
Hannover. Es war eine Mischung aus Mahnungen, Durchhalte-Appellen, Zuversicht und Selbstkritik. Schnelle Öffnungen von weiteren Geschäften oder Kulturstätten mochte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) allerdings nicht versprechen. „Niemand hat was davon, nach einer kurzen Pause von Lockerungen ruck, zuck eine dritte Welle der Infektion zu erleben“, sagte Weil in seiner Regierungserklärung am Mittwoch im Landtag. „Ein solcher Jo-Jo-Effekt wäre das Schlechteste für uns alle – für die Gesellschaft, für die Wirtschaft und natürlich auch für uns in der Politik.“
Den Beweis für das unberechenbare Treiben des Coronavirus vor der eigenen Haustür brachte der Regierungschef gleich mit. Niedersachsen, lange Zeit nicht zuletzt von Weil selbst wegen niedriger Infektionszahlen als bundesweites Vorbild gelobt, liegt beim Sieben-Tage-Inzidenzwert mit 69,7 Neuansteckungen pro 100.000 Einwohner mittlerweile deutlich über dem Bundesschnitt von 57. Zwar kommen viele Kreise und Städte unter die angestrebten Grenzwerte von 50 oder gar 35, etwa Rotenburg mit 25,6. Doch einzelne Massenausbrüche wie jetzt in einer Eisfabrik in Osnabrück verhageln die Bilanz. Die Spannbreite erstreckt sich von 14 in Emden bis 215,6 im Hotspot Wesermarsch.
„In den letzten Tagen treten wir auf der Stelle“, gab der Ministerpräsident zu. Zum vorerst bis zum 7. März verlängerten Lockdown und zur erhöhten Vorsicht gebe es daher keine Alternative. Gleichzeitig forderte Weil aber einen gemeinsamen Stufenplan von Bund und Ländern „Wir müssen vorbereitet sein für gute wie für schlechte Phasen, für Lockerungen ebenso wie für Verschärfungen.“ Er erwarte daher, dass bei der nächsten Runde mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am 3. März „ein substanzieller Vorschlag auf dem Tisch liegt“. Die Menschen bräuchten eine klare Orientierung in diesen unsicheren Zeiten. Als Vorbild bot der Ministerpräsident erneut das sechsstufige Ampelmodell seiner SPD/CDU-Regierung an.
„Sie hinken immer einen Schritt hinterher“, kritisierte Grünen-Fraktionschefin Julia Willie Hamburg eine fehlende Gesamtstrategie. „Eine Vision, eine Perspektive, wie das Leben mit dem Virus aussehen könnte – Fehlanzeige.“ Ob Jugendhilfe, ob Tafeln für Bedürftige: „Das Soziale spielt bei den Sozialdemokraten keine Rolle.“ Gleiches gelte für Clubs, Bars und Diskotheken. Die Grüne forderte eine umfassende Teststrategie für alle Bereiche. Außerdem könne man viel mehr Aktivitäten ins Freie verlegen, wo die Ansteckungsgefahr deutlich geringer sei. „Draußen muss das neue Drinnen sein“, sagte die Fraktionschefin; dadurch seien dann auch mehr Lockerungen denkbar.
FDP-Fraktionschef Stefan Birkner warf der rot-schwarzen Regierung eine viel zu zögerliche Haltung vor. Ob bei Schnelltests im Altenheimen oder technischen Lüftungssystemen in Schulen: Das Land dürfe nicht ständig blockieren, sondern müsse endlich in die Offensive gehen. Der Stufenplan sei von der Idee her zwar zu begrüßen, müsse aber je nach Infektionsgeschehen viel mehr differenzieren.
SPD-Fraktionschefin Johanne Modder verteidigte den Regierungskurs. Angesichts der Mutationen seien Kontaktbeschränkungen derzeit „das Einzige, was wirklich hilft“. Ihr CDU-Kollege Dirk Toepffer bereitete die Parlamentarier auf eine harte Debatte über Freiheiten für Geimpfte vor. Dürften diese wieder eher Gaststätten besuchen oder Reisen unternehmen? Er persönlich habe Vorbehalte gegen eine solche Bevorzugung. Aber: „Der Druck wird zunehmen. Wir werden uns mit der Frage beschäftigen müssen, ob wir eine unterschiedliche Behandlung zulassen wollen.“
Einen versöhnlichen Schritt ging der Christdemokrat auf den Koalitionspartner SPD zu. „Wir vertrauen voll auf Gesundheitsministerin Carola Reimann und ihren Staatssekretär“, erklärte Toepffer. Zwar gebe es an den Startproblemen bei der Impfkampagne im Land nichts zu beschönigen. Aber jetzt sei man sicher, dass es besser werde. Reimann habe eine große Aufgabe zu bewältigen. Eine solche sei noch keinem ihrer Vorgänger abverlangt worden.
Die Ministerin war wegen peinlicher Pannen bei der Terminvergabe in die Schusslinie geraten. FDP-Fraktionschef Birkner und mehrere Bürgermeister hatten ihren Rücktritt verlangt. Auch CDU-Wirtschaftsminister Bernd Althusmann hatte auf dem Landesparteitag der Union das Chaos bei der Impf-Hotline scharf attackiert, ohne allerdings Reimann direkt beim Namen zu nennen. „Das hat die ältere Generation nicht verdient“, schimpfte der CDU-Landeschef. Dies wiederum führte zu Verstimmung beim Koalitionspartner SPD.
In seiner Regierungserklärung entschuldigte sich Weil auch für die Mängel beim Impfstart. „Es tut uns allen sehr leid, dass gerade hochbetagte Menschen mit den Tücken einer überlasteten Hotline zu kämpfen hatten.“ Für die Opposition war dieses Eingeständnis allerdings nicht mehr als Ablenkung vom eigenen Versagen. „Das waren nicht die Tücken einer überlasteten Hotline“, ätzte FDP-Mann Birkner. „Das waren die Tücken einer überforderten Landesregierung.“