
Von Hüttenbusch nach New York – so kann man verknappt Ihren Werdegang zusammenfassen.
Cihan Cakmak: Ich bin ja nicht in New York geblieben, insofern könnte man eher sagen: von Hüttenbusch nach Leipzig.
Was waren die ersten Schritte dorthin?
Meine Familie ist nach Bremen gegangen, als ich noch relativ jung war. Ich bin dann mit 18 ausgezogen, aber es war mir schon vorher klar, dass ich einen anderen Lebensweg einschlagen möchte. Auch abseits von Kultur und Religion war ich neugierig auf ein anderes, selbstbestimmteres Leben. Das, was meine Familie lebte, war nicht meins, das wollte ich nicht.
Hat die Fotografie dabei auch ein bisschen den Weg gewiesen?
Ich habe schon relativ früh damit angefangen, ich denke so mit 14 oder 15 Jahren. Das war immer etwas schwierig, weil man als Frau in diesem Kulturkreis eben nicht künstlerisch tätig ist. Fotografie ging da schon mal gar nicht. Ich habe das damals mehr für mich gemacht, aber es sind auch Aufnahmen entstanden, mit denen ich mich später für die Hochschule in Dortmund beworben habe.
Ihre Grundschullehrerin in Hüttenbusch war aber auch nicht ganz unschuldig an der Entwicklung, oder?
Das stimmt. Ich habe in der Grundschule immer sehr gerne gemalt, und das hat sie wahrgenommen und sehr gefördert. Es waren weniger meine Eltern, sondern andere Leute, die gesehen haben, wie viel Spaß mir das machte. Ich glaube, das sollte man nie außer Acht lassen: Es gibt viele Menschen, die daran „schuldig“ sind, dass man die Person wird, die man ist. Das muss nicht immer aus der Familie kommen. Leider habe ich diese Lehrerin nie wieder gesehen, ich habe keine Ahnung, was sie macht.
Sehen Sie sich als Beispiel dafür, dass man sich in einem gewissen Maß auch entscheiden kann, was man an familiärer Prägung mitnimmt und wovon man sich trennt?
Ja, das kann man schon. Aber was die Psyche angeht, ist das was anderes. Man hat keine Entscheidungskraft, wenn es beispielsweise um Krankheiten geht, die sich durch die Familie ziehen, oder ungelöste Probleme, die in Traumata münden. Da gibt es unter Kurden sehr gängige Muster, die aus Erfahrungen von Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung entstehen. Man bekommt einfach mit, dass nicht nur bei den Eltern etwas davon steckt, auch wenn sie nie darüber reden. Man nimmt selber auch diese Angst mit.
Was wäre aus Ihnen geworden, wäre es nach Ihren Eltern gegangen?
Meine Familie wollte gerne, dass ich Lehrerin oder Ärztin werde, wie alle Eltern sich das wünschen, das hat ja nichts mit dem Kurdischsein zu tun. Natürlich kann man sich dagegen stellen und sagen: Ich will aber Künstlerin werden. Aber dazu braucht man extrem großen Willen und viel Kraft, das schaffen nicht viele. Und ein bisschen verrückt sein muss man auch! Man muss über seine Grenzen hinausgehen – ich glaube, das ist das Geheimnis. Eigentlich ist das gar keins, man muss es nur immer und immer wieder tun und dabei aufpassen, dass es gesund bleibt.
Wann war für Sie klar, dass Sie Künstlerin werden und die Fotografie zu Ihrem Beruf machen wollen?
Eigentlich wollte ich ja Regisseurin werden; vielleicht kommt das noch. Mir war das schon sehr früh klar, weil ich schon immer ein sehr visueller Mensch war. Ich nehme viel wahr, und das bewegt sich und arbeitet in meinem Kopf weiter. Da ist immer irgendetwas, das raus will, wie ein Drang. Da gehen Bilder durch mich hindurch und kommen, einmal durchgeschüttelt, wieder hervor.
