
Peter Hübner: Ich muss vier Jahre alt gewesen sein, als ich meinem Vater das erste Mal geholfen habe, ein Kaninchen zu schlachten. Ich erinnere mich noch, wie ich ihn dabei unterstützen durfte, das Fell abzuziehen.
Wie war das für Sie?Ich war total stolz. Das Kaninchen hatte einen großen Stall in unserem Garten, und ich durfte mich die Monate zuvor um das Tier kümmern.
Und dann waren Sie nicht traurig, als es geschlachtet wurde?Überhaupt nicht. Ich hatte mich da längst an den Gedanken gewöhnt. Für mich war das ganz normal: Wir halten Tiere, damit wir sie irgendwann essen können. So war das bei uns, und ich bin dankbar, so aufgewachsen zu sein.
Warum?Ich habe früh gelernt, wo mein Essen herkommt. Ein Stück Schnitzel wegzuschmeißen, das hätte es bei uns nicht gegeben. Mir wurde beigebracht, Fleisch wertzuschätzen.
Sind Sie deshalb Metzger geworden?Eigentlich wollte ich Koch werden. Weil ich keinen passenden Ausbildungsbetrieb gefunden habe, dachte ich: Hauptsache, irgendetwas mit Fleisch. Also Metzger. Die Idee war gut.
Der Rest nicht?Am dritten Tag habe ich eine Schweinekeule in die Hand bekommen, die voller Eiter war. Sowas kannte ich von unseren Tieren nicht. Ich wollte die Keule wegschmeißen. Mein Chef schrie mich an, ich solle etwas Eiter abschaben, das reiche aus. Der nächste Schock folgte ein paar Tage später.
Was ist passiert?Ich habe gesehen, wie Schweine zum Schlachthof transportiert worden sind. Das hat sich eingebrannt. Ich habe die Unruhe der Tiere gehört, das Quieken. Panik lag in der Luft, man konnte sie riechen. Da hatte ich verstanden: Das hat hier nichts mit dem Schlachten vom Bauernhof zu tun.
Nach der Ausbildung haben Sie als Metzger aufgehört.Ich wollte dieses System, in dem Tiere leiden und ausgebeutet werden, nicht weiter unterstützen.
Fleisch haben Sie da aber noch gegessen?Ich habe privat weiter geschlachtet, zusammen mit Bauern. Irgendwann wurde die Landschlachtung aber verboten.
Was haben Sie dann gemacht?Ich habe mir ein Haus in Schweden gekauft, ein großes Grundstück, mitten in der Natur, nahe am Wasser. Zusammen mit den Nachbarn war ich jagen und fuhr raus auf den See, um zu angeln.
Wie wird jemand, dem so viel an Fleisch liegt, Veganer?Es gab diesen einen Tag, vor sechs Jahren in Schweden, als ich wieder draußen auf dem See war. Irgendwann biss ein Hecht an, ich zog ihn aufs Boot und zückte meinen Knüppel. Plötzlich war ich wie gelähmt. Ich hatte das schon hundertfach gemacht, aber jetzt konnte ich dem Fisch einfach nicht auf den Kopf hauen. Ich setzte ihn zurück ins Wasser. In den nächsten Tagen vermied ich es, auf den See zu fahren und suchte mir Ausreden, nicht angeln zu müssen. Zwei Wochen später war ich Veganer. Ich beschloss: Wenn ich nicht töten kann, darf ich auch nichts Tierisches mehr essen.
Heute sind Sie Aktivist. Kennen Sie das klassische Veganer-Klischee?Dass Veganer immer missionieren wollen?
Ist da etwas dran?Natürlich gibt es Veganer, die missionieren. Sie fühlen sich wie bessere Menschen, weil sie auf tierische Produkte verzichten. Allen anderen sagen sie, dass ihr Fleischkonsum Schuld an der Massentierhaltung ist.
Was halten Sie davon?Egal ob sie recht haben oder nicht: So überzeugt man niemanden. Es bringt nichts, die Schuld beim Einzelnen abzuwälzen. Es ist komplizierter.
Das müssen Sie erklären.Wir leben in einer Gesellschaft, in der uns Fleischkonsum anerzogen und die Produktion dahinter unsichtbar gemacht wird. Die kleinen Höfe verschwinden aus den Dörfern. Es gibt fast nur noch anonyme Mega-Ställe, weit weg von allem, damit keiner etwas mitbekommt. Und die Leute stört das nicht. Im Gegenteil.
Wie meinen Sie das?Der Verbraucher will getäuscht werden. Alle wollen das Leid verdrängen, das die Massentierhaltung verursacht. Weil es bequemer ist. So müssen sie ihre Gewissheiten nicht hinterfragen.
Sie wollen das ändern.Aber ohne moralischen Zeigefinger und ohne Gruselbilder aus den Schlachtfabriken.
Sondern?Ich will die Leute nicht verurteilen, sondern ermutigen, sich zu hinterfragen.
Wie wollen Sie das schaffen?Ich habe andere ehemalige Metzger kennengelernt, die vegan leben. Zusammen haben wir die Gruppe „Metzger gegen Tiermord“ gegründet. Wir glauben, dass unsere Biografien ein Beispiel sein können.
Wie stellen Sie sich das vor?Die Leute sollen denken: Wenn sogar Metzger Veganer werden können, dann kann ich das doch auch. Wenn wir als ehemalige Fleischer dieses System infrage stellen, ist das viel wirksamer, als wenn das irgendein Student macht. Von denen erwartet man das. Von uns nicht. Wahrscheinlich hatte unser erstes Video deswegen nach wenigen Tagen Hunderttausende Klicks.
Die Rückmeldungen waren nicht nur positiv?Als Veganer provoziert man automatisch. Ich bin ein lebender Beweis dafür, dass man Tiere nicht töten muss, um ein gutes Leben zu führen. Nichts regt Fleischesser mehr auf als ein gut gelaunter, gesunder Veganer.
Sie bekommen viel Hass ab?Ich kriege regelmäßig Morddrohungen, oft per Mail, manchmal per Post. Zuletzt ist mir ein Hühnerkopf auf den Hof geworfen worden.
Wie gehen Sie damit um?Ich werde von denen angefeindet, die sich besonders angesprochen fühlen. Sie merken, dass es kein vernünftiges Argument gibt, das ihren massenhaften Fleischkonsum rechtfertigt. Die Drohungen sind ein Beleg dafür, dass meine Arbeit ankommt.
Das Gespräch führte Nico Schnurr.Peter Hübner (53) ist gelernter Metzger. Heute lebt er vegan. Der Aktivist hat das Bündnis „Metzger gegen Tiermord“ gegründet, das erste Video der Gruppe ging viral. Auch seine Kampagnen für ein Verbot von Wildtieren im Zirkus werden bundesweit beachtet. Hübner lebt in Syke.