
Beim Worpsweder Galeristen Wilfried Hubert steht derzeit ein bisher völlig unbekanntes Ölgemälde von Otto Modersohn zum Verkauf. Es ist unter der mit Wasserfarbe übermalten Rückseite der „Weyerberg-Heidelandschaft“ entdeckt worden, die der Mitbegründer der Worpsweder Künstlerkolonie vermutlich 1916 auf Leinwand gebannt hatte.
Laut Rainer Noeres vom Otto-Modersohn-Museum, der in einer Expertise die Echtheit des Ende vergangenen Jahres gehobenen Kunstschatzes bestätigte, ist die Landschaftsmalerei auf der Rückseite etwa zwölf Jahre älter. Wilfried Hubert gab ihr den Namen „Maitag 1904“.
Unter hellblauem Himmel breitet sich eine grüne Landschaft aus. Mittendrin ein Bauer, der auf einem urbar gemachten Torfabstich sein Feld bestellt. Ganz im Hintergrund erhebt sich ein Hügel, den der Besitzer des Gemäldes als Weyerberg zu identifizieren glaubt, was schwer zu widerlegen sein dürfte. „Die Birken sind grün, die Bäume links aber noch nicht so weit“, stellt Wilfried Hubert fest, um daraus den Schluss ziehen, dass es sich bei dem rund 110 Jahre lang den Blicken der Öffentlichkeit entzogenen Modersohn um ein Frühlingsbild handelt. Daher taufte er es „Maitag 1904“.
Die bekannte Frontseite des Bildes wird im Atelierbuch Otto Modersohns unter dem Titel „Heidehügel, sonniger Mittag“ für die Jahre 1914/15 erwähnt. 1918 ist das Ölgemälde nach Berlin verkauft worden, um irgendwann nach München zu gelangen, von wo aus es wieder zurück nach Worpswede kam. Wilfried Hubert hatte für das Kommissionsgeschäft mit dem Verkäufer, einem Rechtsanwalt aus der bayerischen Landeshauptstadt, 2001 eine Expertise in Auftrag gegeben. Für das Otto-Modersohn-Museum in Fischerhude wies Christian Modersohn, der Sohn des Meisters, daraufhin die Authentizität des Werkes nach und stellte dabei auch fest, dass die Rückseite übermalt worden war. Der Sachverständige legte daraufhin bereits einen Ausschnitt frei, den Bauern im Zentrum.
„Ich habe es dann nach Brandenburg verkauft“, berichtet Hubert, der das Risiko gescheut hatte, die Deckschicht komplett entfernen zu lassen. Er hatte mit einer Rechnung von etwa 5000 Euro vom Restaurator gerechnet. Eine hohe Vorleistung, die unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht gerechtfertigt gewesen wäre, hätte sich unter der Deckschicht am Ende nur ein Fragment verborgen.
Doch der Worpsweder sollte seine Vorsicht noch bereuen. Der Käufer, ein Archäologe, ging das Wagnis ein, ließ die Leinwand aus dem Keilrahmen herauslösen und die dunkle Deckschicht komplett entfernen. Zum Vorschein kam ein vollständiger Modersohn, den Hubert besonders für seine „Helligkeit und Freundlichkeit“ schätzt. Er hat das 69 x 93 Zentimeter große Gemälde inzwischen zurückgekauft und bietet es in seiner Galerie für einen Betrag im hohen fünfstelligen Bereich an.
Für „ungültig erklärt“
Wenn man das zweiseitig zu betrachtende Bild mit einer Schallplatte vergleicht, dann würde der Worpsweder Kunsthändler Modersohns B-Seite den Vorzug geben. „Weil sie schöner gemalt ist.“ Der Landschaftsmaler war da offenbar ganz anderer Meinung. Indem er es übermalte, hat er das Gemälde mit dem im Torfabstich arbeitenden Bauern quasi für „ungültig erklärt“, so die Überzeugung von Rainer Noeres, der es im Auftrag des Brandenburger Archäologen begutachten ließ.
Wie Noeres wissen lässt, hat der auch für seine Zeichnungen geschätzte Modersohn in seinem langen Künstlerleben (1865 bis 1943) rund 6000 Ölbilder gemalt. Hubert stellt in seiner Galerie noch ein zweites aus: „Im alten Dorf an der Wümme“. Ein Bauer treibt sein Vieh durch den Ort. Noeres weist darauf hin, dass es nicht selten vorkam, dass ein Bild von beiden Seiten bemalt wurde. Denn den Kunstschaffenden mangelte es oft an Geld und Material. „Das am Ende für weniger wertvoll gehaltene Gemälde wurde dann einfach übermalt.“ Neben Bildern ohne „B-Seiten“ oder welchen, bei denen diese verdeckt und damit aus dem Verkehr gezogen wurden, gibt es viele „Doppelbilder“.
Hubert hat das seine auf der von ihm favorisierten Seite mit einem Passepartout versehen, das die Schäden verdeckt, die am Rand bei der Befestigung der Leinwand am Original-Keilrahmen entstanden sind. „Wenn der Käufer die Fläche unter dem Passepartout restaurieren lässt, ist das Bild noch ein Stück größer“, schmunzelt Hubert.
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