
Bernd Lütjen: „Natürlich war es toll, denn in dem Jahr bist du, lieber Theo, zur Welt gekommen!“ - Es ist so viel passiert. Natürlich steht über allem diese Pandemie, in unterschiedlichen Ausprägungen. Es gab zwei normale Monate und dann hat Corona voll zugeschlagen.
Wie haben Sie persönlich das erlebt?Am Anfang, als die ersten Zahlen aus China kamen, war das ja noch weit weg. Dann gab es die ersten Infektionen in Deutschland, aber auch da habe ich mit einem solchen Ausmaß nicht gerechnet.
Und wie war es, als das Virus näher kam?
Man macht es dann ja an so bestimmten Momenten fest. Ich hatte als alter Fußballer zugesagt, Anfang März in Ritterhude die Siegerehrung bei der Hallenlandesmeisterschaft der Ü 40-Senioren vorzunehmen, und abends war dann eine Party in Ihlpohl mit 400 oder 500 Leuten. Nur ein, zwei Wochen später kam es mir unvorstellbar vor, dass ich da dabei gewesen bin. Es hat sich alles so rasant entwickelt, und es gab immer neue Superlative, im negativen Sinne. Es sind Dinge eingetreten, die man kurz vorher noch für unmöglich gehalten hatte, und das hat sich so fortgesetzt. Es hat einen ständig begleitet, ohne dass es zur Normalität wurde.
Was daran war besonders herausfordernd?
Schwierig waren die ersten maßgeblichen Entscheidungen, als es darum ging, die Verordnungen umzusetzen und selbst auch tätig zu werden: konkrete Veranstaltungen tatsächlich zu untersagen, obwohl sie im Nachbarlandkreis eventuell noch möglich gewesen wären. Da haben wir als Behörde hier schon frühzeitig aufgrund des Einzugsbereichs die Notwendigkeit gesehen, dass sie nicht stattfinden können. Dabei weiß ich doch, was an Herzblut dahinter steckt, solche Veranstaltungen zu organisieren. Solche Absagen treffen die Veranstalter schließlich auch finanziell massiv.
Unbequeme Entscheidungen für Sie und für andere…
Ja, aber sie waren absolut notwendig. Und auch da gilt: Eine Woche später war klar, dass es so richtig gewesen ist. Aber zuerst rufen die Leute hier an und fragen, wie so etwas angehen kann. Damit musste man sich ständig auseinandersetzen: Man nimmt den Menschen ja auch etwas weg und schränkt sie ein, um die Gesamtsituation in den Griff zu bekommen. Viele kleine Maßnahmen, die mancher vielleicht tolerieren würde – und die immer dann wehtun, wenn sie einen selbst betreffen.
Inwieweit haben die Einschränkungen ihre persönlichen Pläne durchkreuzt?
Mit Sicherheit hätten wir unser Enkelkind viel häufiger sehen können, sei es bei meiner Tochter in Bielefeld oder bei uns in Hambergen. So hat sich das leider sehr stark reduziert. Im Freundeskreis hätte es runde Geburtstage gegeben, und auch meinen Schwiegervater habe ich zu seinem 83. Geburtstag nicht besuchen können. Als Landrat schmerzen mich auch die abgesagten Veranstaltungen. Alle Schützenfeste, alle Erntefeste, der Herbstmarkt, unser Findorffjahr – was hatten wir da nicht alles vorbereitet. Im ehrenamtlichen Bereich ist so viel ins Wasser gefallen, das ist schon Wahnsinn. Ich bin als amtierender Schützenkönig am 14. März auch nicht mehr zum Bezirkskönigsschießen gegangen. Es wäre nicht verboten gewesen, aber als Landkreis hatten wir da schon empfohlen, Treffen zu vermeiden, die nicht unbedingt notwendig sind. Also war für mich auch klar, dass ich da auch nicht hingehe.
In Pandemie-Zeiten haben die Landkreise eine Schlüsselrolle, sind, wie Sie angedeutet haben, Spielverderber und Buhmann. Wie gehen Sie damit um?
