
Osterholz-Scharmbeck. Am Hohenberg und unweit des Kreiskrankenhauses entstehen in den kommenden Jahren allein in der Kreisstadt etwa 200 neue Pflegeplätze. Während die Politik die Neubau-Vorhaben gern bejubelt, sorgt die Entwicklung bei Leitern bestehender Einrichtungen für Stirnrunzeln. Sie rechnen mit noch mehr Kampf um Fachkräfte und fürchten ein Stühlerücken auf den Stationen.
Nachdem die Mitglieder von Planungs- und Verwaltungsausschuss im Dezember 2020 dem Vorentwurf der Seniorenresidenz zugestimmt haben, kann 2022 der eigentliche Bau der Anlage am Hohenberg beginnen. Das Projekt der Lindhorst-Gruppe sieht unter anderem 148 barrierefreie Heimplätze in einem Hauptgebäude vor (wir berichteten). Die Seniorenresidenz soll auch über eine Vollküche mit öffentlich zugänglichem Essensbereich verfügen. Zudem gehören ein Appartementhaus mit 29 seniorengerechten Wohnungen und eine Tagespflegeeinrichtung mit 18 Plätzen dazu.
Am Kreiskrankenhaus soll bis 2023 ferner eine Pflegeeinrichtung in Trägerschaft des Landkreises entstehen. Auf dem knapp 20.000 Quadratmeter großen Grundstück sieht der Bebauungsplan Nr. 212 „Östlich des Kreiskrankenhauses“ ein Gebäude für etwa 60 Pflegeplätze vor. Planer gehen von 20 Tagespflege-Plätzen und 40 Plätzen für an Demenz Erkrankte vor. Angestrebt wird, dass der Gebäudekomplex zukünftig auch ein Ärztezentrum beherbergen soll.
Ratsmitglieder begrüßten beide Bauvorhaben. Der Bedarf sei vorhanden, so ihre Überzeugung. Und genauso sehen es auch die Leiter etablierter Einrichtungen. Sie befürchten aber, dass es nicht genügend Pflegekräfte geben wird, um die Einrichtungen zu betreiben.
So jedenfalls schätzt Karl-Heinz Müller, Vorsitzender des Vereins Haus Christian in Ritterhude, die Lage ein. "Die Politik sollte aufwachen", sagt Müller, der 29 Jahre im kaufmännischen Bereich für Pflegeheime tätig ist. „Woher sollen denn 60 bis 80 neue Pflegekräfte herkommen, um die Menschen zu versorgen?" Aktuell fehlten bereits jetzt im Landkreis Osterholz ausgebildete Mitarbeiter. Die gesetzlich geforderte 50-Prozent-Fachkraftquote sei in vielen Einrichtungen bereits jetzt kaum noch einzuhalten. „Die Pflegekräfte arbeiten am Limit und versuchen, die bestehenden Pflegeheime und ihre Bewohner am Leben zu erhalten.“ Die Politik solle nicht der Hoffnung verfallen, dass die neuen Betreiber mit dem Möbelwagen anrückten und auch gleich die benötigten Pflegekräfte mitbrächten. Im Gespräch mit der Redaktion warnt Müller: „Wenn nicht ganz schnell etwas unternommen wird, dann platzt die Blase.“
Er regt als erste Schritte an, bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräften zu schaffen und ein „angemessenes Gehalt“ zu zahlen. Das könnte helfen, dass mehr Menschen in „diesen an sich interessanten Beruf“ wechseln. Wenn sich nichts bewege, drohe der Pflegebranche im Landkreis Osterholz der Kollaps, so seine Einschätzung.
Auf Anfrage des OSTERHOLZER KREISBLATT will sich die Lindhorst-Gruppe zur eigentlichen Personalfrage nicht äußern. Die Anfragen der Redaktion wurden an die Hamburger Projektentwicklungsfirma Cureus durchgereicht, die für Lindhorst die Entwicklung und den Bau der Osterholzer Pflegeimmobilie übernommen hat. Man freue sich, so der Wortlaut in der E-Mail, „vor allem über das positive Feedback aus Osterholz-Scharmbeck“ zur geplanten Residenz, lässt ein Cureus-Sprecher mitteilen.
