
Frau Lampe, knapp 74 400 Tonnen Siedlungsabfall hat der Abfall Service Osterholz (Aso) nach eigenen Angaben 2017 im Landkreis Osterholz gesammelt. Ein Erwachsener im Landkreis produziert demnach pro Jahr rund 655 Kilo Abfall. Wie erklären Sie sich das hohe Müllaufkommen?
Annemarie Lampe: Das ist ein sehr hoher Wert, aber darin sind auch schon die Gewerbe- und Bauabfälle eingerechnet. Wenn man die raus rechnet, ist der Wert schon nicht mehr ganz so hoch. Man geht heute bundesweit von 500 Kilo Abfall pro Person aus. Wir haben vor circa 100 Jahren noch etwa 100 Kilo pro Einwohner im Jahr gehabt. Die Restmüllmenge ist bundesweit in den vergangenen Jahren zwar zurückgegangen, dafür ist der Anteil an Verpackungen gestiegen. Das liegt grundsätzlich an Verhaltensänderungen. Der Online-Markt hat stark zugenommen. Die Verpackungen haben außerdem mittlerweile kleinere Füllmengen, weil es vermehrt Ein- oder Zwei-Personenhaushalte gibt. Hinzu kommen veränderte Essensgewohnheiten. Mehr Fast Food und To-Go-Produkte.
Abfallvermeidung ist ein weitgefasster Begriff. Was verbirgt sich dahinter?
Das sind im Prinzip alle Handlungen und Maßnahmen, die die Menge des anfallenden Abfalls irgendwie reduzieren sollen. Da gibt es zwei Schienen. Einmal seitens der Produzenten, wie zum Beispiel, dass einfach weniger Material eingesetzt wird bei der Herstellung von Produkten. Wie viele Dinge gibt es, die drei Mal verpackt sind? Verpackungen sollen ja eigentlich nur dem Schutz dienen. Es gibt auch viele Produkte, bei denen man davon ausgehen könnte, dass sie so produziert wurden, dass sie nicht lange halten. Wir Verbraucher haben aber auch ganz viele Möglichkeiten, Müll zu reduzieren, indem wir Gegenstände möglichst lange nutzen und uns beispielsweise nicht alle zwei Jahre ein neues Handy kaufen oder Mehrwegbecher statt Einwegbecher nutzen. Wie wäre es mit teilen oder Nachbarschaftskauf? Eine Heckenschere statt vier. Auch das ist eine Möglichkeit der Vermeidung.
In Bremen gehören Recycling-Höfe und Tauschinitiativen schon seit Längerem zum Stadtbild. Auch die Aso hat online einen Tausch- und Geschenkmarkt eingerichtet. Von den Bewohnern des Landkreises Osterholz wird die Plattform allerdings kaum wahrgenommen. Warum funktionieren solche Maßnahmen in der Stadt, nicht aber auf dem Land?
Unsere Erfahrung zeigt, dass es einige Dinge gibt, die in Ballungsgebieten anders laufen. Nehmen wir das Beispiel Car-Sharing. Kennen Sie jemanden, der sein Auto mit jemandem teilt? Das ist hier im ländlichen Raum nicht üblich. In größeren Städten kenne ich dagegen mehrere Menschen, die das machen. Das liegt sicherlich auch daran, dass es auf dem Land nicht so praktikabel ist. Warum der Online-Tauschmarkt nicht funktioniert, kann ich nicht genau sagen. In Großstädten gibt es sicherlich auch ein anderes Klientel, mehr junge Menschen und Studenten in anderen Wohnsituationen. Aber das sind nur Mutmaßungen. Die lokale Tauschbörse hier am Entsorgungszentrum wird dagegen auch ohne Werbung gut angenommen.
Inwiefern sieht sich die Aso als Trendsetter in der Abfallvermeidung?
Abfall ist mittlerweile zu einem Wertstoff geworden. Und da haben wir als Entsorger natürlich Fachkompetenzen, weshalb wir uns verantwortlich fühlen. Diese Verantwortung versuchen wir durch eigenes, verantwortungsbewusstes Handeln wahrzunehmen. Beispiel: Wir versuchen immer wieder, die Tourenplanung zu optimieren, sodass wir möglichst wenig CO2 verbrauchen. Wir haben in den vergangenen Jahren sukzessiv neue Getrenntsammelsysteme eingeführt und wir setzen aus Umweltschutzgründen Elektroautos ein. Trendsetter heißt ja auch immer, Anstoß zu geben, und da versuchen wir, die Bürger im Landkreis Osterholz auf Möglichkeiten und Probleme hinzuweisen.
Die Aso veranstaltet diverse Projekte zur Aufklärung in Schulen. Warum ist eine frühe Sensibilisierung wichtig?
Es geht hier um Gewohnheits- und Verhaltensänderungen. Wenn bereits im Kindergarten und in der Schule mit dem Vermeiden von Abfall begonnen wird, dann wird es sicherlich viel schneller zur Selbstverständlichkeit. Wir können es uns einfach nicht leisten, so weiterzumachen, denke ich. Es klingt vielleicht etwas abgedroschen, aber wir haben nur diese eine Welt. Ich denke, das müssen wir in die Köpfe aller Menschen kriegen.