Wir haben bisher 30 Verordnungen des Landes bekommen, die wir hier vor Ort umzusetzen haben, teilweise kamen noch weitergehende Allgemeinverfügungen hinzu. Die Rahmenvorgaben zwingen uns zum Handeln, und wir können sie nicht umgehen oder aufweichen. Oft sind diese Verordnungen nicht einfach zu kommunizieren, wir haben daher frühzeitig stark auf Information und Transparenz gesetzt: auf der Homepage, wo wir allein auf der Corona-Infoseite über 600.000 Zugriffe hatten; über Presseinformationen und das Bürgertelefon, das wir seit dem ersten Lockdown betreiben. Da gab es bisher über 22.000 Anrufe und fast 1000 schriftliche Nachfragen zu den Corona-Verordnungen. Bei Facebook, Instagram und Twitter haben wir über 2000 zusätzliche Nutzer bekommen.
Dort bekommen Sie dann ja auch direkte Rückmeldungen, die nicht immer nur freundlich sind…
Ja, aber es war eine gute Entscheidung. Am Bürgertelefon und in den Sozialen Medien bekommen wir wichtige Hinweise, aber auch Kritik ab für Sachen, die auf Bundes- oder Landesebene nicht gut gelaufen sind. Oder für Dinge, die uns nun mal vorgegeben sind und die wir oft sogar noch schärfer umsetzen könnten. Es treten Politiker im Fernsehen auf mit Zukunftsentscheidungen, die vielleicht gut gemeint, aber nicht immer gut gemacht sind. Die Leute beschweren sich dann aber nicht in Berlin oder in Hannover, sondern bei uns. Was sich die Kolleginnen und Kollegen am Bürgertelefon anhören müssen, ist teilweise ganz schön heftig.
Es gibt nun mal auch sehr viele Fragen…
Das stimmt. Das Problem ist: Manches begreife ich selbst nicht, dann kann ich es anderen auch nicht vermitteln. Warum im ersten Lockdown die Autowaschanlagen und Baumärkte in Niedersachsen geschlossen waren und in Bremen nicht, das hat doch kein Mensch verstanden. Da konnten wir denjenigen, die sich an uns gewandt haben, einfach nicht weiterhelfen. Es gibt im Föderalismus manchmal selbstgemachte Probleme, die es unnötig erschweren.
Kürzlich hat Bayerns Ministerpräsident erklärt, er befürworte eine Impfpflicht in Pflegeberufen. Was halten Sie davon?
Ich werde mich in jedem Fall impfen lassen, aber von einer Impfpflicht halte ich gar nichts, auch nicht für bestimmte Berufsgruppen. Ich kann einige Argumente der Impfgegner zwar nicht nachvollziehen, aber das steht auf einem anderen Blatt: Es soll sich jeder frei dafür oder dagegen entscheiden können; auch alle meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen sich nicht genötigt fühlen.
Der Ruf nach stärkeren Einschränkungen für Industrie und Handwerk, um die Inzidenzzahlen zu senken, ist das für Sie auch so ein TV-Thema?
Dann müsste man die Wirtschaft ganz runterfahren. Das halte ich schon für ein Riesenproblem. Wie will man das regeln? Ich würde überall dort, wo es möglich ist, dazu aufrufen, noch mehr auf Homeoffice setzen. So halten wir es auch als großer Arbeitgeber. Alle Akteure sind in der Pflicht, die Rahmenbedingungen für Homeoffice zu schaffen. Wir kämen einen großen Schritt weiter, wenn da noch mehr passieren würde.
Haben Sie sich schon Gedanken für den Fall gemacht, dass der Inzidenzwert auf über 200 steigt? Kommt es dann im Landkreis Osterholz zu diesem 15-Kilometer-Radius?
Nein. Ich halte es für nachvollziehbar, dass der Landkreis Gifhorn als erster betroffener Landkreis diese Einschränkung auch nicht angeordnet hat. Wo fängt man da an zu messen? Und wer will kontrollieren, was ein triftiger Grund ist und was nicht? Die Idee hinter der Regelung ist gut, die Menschen dafür zu sensibilisieren, dass noch mehr Kontaktbeschränkung notwendig ist. Dass sie sich fragen, welche Fahrt nötig ist, in welchem Umkreis auch immer. Aber die praktische Umsetzung, bei der wir als Landkreis gefordert sind, halte ich für höchst problematisch.
Die Pandemie bestimmt die Debatten in Politik, Medien und Gesellschaft. Bekommt Corona nach Ihrer Meinung zu viel Gewicht?