Zurzeit befinde sich das Bauvorhaben in der Projektentwicklung. Und als Projektentwickler nehme man lediglich die Projektplanung und Erstellung der neuen Seniorenresidenz in Osterholz-Scharmbeck vor. „Für Antworten zum Thema Pflegepersonal ist es daher leider noch etwas zu früh.“ Zwar werde das Thema oftmals mit Baubeginn angestoßen, dennoch arbeite das Unternehmen „bei allen Projekten mit versierten Spezialisten auf dem Feld des Residenzbetriebes“ zusammen, so der Hinweis. „Die Fragen die Sie stellen, betreffen dann aber schon den späteren Betreiber“, heißt es zur Personal-Planung. Einen Betreiber aber könne man namentlich noch nicht benennen, da sich die Firma noch „in Abstimmungen“ befinde. „Wir sind sehr zuversichtlich, dass der künftige Betreiber auch auf personeller Seite die nötige Unterstützung an diesem Standort finden wird“, heißt es abschließend.
Der Kreis sieht sich zumindest für den Betrieb kreiseigener Einrichtungen gut gerüstet. Aktuell gibt es in Osterholz-Scharmbeck 459 Pflegeplätze. Um ihren Betrieb sicherzustellen, arbeiten 312 Mitarbeiter in der Pflege und der Betreuung. Hinzu kommen weitere Bedienstete in den Bereichen Hauswirtschaft und Verwaltung. Verwaltungssprecherin Jana Lindemann verweist auf die Ausbildung von Fachkräften in der Pflegeschule am Kreiskrankenhaus Osterholz, an den Berufsbildenden Schulen (BBS) und an der Berufsfachschule Pflege im Stadtpark. Einrichtungen, dessen Träger man sei, würden entsprechend gefördert.
Für Bernd Bäumel, Geschäftsführer der Seniorenheime Senator GmbH in Osterholz-Scharmbeck, wird das allein nicht ausreichen, um den hiesigen Bedarf zu decken. Ihm ist schleierhaft, woher das Personal in der benötigten Menge kommen soll. Schon jetzt gebe es kaum Mitarbeiter für den Pflegebereich auf dem Arbeitsmarkt. Und letztlich gehe es auch darum, für den Beruf auch besonders geeignete Menschen einzustellen.
Im Vergleich zu anderen Gegenden Deutschlands sei man in Osterholz-Scharmbeck, was die Ausbildungsschulen für Pflegefachkräften angehe, tatsächlich verhältnismäßig gut aufgestellt, betont Bäumel. Er ist aber überzeugt, dass mit dem Bau der neuen Einrichtungen, die auch er für unverzichtbar hält, ein Stühlerücken beginnt. Denn aufgrund des Pflegekräftemangels sei damit zu rechnen, dass mancher Mitarbeiter aus etablierten Einrichtungen abwandere, um an anderer Stelle neu anzufangen. Die Folge: Alteingesessene Betriebe wären nicht mehr in der Lage, die Lücken im Personalstamm zu schließen, weil einfach nicht genügend nachrückendes Personal zur Verfügung stehe.
Hinzu komme, dass die Kreisstadt im Einzugsbereich Bremens liegt, gibt Bäumel zu bedenken. In Bremen würden bekanntlich höhere Löhne gezahlt. Auf der andern Seite lägen die Heimplatzkosten in Osterholz-Scharmbeck aufgrund geringerer Pflegesätze oft etwa 600 bis 700 Euro niedriger als in der Hansestadt. Heißt: Das Personal wandert nach Bremen ab, während zu Pflegende sich in die Kreisstadt orientierten. Dieser Umstand müsse die Politik unbedingt dazu bewegen, vor Ort nachzusteuern. Mit höheren Löhnen allein lasse sich das Problem nicht angehen, ist Bäumel überzeugt.
Und da gebe es noch einen Nebenschauplatz: Dadurch, dass Pflegekräfte abwandern, würden funktionierende Teams geschwächt. Das „gute Miteinander“ aber genieße gerade in der Pflegebranche eine hohe Bedeutung. Gruppen, die über Jahre zu einer eingeschworenen Gemeinschaft zusammengewachsen seien, müssten sich dann neu bilden. Das wiederum sei schwierig möglich, da nicht genügend passende Menschen zur Auswahl stünden. Wie überall passe nun mal nicht jeder Bewerber in jedes Team, geben Bäumel und Müller zu bedenken. Bei einem zu erwartenden dreistelligen Zuwachs an Heimplätzen in der Kreisstadt solle auch dieser Punkt beachtet werden.
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