
Die Ministerin hat zur Diskussion geladen, in Zeiten von Corona selbstverständlich digital. Barbara Otte-Kinast will in einer Zoom-Konferenz von Experten, Betroffenen und Interessierten wissen, wie ein Gesellschaftsvertrag für die Landwirtschaft aussehen muss. Das Thema ist für die CDU-Politikerin, selbst Landwirtin, Chefsache und Herzensangelegenheit. „Ich habe mir einen Gesellschaftsvertrag als Ziel gesetzt, um die Landwirtschaft und die Gesellschaft wieder miteinander zu vereinen“, hatte Otte-Kinast vor genau einem Jahr angekündigt.
Zwölf Monate später haben sich über 100 Teilnehmer für eine digitale Diskussionsrunde mit der Ministerin angemeldet. Ein Agrarprofessor gibt Denkanstöße. Eine junge Unternehmerin berichtet aus ihrem landwirtschaftlichen Betrieb. Eine Pastorin kommt zu Wort, und auch die Landwirtschaftsministerin selbst äußert sich. Es klingt ambitioniert, aber hoffnungsfroh, was sie alle über die Landwirtschaft in zehn, 15 Jahren zu sagen haben. Dann meldet sich Bernhard Barkmann zu Wort.
Barkmann ist Landwirt, „kleinbäuerlicher Massentierhalter“, wie er mit einem Augenzwinkern sagt. Seine Prognose ist düster. „Ich bin nicht so optimistisch“, sagt er, „wir haben jetzt noch 3500 Betriebe im Emsland. Irgendwann werden es noch 500 sein, dazu vielleicht 50 Ranger und ein paar Gnadenhöfe. Und der ganze Rest spielt sich in der Ukraine und in China ab.“
Nun ist Barkmann, der seit zehn Jahren einen Agrar-Blog betreibt, von Haus aus meinungsstark, und so frustriert, wie der Satz vielleicht klang, war er gar nicht gemeint. Aber Barkmanns Einwurf machte etwas deutlich, nämlich wie weit der Weg zu einem Gesellschaftsvertrag ist, und vor allem: wie unsicher die Erfolgsaussichten sind.
Mit dem Gesellschaftsvertrag hat sich die Landwirtschaftsministerin sehr viel vorgenommen, sie hat bei verschiedenen Gelegenheiten ausgeführt, worum es in einem solchen Vertrag gehen muss. „Wir müssen festlegen, welche Landwirtschaft die Gesellschaft überhaupt will“, sagt Otte-Kinast. Welche Erwartungen die Gesellschaft an die Landwirtschaft hat. Was die Gesellschaft bereit ist, dafür zu zahlen. Und welches Angebot die Bauern selbst machen.
Wie komplex die Ausgangslage ist, wird deutlich, als Pastorin Ricarda Rabe aufzählt, welche Akteure angesprochen und gefordert sind. Die Landwirte: konventionell und bio, groß und klein, Ackerbauern und Viehzüchter. Die Politik: christlich-demokratisch und liberal, sozialdemokratisch und grün, links und konservativ. Auch die NGOs, oft Meinungsführer, gehören dazu: Naturschützer, Kirchen, Bauernverbände. Dazu kommt die vor- und nachgelagerte Industrie wie Molkereien und Schlachtereien. Schließlich der Handel mit den großen Vier: Aldi, Lidl, Edeka und Rewe. Und natürlich noch der Bürger: als Verbraucher und als Wähler. Wie kriegt man all diese Akteure, oder wenigstens die Mehrheit von ihnen, unter einen Hut?
„Wir haben alle das gleiche Ziel“, sagt Otte-Kinast, „wir wollen faire Preise, wir wollen gesunde Tiere, wir wollen Klima- und Umweltschutz.“ Grundsätzlich mag dem niemand aus der Runde widersprechen. Aber wie sieht es im Detail aus? Holger Hennies, der neue Landvolkpräsident, stellt die aus seiner Sicht entscheidenden Fragen: „Was kostet es? Wer zahlt es? Und wer steht hinterher dazu?“ Legislaturperioden in Niedersachsen dauern fünf Jahre, ein Gesellschaftsvertrag sollte länger währen.
Beispiel Verbraucher: Mehr als 90 Prozent von ihnen haben nach der jüngsten Forsa-Umfrage angegeben, großen Wert auf Nachhaltigkeit und faire Herstellungsbedingungen zu legen. Hohe Arbeits-, Tierschutz- und Umweltschutzstandards sowie eine regionale Herkunft sind ihnen wichtig beim Lebensmittelkauf. Tatsächlich liegt der Anteil der „bewussten Käufer“, gemessen an der Zahlungsbereitschaft an der Kasse, aber deutlich niedriger. Herbert Dohrmann, Bremer Fleischermeister und Präsident des Deutschen Fleischer-Verbandes, sagt: „Ja, die Nachfrage nach regionalen Produkten hat zugenommen, aber nur bei einem gewissen Teil der Bevölkerung. Wir müssen den größeren Teil der Gesellschaft mitnehmen.“
Im Laufe der Diskussion mit der Ministerin fallen einige Begriffe immer wieder. Man müsse sich auf Augenhöhe begegnen. Man müsse zuhören. Man müsse es für möglich halten, dass auch der Gegenüber mal Recht hat. Tatsächlich beäugen sich einige misstrauisch, die sich im Sinne eines Gesellschaftsvertrages eigentlich als Partner verstehen müssten. Die Landwirte haben zuletzt vor den Lagern der Handelskonzerne gegen zu niedrige Preise protestiert. Grüne, Nabu und BUND hatten im vergangenen Jahr zwischenzeitlich ein Volksbegehren Artenvielfalt auf den Weg gebracht, während Nabu- und BUND-Vertreter parallel bei den Verhandlungen zum „Niedersächsischen Weg“ mit der Landespolitik und der Landwirtschaft zu genau diesem Thema am Tisch saßen. Auf diese „Doppelstrategie“, wie sie es nennen, sind viele Landwirte immer noch nicht gut zu sprechen.
Dabei scheint der „Niedersächsische Weg“ vielen in der Diskussionsrunde als Mutmacher zu taugen. Denn am Ende hatte der Landtag den „Niedersächsischen Weg“ mit den entsprechenden Gesetzesänderungen einstimmig beschlossen. Damit werden der Natur- und Artenschutz im Land deutlich verbessert und Landwirte entschädigt. Das Volksbegehren war vom Tisch. „Die Gespräche für den ,Niedersächsischen Weg‘ waren eine super Vorbereitung für einen Gesellschaftsvertrag“, sagt Gisela Wicke aus dem erweiterten Nabu-Vorstand Niedersachsen.
Zukunftswerkstätten, Runde Tische, Bürgerdialoge – die Zusammenarbeit für einen Gesellschaftsvertrag hat gerade erst angefangen. Otte-Kinast sagte am Ende der zweistündigen Diskussion: „Ich fühle mich bestätigt, weiterzumachen.“