Ja und nein. Wichtig ist, dass die Leute richtig informiert werden. Manches ist mir aber auch einfach zu viel und überflüssig…
Vor einem Jahr haben wir uns an dieser Stelle über Politikverständnis, Demokratieverdrossenheit und Klimaschutz unterhalten. Wo sind diese Themen?
Die sind nach wie vor wichtig für den Landkreis. Das Klima-Thema tritt vielleicht ein wenig in den Hintergrund, aber seine Bedeutung ist unverändert groß. Man nimmt es nur nicht so wahr wegen der Einschränkungen des Alltagslebens. Die Notwendigkeit, sich über diese Themen Gedanken zu machen, ist jedenfalls nicht weniger geworden. Das wird man in diesem Wahljahr auch noch sehen. 2021 sind bekanntlich Bundestagswahl, sechs Landtagswahlen und die für uns ganz wichtige Kommunalwahl am 12. September.
Deren Abwicklung bedeutet viel Arbeit für die Haupt- und Ehrenamtlichen…
Ja, wobei ich davon ausgehe, dass die Lockerungen uns bis dahin wieder die bewährten Formen Urnenwahl und Briefwahl erlauben werden. Eine reine Briefwahl wird es, glaube ich, nicht geben, auch wenn sicher viele Menschen per Briefwahl abstimmen werden. Und mit der zuletzt diskutierten Möglichkeit einer Online-Stimmabgabe rechne ich für dieses Jahr nicht.
Kreis- und Direktwahl des Landrats werden von Ihrer Stellvertreterin geleitet?
Das ist richtig.
Sie wissen, worauf wir hinaus wollen: Bedeutet das, dass Sie selbst kandidieren und sich als Landrat wieder zur Wahl stellen?
Ich würde gerne fünf weitere Jahre als Landrat hier im Landkreis Osterholz tätig sein, ja.
Was hat Sie dazu bewogen?
Bei all den Schwierigkeiten, die so ein Job auch mit sich bringt, gibt es in dieser Funktion weitreichende Entscheidungen zu treffen. Es ist eine sehr interessante und vielschichtige Aufgabe: Jeder Tag sieht anders aus, und ich habe hier ein gutes, motiviertes Team. Corona hat gezeigt, wie wir als Verwaltung aufgestellt sind, und was da geleistet wurde, das ist schon ganz etwas Besonderes – freiwillig und weit über das Normalmaß hinaus, an sieben Tagen die Woche. Mit so einer tollen Mannschaft will ich gerne auch noch weiter zusammenarbeiten.
Dann schildern Sie doch bitte kurz Ihr Wahlprogramm: Mit welchen Zielen und Projekten wollen Sie um Wählerstimmen werben?
Der Landkreis hat zuletzt so viele Dinge angeschoben, da wird man große zusätzliche Vorhaben bis 2026 kaum lostreten können. Es gibt aber viele Vorhaben, die zum Teil auch schon finanziell abgesichert sind, da brennt es mir einfach auf den Nägeln, dass es damit auch endlich losgeht, wie beim BBS-Neubau. Es ist eine Menge in der Pipeline, davon würde ich gerne noch einiges gut abschließen oder zumindest entscheidend voranbringen: der Umbau am Kreiskrankenhaus, das neue Kurzzeitpflegeheim, die Bioabfallvergärungsanlage, die Digitalisierung der Kreisverwaltung, der Breitbandausbau, die Zukunft des Schießplatzes in Waakhausen, die Sanierung der Museumsanlage und des Kaffees Worpswede.
Kennen Sie denn überhaupt schon einen Gegenkandidaten?
Nein, es wird mit Sicherheit weitere Bewerber geben, aber das muss man abwarten.
Die Fragen stellte Bernhard Komesker.
Bernd Lütjen (57)
ist seit Oktober 2013 direkt gewählter Landrat des Landkreises Osterholz und damit Vorgesetzter von mehr als 570 Beschäftigten. Als Diplom-Verwaltungswirt war Lütjen - nach 18 Jahren als Kreisbediensteter - zunächst im Jahr 2001 Bürgermeister der Samtgemeinde Hambergen geworden, wo er zwölf Jahre lang wirkte und bis heute lebt. Lütjen ist verheiratet und Vater von drei Kindern.
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