Parteitag in Celle Niedersachsens Grüne rücken mit neuer Doppelspitze nach links

Zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren haben die niedersächsischen Grünen eine linke Doppelspitze. Sie wählten mit Hans-Joachim Janßen und Anne Kura eine Doppel-Fundi-Spitze.
27.10.2018, 18:49 Uhr
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Niedersachsens Grüne rücken mit neuer Doppelspitze nach links
Von Peter Mlodoch

Ein pflichtgemäßer Applaus für den Sieger, dann schlich sich erst einmal ein bedrückender Hauch von Grabesstille in die Halle der Congress-Union in Celle. In einer knappen Kampfabstimmung um den männlichen Chef-Posten bei den niedersächsischen Grünen setzte sich am Sonnabendabend der Landespfleger Hans-Joachim Janßen aus Jade (Landkreis Wesermarsch) mit 108 zu 83 Voten gegen den umstrittenen Amtsinhaber Stefan Körner aus Hannover durch. Nach Triumph war den Parteilinken allerdings nicht zumute. Gleich nach Bekanntgabe des Ergebnisses waren etliche Fundis aus Angst vor einem offenen Ausbrechen der alten Grabenschlachten zunächst um Schadenbegrenzung bemüht und spendeten gemeinsam mit den Realos deren unterlegenem Kandidaten Trost.

„Ich bedanke mich für euer Vertrauen. Ich hoffe, dass ich es rechtfertigen kann“, bedankte sich der 57-jährige Janßen bei der Basis. In seiner Bewerbungsrede hatte der frühere Landtagsabgeordnete der großen Koalition in Hannover eine „Arroganz der Macht“ vorgeworfen. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) agierten als VW-Aufsichtsratsmitglieder als „Schutzpatrone der Dieselbetrüger“. Die Grünen seien kein Anhängsel der SPD, sondern müssten sich auch in Niedersachsen künftig auf Dreier-Bündnisse einstellen. Als ausgesprochenes „Landei“ werde er sich für die Interessen des ländlichen Raums einsetzen. „Mobilität ist bei uns etwas ganz anderes als in den großen Städten wie Hannover oder Oldenburg“, meinte der Diplom-Ingenieur. „Wir sind schon froh, wenn der ÖPNV aus mehr besteht als zwei Schulbusverbindungen morgens und mittags.“ Janßen, der erst vor zwei Wochen auf Betreiben des Fundi-Lagers seinen Hut in den Ring geworfen hatte, versprach eine „deutlichere Wahrnehmung“ des grünen Landesverbandes in der Öffentlichkeit.

Das richtete sich natürlich indirekt gegen den bisherigen Amtsinhaber. Körner, der 2015 an die Parteispitze gerückt war, stand innerparteilich seit Monaten unter Beschuss. Blasser Redner, wenig Ideen, schwache Performance, lauteten die Attribute, die man dem 41-Jährigen anheftete. Vor allem die Fundis lasteten ihm eine gehörige Mitschuld an der grünen Schlappe bei der Landtagswahl vor einem Jahr an. Körner wehrte sich in Celle noch einmal mit einem eher munteren Auftritt und versuchte dabei, seine vermeintlichen Schwächen geschickt in Szene zu setzen. „Ich gebe euch keine Garantie für eine tägliche Schlagzeile. Aber ich verspreche euch: Für mich kommen unsere Partei und der Landesverband immer zuerst.“ Es nutzte ebenso wenig wie sein vielbejubelter Verweis auf die neue Rekordzahl von stattlichen 7223 Parteimitgliedern.

Damit nahmen die Niedersachsen-Grünen vorerst Abschied vom bisher sorgsam austarierten Gefüge zwischen den beiden Flügeln. Denn weit mehr als zu einem Selbstläufer geriet die Wiederwahl von Anne Kura aus Osnabrück. Die 34-jährige Europawissenschaftlerin, die wie Janßen dem linken Lager zugerechnet wird und erst vor einem halben Jahr an die Parteispitze gerückt war, heimste für grüne Verhältnisse traumhafte 92,9 Prozent der Stimmen ein. „Ihr seid wahnsinnig“, rief sie den Delegierten völlig entzückt zu.

Beflügelt vom Wahlerfolg in Bayern hatte Kura die Niedersachsen-Grünen selbstbewusst als „Partei der Zukunft“ präsentiert, die ihre „Positionen offensiv und optimistisch vertreten“ werde. Auch sie attackierte die großen Koalitionen in Bund und Land, warf ihnen Politikverweigerung vor. „Politik ist dazu da, Probleme zu lösen.“ Bloße Appelle – ob an Landwirte oder an die Autobosse – reichten bei weitem nicht mehr. „Das Verbot der Ferkelkastration muss endlich kommen“ hielt die Grünen-Vorsitzende Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) vor. Auch SPD-Umweltminister Olaf Lies bekam sein Fett weg. „Aus dem Ministerium kommt hauptsächlich heiße Luft“, meinte Kura mit Blick auf die Stickoxidbelastung in den Städten. „Wir brauchen klare Grenzwerte. Die setzt die Politik und nicht die Industrie.“

Kura und Janßen beschworen beide den Zusammenhalt der Partei, mochten sich selbst nicht eindeutig in den Flügeln verordnen lassen. Ob Menschenrechte, Klimaschutz, Kampf gegen Rechts, Widerstand gegen das neue Polizeigesetz, Geschlechtergerechtigkeit, bei all diesen Themen zeigten sich keine Unterschiede zu den Positionen des abgewählten Vorsitzenden.

Der sei doch auch nur ein Bauernopfer, schimpfte eine langgediente Abgeordnete aus dem Realo-Lager: „Es ist eine Sauerei, Stefan Körner für den nicht ausgefochtenen Machtkampf zwischen Stefan Wenzel und Christian Meyer als Schuldigen vors Rohr zu schieben.“ Schon in der rot-grünen Regierung hätten sich die damaligen Ressortchefs für Umwelt und Landwirtschaft und heutigen Landtagsabgeordneten nicht über den richtigen Kurs gegenüber dem Koalitionspartner SPD einigen können. Ex-Minister Wenzel gilt als Realo, sein Kollege Meyer als Fundi.

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