
Hagen. Sie hießen Leeser, Goldschmidt und Goldmann, und sie waren jüdische Bürger der Gemeinde Hagen, die ihre Spuren hinterlassen haben. Mit ihren Geschichten befasst sich schon seit Jahren Hansdieter Kurth, geschichtsinteressierter Hagener und langjähriger Chefredakteur der Heimatzeitung „Unter der Staleke“. Anlässlich des 80. Jahrestages der Reichspogromnacht begab er sich jetzt mit einer Gruppe interessierter Bürger bei einem Spaziergang auf die Spuren der jüdischen Geschichte der Gemeinde. Für jeden zugänglich sind einzelne Stationen dieser Geschichte durch neu aufgestellte Hinweistafeln der Gemeindeverwaltung an der Villa Goldschmidt, am Synagogenweg, am früheren Standort der Synagoge und am jüdischen Friedhof.
Start ist an der Blumenstraße, die früher Judenhörn hieß. „Ein Hörn ist eine Straße, die am Rande einer Ortschaft liegt“, weiß Hansdieter Kurth. Vier Anwesen jüdischer Bürger habe es hier gegeben. Ein Eckhaus gehörte dem Gerber Goldschmidt, wie einer alten Steuerliste zu entnehmen ist. Die Villa Goldschmidt, die ihren Namen von dem jüdischen Arzt Dr. Adolf Goldschmidt (1878-1924) bekam, ist heute Sitz der Jugendhilfestation und beeindruckt noch immer mit ihrem herrschaftlichen Stil, der über die Jahre erhalten blieb. Über die Jahrzehnte hatte das Haus verschiedene Besitzer, in den 1930er-Jahren wurde es zwangsweise an die Gemeinde verkauft. Anfang der 1950er-Jahre musste der Kauf zu einem angemessenen Preis wiederholt werden, hat Hansdieter Kurth recherchiert. Von 1952 bis 1964 war die Villa Wohnsitz und Praxis des Zahnarztes Dr. Petersen sen.. Vor dem Bau der Villa hatte das Kaufhaus Gottschalk bis zum Jahre 1839 an dieser Stelle seinen Sitz.
Neben der Villa wohnte die Familie von Moses Goldmann, der Synagogendiener war. Dessen Nachbar war der Viehhändler Siegfried Goldmann. Zwischen den Häusern befand sich die Zufahrt zur Synagoge. Erbaut 1861, wurde sie in der Nacht vom 10. auf den 11. November 1938 durch Brandstiftung zerstört. Bis auf Reste der Außenmauer sei das Haus damals abgebrannt, und auch diese standen nicht mehr lange: „Hagener Bürger bedienten sich an den Steinen und errichteten ihre Häuser auf Fundamenten aus den zerbröselten Ziegelsteinresten der Synagoge“, hat Kurth in Erfahrung gebracht. Das Bild vom Aussehen der Synagoge ist eine Gedächtnisskizze, angefertigt nach Angabe eines früheren Maurermeisters aus Bramstedt. Zwölf Meter lang und neun Meter breit sei das eingeschossige Backsteingebäude gewesen. Wände und Decke waren blau bemalt mit goldenen Sternen. Zwei getrennte Bankreihen – je eine für Frauen und eine für Männer – boten 50 Personen Platz. Erbaut war das Haus in Ost-West-Richtung, im ostwärtigen Teil befand sich eine Empore mit Tisch, auf der beim Gottesdienst die Tora-Rollen, die Heilige Schrift des Judentums, ausgerollt wurden. „Die Besucher schauten nach Osten gen Zion, damit sie einen geistigen Blick auf Jerusalem hatten“, weiß Hansdieter Kurth. Die Synagoge war nicht nur ein Gotteshaus, sondern auch ein Haus der Versammlung, in dem das kulturelle Leben der jüdischen Gemeinde genauso stattfand wie der Religionsunterricht. Gestiftet wurde das jüdische Gemeindezentrum vom jüdischen Kaufmann Abraham Gottschalk (1760-1860) kurz vor seinem Tode, erbaut wurde es ein Jahr später. Der aus Bamberg stammende Gemischtwarenhändler lebte mit seiner Frau und acht Kindern in Hagen.
