
Am Ende ringt Daniela Schiereck-Bohlmann um die richtigen Worte. „Ja“, sagt sie, „damit sind alle Fälle jetzt sozusagen…“, Schweigen, lange Pause, „…abgearbeitet.“ Über fünf Stunden hat die Oberstaatsanwältin zuvor hinter ihrem Pult am Kopfende der Weser-Ems-Halle gestanden und eine Liste des Schreckens vorgetragen. Sie ist einen Mordfall nach dem anderen durchgegangen, der dem ehemaligen Krankenpfleger Niels Högel vorgeworfen wird. Sie hat Name für Name genannt, Fall für Fall, Todesursache für Todesursache. Sie hat die Ergebnisse der Gutachter und Högels Aussagen zusammengefasst. Und dann hat sie einen Satz gesagt, der sich wie ein wiederkehrender Refrain durch ihre Rede gezogen hat: „Es gibt keine vernünftigen Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten.“
Niels Högel, 42 Jahre alt, soll hundert Patienten im Zeitraum zwischen 2000 bis 2005 an den Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst umgebracht haben. Seit knapp einem halben Jahr wird in der Oldenburger Weser-Ems-Halle über die größte Mordserie der deutschen Nachkriegsgeschichte verhandelt. Das Urteil steht bevor, am 6. Juni soll es verkündet werden. Das Gericht muss dann entscheiden: Lässt sich Högels Schuld in jedem Mordfall beweisen? Am Donnerstag, dem 21. Verhandlungstag, haben die Plädoyers begonnen. Den Anfang macht die Staatsanwaltschaft, und ihre Anklage übertrifft bei Weitem die 43 Morde, die Högel eingeräumt hat.
Die Staatsanwaltschaft hält Högel in 97 von 100 Mordfällen für schuldig. 97 Mal sagt Schiereck-Bohlmann ihren Satz: „Es gibt keine vernünftigen Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten.“ Nur in drei Fällen könne man Högel keinen Mord nachweisen. Die logische Konsequenz: Die Staatsanwaltschaft fordert die Maximalstrafe für Högel,lebenslange Haft bei besonderer Schwere der Schuld. Eine anschließende Unterbringung in der Sicherheitsverwahrung sei nicht nötig. Högel werde das Gefängnis nicht verlassen, da er als gefährlich einzustufen sei.
Der ehemalige Pfleger habe aus Heimtücke gehandelt und aus niederen Beweggründen. Er habe ausgenutzt, dass seine Patienten wehrlos waren, sagt Schiereck-Bohlmann. „Ob es irgendwann nur noch reine Lust am Töten war oder er Herr über Leben und Tod spielen wollte, lässt sich nicht hundertprozentig klären“, sagt sie. „Am Ende kann wohl niemand und auch ich nach fünf Jahren nicht erklären, warum Herr Högel handelt, wie er handelt.“
Der Angeklagte habe sich eines Lügenmodells bedient, Vorgänge bestritten und erst mit zunehmender Beweislast nach und nach Taten eingeräumt. Die Geständnisse, die dann folgten, seien dennoch glaubwürdig gewesen. Trotzdem, betont die Oberstaatsanwältin zu Beginn, lasse sich die Staatsanwaltschaft bei ihrer Anklage weder allein von Högels Aussagen noch von den Ergebnissen der Gutachter leiten. Es gehe um die Gesamtschau der Indizien, sagt Schiereck-Bohlmann und schiebt in Richtung der Medien hinterher: „Allein die Aussage ‚Größter Serienmörder der Geschichte‘ reicht nicht aus, um ihn für alle Taten zu verurteilen.“
In zwei Fällen geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass die Patienten nicht gestorben sind, weil Högel sie mit Medikamenten zu Tode spritzte, sondern weil sie schwer krank waren. Bei einem weiteren Patienten sei die Todesursache unklar, weshalb die Staatsanwaltschaft Högel von diesem Fall freispricht. Für 97 Morde soll Högel dagegen verantwortlich sein. Es gebe dabei weit mehr Opfer als nur die verstorbenen Patienten und ihre Angehörigen, sagt Schiereck-Bohlmann. Sie erzählt von traumatisierten Kollegen und vom Vertrauen in die Pflege, das erheblich unter dem Fall gelitten habe. Praktisch hätte ein Urteil wie es die Anklage nahelegt dennoch kaum Auswirkungen. Högel sitzt bereits im Gefängnis, für fünf weitere Taten wurde er 2015 zu lebenslanger Haft verurteilt.
Warum das Verfahren dennoch wichtig ist, macht Gaby Lübben im Anschluss deutlich. Die Anwältin vertritt einen Großteil der Hinterbliebenen, die im Verfahren als Nebenkläger auftreten. In ihrem Plädoyer geht sie kaum auf die Taten ein, stattdessen zeigt sie Fotos der Verstorbenen und erzählt von ihren Familien. „Der Mittelpunkt sind die Menschen hinter den Anklagepunkten“, sagt Lübben. „Die Klarheit, die wir hier erlangen konnten, hilft den Angehörigen, das Erlebte zu verarbeiten.“
Authentisches Yoga hat mit Sport absolut nichts zu tun. Dieser Artikel ist sehr bedenklich auf ...