Was tut die Aso, um die Bürger auf Möglichkeiten der Abfallreduzierung aufmerksam zu machen?
Wir machen eine kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit durch Informationsbroschüren, Neubürgerbriefe und projektbezogene Geschichten. Wir unterstützen regionale Repair-Cafés, führen Getrenntsammelsysteme ein wie im Falle der Notebooks und noch funktionsfähiger Elektrogeräte oder auch die lokale Tauschbörse am Entsorgungszentrum. Wenn die Menschen fragen haben, können sie telefonisch Beratung bekommen.
„Der beste Abfall ist der, der gar nicht erst entsteht.“ Wie lässt sich Abfall im Alltag vermeiden?
Ich nehme einfach mal ein paar Dinge exemplarisch heraus, die gar nicht viel Aufwand bedeuten. Beim Einkaufen Netz- oder Stofftasche benutzen statt Plastiktüte, Miniportionsverpackungen möglichst vermeiden und stattdessen Nachfüllverpackungen benutzen. Langlebige Produkte kaufen oder Mehrweg- statt Einwegflaschen. Auch Recyclingprodukte fallen unter Abfallvermeidung. Es wird mittlerweile ganz viel Altpapier gesammelt, aber die wenigsten Menschen kaufen sich Schulhefte aus recyceltem Papier. Vielleicht muss man fünf Cent mehr bezahlen, aber ich denke, die sind das wert. Letztendlich sind es oft Kleinigkeiten.
Viele Verbraucher bewahren alte Handys oder defekte Laptops auf. Für sie sind sie für nichts mehr zu gebrauchen. Wie lassen sich die elektronischen Geräte wiederverwerten oder gar wiederverwenden?
Nach Schätzungen werden in Deutschland über 100 Millionen Handys in irgendwelchen Schubladen aufbewahrt. Die stehen dem Recycling nicht zur Verfügung. Und letzten Endes werden diese Handys mit großer Mehrheit sicherlich nie wieder benutzt. Durch das Recycling können die Rohstoffe aus den Geräten wiedergewonnen und neu eingesetzt werden. Erst werden die Schadstoffe entfernt, dann werden die Geräte zerkleinert und durch verschiedene physikalische Verfahren die Wertstoffe voneinander getrennt. Diese ganzen Metalle, die wir jetzt noch aus der Erde holen, sind irgendwann nicht mehr da. Das müssen wir uns bewusst machen.
Welche Rolle spielen an dieser Stelle Initiativen wie die regionalen Repair Cafés, zentralen Sammelstellen und Tauschbörsen?
Das sind sehr wichtige Initiativen. Viele defekte Haushaltsgeräte lassen sich noch reparieren. Die Quote liegt bei über 50 Prozent. Gerade in Elektrogeräten stecken viele Wertstoffe, die durch das Recycling wiederverwertet werden können. Ich denke, dass es immer Menschen gibt, die etwas nicht mehr brauchen, es aber auch nicht wegschmeißen wollen. Und denjenigen wollen wir mit der lokalen Tauschbörse eine Plattform bieten.
Vor einem Jahr wurde in Schwanewede der erste dezentrale Wertstoffhof im Landkreis Osterholz eröffnet. Künftig soll es auch einen in Lilienthal geben. Welche Chance sehen Sie in Einrichtungen wie diesen?
Das Hauptanliegen ist an der Stelle natürlich, den Service für den Kunden zu verbessern. Diese Höfe sind besser und schneller erreichbar für die Bevölkerung vor Ort. Die Menschen haben geringere Wartezeiten und sie können längere Fahrstrecken vermeiden. Das ist letztlich auch ein ökologischer Aspekt. Wir erhoffen uns, dass wir dadurch noch mehr Wertstoffe sammeln können.
Wo gibt es Ihrer Meinung nach noch Optimierungsbedarf?
Als Erstes denke ich dabei an die Abfallvermeidung bei der Herstellung von Produkten. Dort muss der Abfallvermeidungsgedanke noch stärker Einzug halten.
Inwiefern muss auch innerhalb der Gesellschaft noch ein Umdenken stattfinden?
Man muss das Konsumverhalten grundsätzlich überdenken. Vor der Anschaffung sollte man sich immer diese vier grundlegenden Fragen stellen: Warum kaufen, wenn es auch gebraucht zu bekommen ist? Warum wegwerfen, wenn es noch zu reparieren oder andere es noch benutzen können? Warum selbst kaufen, wenn es auch zu leihen ist?
Warum viel Verpackung verwenden, wenn diese nicht nötig sind?
Das Interview führte Milena Schwoge.
Annemarie Lampe
begann ihre berufliche Karriere im Labor der Landwirtschaftskammer Weser-Ems. Dort absolvierte sie eine Ausbildung zur landwirtschaftlich-technischen Assistentin. Nach der Weiterbildung zur Umwelttechnikerin führte sie ihr Weg zur Firma Nehlsen. Seit 2007 arbeitet Lampe für die Abfall-Service Osterholz GmbH (Aso) und ist heute zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit und Abfallberatung.
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