Sie haben das Thema Trauma erwähnt. Davon handelt Ihre aktuelle Fotoreihe. Wie setzen Sie einen inneren Prozess in Bilder um?
Ich habe das auf meine Nachtträume bezogen. Ich bin ja keine Psychoanalytikerin, aber ich denke, dass man ziemlich viel daraus lesen kann. Dinge, die sich im Kopf immer wiederholen wie eine unbewusste Bildsprache, die einem die ganze Zeit etwas sagen will. Das muss man irgendwie interpretieren. Auf der anderen Seite sitzen Traumata nicht nur im Kopf, sondern an bestimmten Stellen im Körper, wo man sie spüren kann. Das kann man darstellen. Dazu werden aber auch bewegte Bilder kommen und Menschen, die von ihren Traumata erzählen. Bisher habe ich das auf kurdische Frauen beschränkt, die ich interviewe, aber ich kann mir vorstellen, auch auf andere Kulturkreise überzugehen.
Die Fotos sind also komplett durchkomponiert auf diesen Inhalt hin. Ist es auch möglich, dass Sie etwas Optisches vorfinden, was Sie einfach nur gerne fotografieren wollen?
Es ist meistens so, dass ich schaue, was die Protagonistinnen mir an visuellem Futter geben. Das steht dann immer in Korrespondenz zu dem, was ich vorfinde. Ich sehe einen Feigenbaum, der sich im Wind bewegt und denke an eine Geschichte, die mir meine Mutter früher erzählte. Aber ich bin nicht mit der Kamera losgegangen auf der Suche nach so einem Baum. Ich setze das dann zusammen und bestimme den Bildrahmen über den Ausschnitt, den ich wähle.
Jemand hat mal geschrieben, dass Ihre Bilder auf eine leise Art rebellisch seien. Sehen Sie sich so?
Ja, ich bin total rebellisch. Das war schon immer so: Ich finde immer etwas, wogegen ich bin. Das ist nicht nur diese Anti-Mainstream-Haltung in der Jugend, ich ticke einfach so. Sobald sich viele Leute einer Sache hingeben, gibt es bei mir schon immer so ein Ziehen. Ich finde es ok, sich Gruppen anzuschließen, aber man muss immer hinterfragen, was dabei mit einem selber passiert. Wenn man etwas verändern will, dann muss man sich erst mal auf die andere Seite stellen. Meine Rebellion hat mich ja bis hierher gebracht. Es geht mir dabei gar nicht darum, immer alles abzulehnen, sondern etwas Besseres zu wollen.
Sie werden als Jugendliche sicher mal am Barkenhoff oder der Großen Kunstschau in Worpswede gewesen sein. Hätten Sie damit gerechnet, dass Sie dort eines Tages selber mal ausstellen?
Nein, auf keinen Fall! Als Kind denkt man über so etwas ja nicht nach. Aber als ich jetzt davor stand und mir klar wurde, dass ich dort mit meinen Themen und Arbeiten präsent bin, war das schon krass in Bezug auf meine ganze Geschichte. Gerade weil mir das die ganze Zeit so ein Anliegen war, diese Thematik von Unterdrückung, Freiheit, selbstbestimmtem Leben – und nun hängt das genau an diesem Ausgangsort, wo ja auch meine ganzen Erinnerungen herkommen!
Das Interview führte Lars Fischer.
Cihan Cakmak
kommt 1993 in Osterholz-Scharmbeck zur Welt und wächst in Hüttenbusch auf. Ihre Eltern waren aus dem kurdischen Teil der Türkei geflohen. Sie schließt ihre Ausbildung zur Fotografin an der Fachhochschule Dortmund 2017 mit einem Bachelor ab. Es folgen Studienaufenthalte in Marrakesch, Lissabon und New York. 2020 gewinnt Cakmak den Nachwuchspreis des Paula-Modersohn-Becker-Kunstpreises des Landkreises Osterholz. Sie lebt heute in Leipzig und arbeitet an ihrer Diplomarbeit.
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