In Brand gesetzt worden sein soll die Synagoge von fünf Männern, nachdem Hagener Bürger Stroh und Heu in das Haus geschafft hatten. „Am 11. November 1938 entdeckte der siebenjährige Sohn von Catharina und Heinrich Hüllen aus seinem Zimmer von gegenüber den Schwelbrand in der Synagoge, der noch leicht zu löschen gewesen wäre“, erzählt Hansdieter Kurth. Die Eltern alarmierten die Feuerwehr, die aber erst um die Mittagszeit vom Feuerwehrhaus aus, das neben dem heutigen Rathaus seinen Platz hatte, mit ihren Pferdewagen anrückte. Anfangs sei kein Löschwasser verfügbar gewesen, dann hielten die Wehrmänner die Spritzen so, dass das Löschwasser über die lichterloh brennende Synagoge hinweg spritzte. „Das ist ein Befehl, das müssen wir tun“, habe ein Vater seiner Tochter auf die Frage nach dem Warum geantwortet, so Kurth, der im Laufe der Jahre mit vielen Zeitzeugen gesprochen hat. Den Ort und die Synagoge verband der Synagogenweg, der in Teilstücken noch heute zugänglich ist. An die Synagoge erinnert ein im Jahre 1981 aufgestellter Gedenkstein an der Kirche in der Ortsmitte.
„Goldmann´s Saal“, ein Parkgelände, ist der nächste Halt. Dort stand früher das Vieh des Hagener Viehhändlers Siegfried Goldmann, das er in der Marsch kaufte und unter anderem zum Markt nach Scharmbeck brachte. Auch damit es auf dem Weg nicht zu viel Gewicht verlor, wurde der Zwischenstopp auf der Weide in Hagen eingelegt. Das Wort „Saal“ ist von der Suhle abgeleitet, dem Matschloch, in dem die Tiere sich gesuhlt haben und das heute ein Teich ist. „1979 hat die Gemeinde das einen Hektar große Gelände gekauft, um eine mehrgeschossige Wohnanlage zu errichten“, weiß Hansdieter Kurth. Doch die Wohnbebauung scheiterte am Widerstand aus der Bevölkerung, es entstand ein Park.
Unweit der Parkanlage führt der Synagogenweg zum Grünen Weg. Im Haus mit der Nummer 4 wohnte bis 1930 der jüdische Schlachter Moritz Leeser, genannt Momo. „Am Anfang der Woche ging er zu seinen Stammkunden und fragte, was sie am Wochenende haben wollten. Mitte der Woche wurde das Vieh geschlachtet und verarbeitet, am Freitag erfolgte die Auslieferung der Ware“, hat Hansdieter Kurth in Erfahrung gebracht. Auch koscher wurde geschlachtet. Dazu musste die Werkstatt ausgiebig gereinigt werden, das Werkzeug wurde gesegnet. Die Schüler der Volksschule, die heute als Asylbewerberunterkunft dient, versorgte der angesehene Bürger mit den Früchten seiner Obstbäume, die neben der heutigen Feuerwehr standen. 1930 nahm sich seine Frau das Leben, kurz danach starb er ebenfalls.
Viele der jüdischen Bürger sind auf dem jüdischen Friedhof in Hagen beigesetzt, der versteckt in einem Waldstück liegt und 1786 erstmals urkundlich erwähnt wurde. 84 Grabsteine befinden sich auf dem 1300 Quadratmeter großen Gelände. Auch Ida Leeser (1859-1935) fand dort ihre letzte Ruhe. Sie wohnte in einem Haus in unmittelbarer Nähe des heutigen Rathauses, war Handarbeitslehrerein und stand in gutem Kontakt zur Apothekerfamilie Müller, den ehemaligen Besitzern der „Alten Amtsapotheke“. Das Obergeschoss ihres Hauses vermietete sie an ledige Lehrerinnen.
Das aktive jüdische Leben in der Gemeinde fand während der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg ein jähes Ende. Die jüdischen Bürger wurden, sofern sie nicht ausgewandert waren, deportiert und kamen nie zurück.
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