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Hagen. Auf den ersten Blick macht die einzelne Postkarte aus Ostfriesland einen verlorenen Eindruck am Kühlschrank. Anders sieht es im Arbeitszimmer von Günther Thielking aus: Die große Weltkarte ist mit vielen kleinen blauen und roten Fähnchen versehen. Hinter jeder der Markierungen verbirgt sich eine Erinnerung. „2009 war ich das erste Mal in Kapstadt. Ich sollte die pädagogische Leitung übernehmen“, erzählt Thielking. Er sitzt am Frühstückstisch, nimmt sich zwei Scheiben Salami und belegt damit sein Körnerbrötchen. „Ich habe damals mit meiner Frau darüber gesprochen, einen Kontoauszug geholt und zugesagt. Zweifel kann man hinterher äußern“, fügt er hinzu. Das ist schon immer das Lebensmotto des 69-Jährigen gewesen.
Morgens isst er am liebsten Körnerbrötchen, denn die gibt es in der Regel auch auf den Lehrgängen. An denen nimmt Thielking häufig teil. Überhaupt ist er viel unterwegs, meistens im Einsatz für den Fußball. Seit 2004 bildet er als Mitglied im Schiedsrichterstab des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) angehende Schiedsrichter aus. Thielking selbst hat Mitte der 60er-Jahre mit dem Pfeifen begonnen. „Bis zur A-Jugend habe ich beim TSV Lesum im Tor gestanden. Dann musste ich mich entscheiden. Als Torwart war ich nicht so gut, wollte aber nicht auf Kreisebene hängenbleiben. Die Perspektiven als Schiedsrichter wirkten vielversprechender“, erklärt Thielking.
Vor allem im sozialpsychologischen Bereich macht dem Pensionär so schnell keiner etwas vor. Körpersprache, Rhetorik und Konfliktbewältigung zählen zu den Spezialfähigkeiten des Hageners. Thielking wird daher oft als Referent eingeladen, damit er bei öffentlichen Auftritten sein Wissen an den Nachwuchs weitergeben kann. Selbst während des Frühstücks wirkt er sehr konzentriert und beobachtet die Bewegungen seines Gegenübers genau. Noch bevor der Wunsch ausgesprochen ist, hat Thielking ihn anhand der Körpersprache gedeutet und die leere Tasse bemerkt. Schnell steht er auf, greift zur Karaffe mit dem heißen Kaffee und schenkt unaufgefordert nach.
Als Unparteiischer pfiff Thielking bei Spielen der Fußballjugend bis zur zweiten Bundesliga. Beim Hamburger SV (HSV) lief er zeitweise parallel zu Stürmer Uwe Seeler am Spielfeldrand entlang. Ein besonderer Motivationsschub als Referee war für ihn ein Spiel zwischen dem Blumenthaler SV und dem HSV im Sommer 1965. „Da war ich Linienrichter und durfte beim Bankett mit Kaffee und Hackepeterbrötchen neben Uwe Seeler sitzen“, erinnert er sich. Thielking schmunzelt. Er ist sichtlich stolz. „Damals war der HSV noch gut. Da las sich der Kader auch noch nicht wie eine internationale Speisekarte“, sagt er und lacht. Thielking selbst ist Werder-Fan. Der grün-weiße Schal liegt in seinem benachbarten Arbeitszimmer stets griffbereit, nicht weit entfernt von der Vuvuzela aus Südafrika.
Den Höhepunkt seiner Karriere als Schiedsrichter erlebte der Hagener beim Spiel Schalke 04 – Kickers Offenbach vor 33 000 Zuschauern. Auch bei der Weltmeisterschaft 2006 war der Pensionär aktiv, wenn auch in einer etwas anderen Funktion. „Ich sollte in Hannover die Spiele beobachten und die Flitzer einfangen. Dafür wurden noch vertrauenswürdige Personen gesucht“, berichtet Thielking.
Neben dem Fußball spielte auch die Schule immer eine wichtige Rolle in seinem Leben, nicht nur als Schüler, sondern auch als Lehrer. 1986 übernahm er die Leitung der Grundschule in Bramstedt. „Mir hat es immer Freude bereitet, die Kinder für ihren weiteren Bildungsweg zu motivieren“, erzählt der studierte Germanist.
Als sogenannter „Head of delegation“ begleitet Thielking heute vielfältige Projekte des DFB im Ausland. Dort widmet er sich der Schiedsrichter- und Trainerausbildung, organisiert Jugend-Fußballwettbewerbe und setzt sich für die lokale Schulbildung ein. Für den Hagener eine große Verantwortung: „Man ist schon eine gewisse Instanz auf den Reisen ins Ausland und steht im Feuer der Öffentlichkeit. Darüber muss man sich im Klaren sein“.
Von einem auf den anderen Moment springt Thielking hoch, verlässt die Küche und kehrt wenige Minuten später mit seinem Reisepass zurück. Seine Leidenschaft für das Reisen hat er schon früh entdeckt. „Ich bin als 16-Jähriger zur See gefahren. Ich wollte andere Kulturen kennenlernen und über den Tellerrand gucken“, sagt er.
