
Um 20.35 Uhr schlugen die Zielfahnder am Dienstagabend in Stade zu. Mehr als 50 Einsatzkräfte der Polizei stürmten ein Mehrfamilienhaus und nahmen dort einen jungen Bulgaren in der Wohnung seiner Mutter fest. Vier Stunden später stand dessen Identität einwandfrei fest: Es handelt sich um den mit einem europäischen Haftbefehl gesuchten Sewerin K. – dringend verdächtigt des Mordes an der bulgarischen Fernsehmoderatorin Wiktorija Marinowa. Der 20-Jährige soll sein 30 Jahre altes Opfer vergewaltigt, ausgeraubt und erdrosselt haben. Die Leiche der Journalistin war am Sonnabend in einem Park nahe der Donau in ihrer bulgarischen Heimatstadt Russe entdeckt worden.
Der Fall hatte europaweit für Aufsehen gesorgt. Schnell machten Spekulationen die Runde, hinter dem brutalen Mord könnte ein Racheakt oder ein Einschüchterungsversuch gegenüber der kritischen Presse stecken. Marinowa hatte sich wenige Tage zuvor in ihrer Sendung dem Thema Korruption und der Verschwendung von EU-Fördermitteln gewidmet. „Zur Motivlage können wir noch nichts sagen“, erklärte der Präsident des niedersächsischen Landeskriminalamts (LKA), Friedo de Vries, am Mittwoch in Hannover.
Es gebe aber keine Hinweise darauf, dass es sich um eine politische Straftat handele und das Sexualdelikt vorgeschoben sei. Nach Angaben des bulgarischen Generalstaatsanwalts Sotir Zazarow deuten alle Indizien darauf hin, dass hier ein spontaner und sexuell motivierter Überfall vorliege. Man untersuche aber weiterhin alle Hypothesen. Ihren Tatverdacht stützen die Ermittler unter anderem auf DNA-Proben des Beschuldigten, die am Körper der toten Journalistin gefunden worden seien. Der Verdächtige soll nun auf Grundlage des europäischen Haftbefehls nach Bulgarien ausgeliefert werden.
Der 20-Jährige wurde am Mittwoch zunächst einem Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Stade zugeführt. Die Generalstaatsanwaltschaft Celle prüft jetzt, ob die Voraussetzungen für eine Überstellung nach Bulgarien vorliegen. Dies könne einige Tage in Anspruch nehmen, sagte Abteilungsleiter Thomas Hackner vom Justizministerium in Hannover. Sollte der Beschuldigte seiner Auslieferung widersprechen, müsste das Oberlandesgericht Celle darüber entscheiden. Sewerin K. soll in Bulgarien bereits im Zusammenhang mit anderen Sexualstraftaten aufgefallen sein. Auch in Deutschland ist er offenbar kein Unbekannter; die Staatsanwaltschaft Lüneburg führte gegen ihn ein Verfahren wegen Urkundenfälschung.
Der mutmaßliche Mörder, der laut bulgarischer Polizei in der Nachbarschaft seines Opfers in Russe wohnte, war mit dem Auto von Bulgarien über Rumänien nach Stade gefahren. Am Dienstagmittag alarmierten die bulgarischen Behörden ihre Kollegen in Niedersachsen, bereits vier Stunden später hatten ein Mobiles Einsatzkommando des LKA und Kräfte der Polizeidirektion Lüneburg das Mehrfamilienhaus in Stades „Altländer Viertel“ im Visier und umstellt. Um Unbeteiligte nicht zu gefährden und mögliche Fluchtwege abzuschneiden, habe man mit dem Zugriff bis zum Abend gewartet, berichtete LKA-Chef de Vries. Der Verdächtige sei unbewaffnet gewesen und habe bei seiner Festnahme keinen Widerstand geleistet. Ein zweiter Mann, den die Polizei zunächst ebenfalls festgenommen habe, sei später wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Nach dem Fluchtfahrzeug suche man noch.
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) lobte den Fahndungserfolg und die gute internationale Zusammenarbeit. „Dieser Fall zeigt einmal mehr, wie wichtig die gute Vernetzung innerhalb der Sicherheitsbehörden in Europa ist.“ Bulgariens Regierungschef Boiko Borissow kritisierte dagegen den internationalen Druck auf sein Land, den Mord an Marinowa rasch aufzudecken. Empört wandte er sich dagegen, dass Bulgarien in einem Atemzug mit Malta und der Slowakei, wo investigative Journalisten ermordet worden waren, genannt werde. In seinem Land, betonte Borissow, hätten Journalisten „die vollständige Freiheit, über jedes Thema zu schreiben und zu berichten“.