten Tage checkt, weiß er: Tag X rückt näher. Wichmann ist Geschäftsführer des gleichnamigen Spargel- und Erdbeerhofes in Bassum. Sein Tag X ist der Beginn der Spargelernte. Dem Spargel gefällt es, wenn es so warm ist wie jetzt. Schon Mitte März könnten die ersten Stangen gestochen werden. „Und wir sind ganz gut darauf vorbereitet“, sagt Wichmann.
„Ganz gut“ klingt verhalten optimistisch, und genauso gibt sich aktuell auch die gesamte Branche. Verhalten, weil in diesen Corona-Tagen wenig gewiss ist, vor allem die britische Mutation des Virus sorgt für große Unsicherheit. Wie schnell treibt sie die Infiziertenzahlen in die Höhe? Welche Beschränkungen hätte das zur Folge? Die Spargelbauern sind trotzdem optimistisch, weil sie die fehlende Planungssicherheit noch gut aus dem Vorjahr kennen, als Corona gerade anfing, die Welt zu verändern.
„Corona ist uns damals von der Seite reingegrätscht“, sagt Fred Eickhorst, Geschäftsführer der Vereinigung der Spargel- und Beerenanbauer in Niedersachsen, „wir waren im März mit die Ersten, die dies zu spüren bekommen haben.“ Wochenlang durften Saisonarbeiter aus Rumänien, Polen und der Ukraine seinerzeit nicht nach Deutschland einreisen. Wochenlang wussten die Betriebe nicht, wie viel Spargel sie ernten würden. Wochenlang war nur schwer abzuschätzen, ob sie ihren Spargel an den Kunden bringen würden. Kristian Wichmann hat sich damals die Finger wund telefoniert, um irgendwie an Erntehelfer, Aushilfen und zusätzliche Unterkünfte zu kommen. Heute sagt er: „Wir haben es hingekriegt.“
Zahlen belegen das. Niedersachsen war auch im Coronajahr 2020 das Spargelland Nummer eins in Deutschland. Nach wie vor kommt jede fünfte Stange aus Niedersachsen, 26.000 Tonnen waren es laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr, nur fünf Prozent weniger als 2019. In anderen Bundesländern waren die Verluste weitaus größer. Die Ausfälle in der Gastronomie – Restaurants hatten die meiste Zeit geschlossen – konnten zum Teil über den Direktverkauf ab Hof und auf Wochenmärkten aufgefangen werden.
In Niedersachsen, lobt Verbandschef Eickhorst, hätten die Betriebe nach ein paar Startschwierigkeiten einen guten Job gemacht. Sie hätten perfekte Hygienekonzepte entwickelt und umgesetzt. Sich strikt an die Vorgaben der Politik und der Behörden gehalten. Flexibel auf die häufig geänderten Rahmenbedingungen reagiert. Beispiel Unterbringung der Saisonarbeiter: Nur noch zwei statt vier Personen durften sich im vergangenen Jahr ein Zimmer teilen. Spargelbauer Wichmann hatte damals kurzerhand leer stehende Häuser in der Umgebung angemietet. In diesem Jahr hat er vorsorglich zusätzliche Wohncontainer bestellt.
„Wir hatten bei den Saisonarbeitern weniger Coronafälle als im Durchschnitt der deutschen Bevölkerung“, sagt Eickhorst. Große Ausbrüche mit über 100 infizierten Erntehelfern wie im bayerischen Mamming und Inchenhofen waren im vergangenen Jahr die Ausnahme. Allerdings sind vor drei Wochen 23 osteuropäische Hilfskräfte im westfälischen Hörstel nach ihrer Ankunft positiv getestet worden. Sie waren mit 22 anderen Saisonarbeitern im Bus angereist, alle 45 Personen mussten in Einzelquarantäne. Auch im Osnabrücker Land hatte es im Januar 25 Infektionen bei Saisonkräften gegeben.
Einreisen darf nur, wer einen negativen Corona-Test vorweisen kann. Für Saisonkräfte aus Rumänien gibt es darüber hinaus vorgeschriebene Einreiserouten durch Ungarn und Österreich, nur an bestimmten Rastplätzen etwa darf die Fahrt unterbrochen werden. Auch nach der Ankunft in Deutschland wird getestet.
Bewährt hat sich aus Sicht von Eickhorst die sogenannte Arbeitsquarantäne. Das heißt: Die Unterkunft darf in den ersten zehn Tagen nach der Ankunft nur für die Arbeit auf dem Feld verlassen werden. Kontakte außerhalb des Betriebes, etwa beim Einkauf, sind nicht erlaubt. Die Verpflegung wird aufs Zimmer geliefert. Spargelbauer Wichmann hat noch im alten Jahr einen Hygieneberater eingestellt und ließ seine Mitarbeiter schon damals regelmäßig testen. Das will er auch in diesem Jahr so machen. Im Betrieb sind Desinfektionsspender aufgestellt, FFP-2-Masken gehören zur Grundausstattung. Sieben Saisonkräfte aus Rumänien sind aktuell schon da, sie bereiten die Flächen vor: dämmen die Spargelfelder auf, legen Folien, stecken Drähte.
Rund 20 Prozent weniger Saisonarbeiter aus dem Ausland hat die Branche im vergangenen Jahr beschäftigt. Für sie sind Hilfskräfte aus Deutschland eingesprungen. Nach Aufrufen in den Sozialen Medien hatten sich Schüler, Studenten, Beschäftigte in Kurzarbeit und Rentner bei extra eingerichteten Jobbörsen für die Feldarbeit registrieren lassen. „Das hat uns sehr geholfen“, sagt Wichmann. Erstmals hat er sie in größerer Zahl auch in der Verarbeitung eingesetzt.
Auch an der Feldarbeit haben sich viele Neueinsteiger versucht. „Einige haben durchgehalten“, sagt Eickhorst, „viele haben aber auch unterschätzt, wie schwer die Arbeit ist.“ Für die Branche steht deshalb außer Frage, dass sie für die neue Saison weiterhin Hilfe aus dem Ausland benötigt.
Die Bundeslandwirtschaftsministerin wissen die Spargelanbauer dabei auf ihrer Seite: Julia Klöckner (CDU) hat in dieser Woche gefordert, die sozialversicherungsfreie Beschäftigungsdauer von Erntehelfern wie im vergangenen Jahr von 70 auf 115 Tage zu verlängern. Beim SPD-geführten Bundesarbeitsministerium sieht man die vorübergehende Wiedereinführung der 115-Tage-Regelung kritisch. Es gebe noch Gesprächsbedarf, heißt es aus Berlin. Für die Spargelbauern bleibt es ein Zitterspiel.