Stolz zeigt er auf das schwarz-weiße Foto eines jungen Mannes in Uniform. Der Stempeldruck ist auf den 14. Juli 1965 datiert. „Das war die große Fahrt auf der MS Hahnentor nach Florida. Auf dem Schiff habe ich als Messejunge gearbeitet“, blickt er zurück. Inzwischen reist der ehemalige Grundschullehrer vorwiegend mit dem Flugzeug in seine Zielländer.
Dort angekommen, wird er oft von Überraschungen heimgesucht. So wie beispielsweise während seines Aufenthalts in Thailand im vergangenen Jahr, wo Thielking zu einem Fußballturniers eingeladen wurde. Dort traf er zufällig auf einen Grundschullehrer, der ihn spontan mit in seinen Unterricht nahm und für zwei Stunden mit den thailändischen Schülern alleine ließ.
„Ich habe dann mit den Kindern Englisch gelernt. Jeder, dem ich das später erzählt habe, hielt mich für verrückt“, sagt er und lacht. Ihm ist es wichtig, nicht mit dem Blick eines Touristen zu reisen. Stattdessen sucht er den Kontakt zu Einheimischen. „Mich interessiert die Lebenswelt der einfachen Bevölkerung, auch wenn das bedeutet, eine Woche nur kaltes Wasser zu haben, wie ich es in Sibirien erlebt habe“, betont er.
Als junger Mensch, so Thielking, sei er sehr schüchtern gewesen. Doch die Rolle als Schiedsrichter hat seine Persönlichkeit gestärkt. „Mir ist klar geworden, wie wichtig Gelassenheit, ein gutes Zeitmanagement und ein gesundes Selbstbewusstsein sind“, erklärt er. Wie im Fußball geht der Pensionär auch im Alltag und auf Reisen taktisch vor. So beispielsweise auch in Russland, als er bei einem seiner Aufenthalte anlässlich des Tages des Faschismus eine Rede über die sowjetisch-deutschen Beziehungen gegen Ende des Zweiten Weltkrieges halten sollte.
„Ich bin sehr neutral geblieben. Die Russen mögen es nicht, wenn man etwas an ihnen kritisiert. Das wusste ich“, sagt er. Negative Rückmeldungen für seine Reden hat er bisher nicht bekommen. Auch in Kapstadt beeindruckte Thielking das Parlament mit seinem Wissen über Nelson Mandelas Geburtsstadt und dessen Engagement für die Bildung. In seinem Poesiealbum tummeln sich Fotos, Unterschriften und Autogramme, sowohl von interessierten Zuhören, als auch von bekannten Größen wie Philipp Lahm oder Jogi Löw.
Inmitten von englischen, türkischen und russischen Schriften befindet sich auch ein Eintrag vom DFB-Präsidenten Reinhard Grindel, mit dem Thielking per „Du“ ist. „Er hat mir mal bei den Visa-Bestimmungen für eine Fußballgruppe in der Türkei geholfen“, berichtet er stolz. Trotz des Rummels um seine Person ist es Thielking immer wichtig gewesen, nicht abzuheben und die eigenen Wurzeln nicht zu vergessen. „Ich bin im Leben manchmal schon egoistisch vorgegangen. Meine Familie musste sehr verständnisvoll sein“, gesteht er.
Erst vor wenigen Monaten ist Thielking zum dritten Mal Großvater geworden. Komplett auf ein Leben am Spielfeldrand verzichten möchte er aber auch im Ruhestand nicht. Im Herbst dieses Jahres wird er wieder ans Eastern Cape reisen. In Kooperation mit dem dortigen Sportministerium wird er erneut junge Menschen zu Trainern und Schiedsrichtern ausbilden. Wenn er nicht gerade durch die Welt jettet, schreibt Thielking für die Schiedsrichter-Zeitung des DFB oder bereitet als Dozent an der Universität Bremen angehende Lehrer auf ihren Beruf vor.
Als wäre das nicht genug, sitzt er selbst auch wieder auf der Studienbank. Als Gasthörer nimmt er an Psychologie-Kursen teil. Damit hat er sich einen langjährigen Lebenstraum erfüllt. Die Abenteuerlust liegt in seinem Naturell: „Ich bin von Sternzeichen Jungfrau. Die sind bekannt dafür, immer wieder Neues erleben zu wollen und nach Perspektiven Ausschau zu halten“. Darüber hinaus gibt er den Flüchtlingen in Hagen drei Mal die Woche ehrenamtlichen Deutschunterricht.
Wenn der Ruheständler Thielking aus dem Fenster schaut und sieht, wie einige Rentner auf dem Fahrrad zum Bäcker fahren, dort eine Tasse Kaffee trinken „und anschließend den Tag zuhause vor dem Fernseher verbringen“, schüttelt er den Kopf. „So ein Leben kann ich mir für mich nicht vorstellen. Ich versuche, immer aufgeschlossen zu sein und Neues zu entdecken.“
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