
Auf den ersten Blick sind soziale Netzwerke eine Bereicherung des Alltags, der Kommunikation und eine vermeintlich gute Informationsquelle. Sie bieten die Chance, auch digital mit Freunden und Bekannten in Verbindung zu bleiben und erlauben es, sich Gruppen anzuschließen, die ähnliche Interessen verfolgen. Tatsächlich zeigen sich bei vielen Anbietern aber schnell die Schattenseiten: Neben vermehrt auftretenden Informationsfilterblasen („Dark Social“) und Hate-Speech sind viele Netzwerke derzeit so aufgebaut, dass sie die Nutzer bewusst am Bildschirm fesseln und eine möglichst intensive und lange Nutzung erreichen wollen.
Getreu dem Motto „Bildschirmzeit ist Werbezeit“ werden die Nutzer schon durch das Design der Plattform zu möglichst langen Verweildauern animiert. An jeder Werbeanzeige, die bei der Nutzung angezeigt oder angeklickt wird, verdient der Anbieter des sozialen Netzwerks – und das milliardenfach. Die Monetarisierung der Nutzer geht dabei so weit, dass die Anbieter umfangreiche Nutzerprofile bilden, um Werbung möglichst zielgerichtet ausspielen zu können. Je genauer die Zielgruppe bekannt ist, desto teurer kann die Werbung verkauft werden. Werbetreibenden steht dabei eine ganze Reihe von Optionen zur Zielgruppenauswahl zur Verfügung.
So bietet Facebook zum Beispiel eine Auswahl nach Interessen, demografischen Daten oder Verhaltensmustern an. Zusätzlich können auch Wohnorte und sogar Aufenthaltsorte für die Zielgruppenauswahl genutzt werden. Inhaber von Ladengeschäften könnten auf diese Weise etwa eine Werbung ausspielen, die nur Nutzern angezeigt wird, die einer bestimmten Altersgruppe entsprechen und sich in den jüngsten sechs Wochen in einem Umkreis von zehn Kilometern zum eigenen Geschäft aufhielten. Das ist möglich, wenn die Nutzer Facebook erlauben, auf die GPS-Daten des Smartphones zuzugreifen.
Teilweise kaufen soziale Netzwerke auch Daten über Nutzer hinzu, um die Profile zu schärfen – zum Beispiel Informationen darüber, ob man zur Miete wohnt oder eine eigene Immobilie besitzt. Zur „Höchstform“ laufen soziale Netzwerke auf, wenn es um die Frage geht, mit welchen Inhalten innerhalb und außerhalb der Plattform Nutzer interagieren und welchen Bekanntenkreis man pflegt. Besonders gut entwirrt Facebook das soziale Geflecht seiner Nutzer – nicht zuletzt durch den Aufkauf von WhatsApp. Und wer nun denkt, dass sich Facebook mit den bisherigen Datentöpfen zufrieden gibt, der irrt.
Tatsächlich zeigt sich, dass gerade Facebook besonders weitsichtig, innovativ und investitionsfreudig ist, wenn es um die Erschließung neuer Datentöpfe geht. Derzeit erobert Facebook einen Bereich, der sich in Zukunft noch enorm entwickeln könnte: virtuelle Welten. Bereits seit Jahren, genau genommen seit dem Aufkauf der Firma Oculus im Jahr 2014, verfügt Facebook über die Fähigkeiten, Virtual-Reality-Brillen herzustellen. Und nicht nur das. Seither hat Facebook die Technologie um einiges weiterentwickelt und diese erfolgreich vorangetrieben. Bereits die letzte Version der Facebook eigenen VR-Brille ließ aufhorchen. Die sogenannte „Oculus Quest“ schaffte es erstmals, dem Nutzer auch ohne PC und ohne aufwendige externe Sensortechnik, ein VR-Erlebnis zu ermöglichen, das ansonsten nur Hardcore-Spielern vorenthalten war. Vor einigen Tagen hat Facebook nun den Nachfolger angekündigt, die „Oculus Quest 2“, die über bessere Auflösung verfügt und die noch günstiger als der Vorgänger ist. Mit einem Preis ab 300 Euro zielt Facebook deutlich auf ein Massenpublikum und macht nicht nur Herstellern von Spielekonsolen Konkurrenz.
Schattenseiten gibt es aber auch hier – und zwar deutliche. Denn gleichzeitig mit der Ankündigung der neuen Hardware-Generation machte Facebook deutlich, dass eine Nutzung der neuen VR-Brille ohne Facebook-Account nicht möglich sein wird. Facebook schafft sich an dieser Stelle also einen ganz neuen Datentopf. Denn im Gegensatz zum bisherigen Tracking ermöglicht die Auswertung der Nutzung von VR-Brillen eine ganz neue Datenqualität. So verfügt die „Oculus Quest“ über zahlreiche Sensoren, darunter Kameras für die Vermessung der Umgebung und Bewegungssensoren, die es ermöglichen, dass sich der Nutzer in der virtuellen Umgebung bewegen kann. Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, dass Facebook in der Lage ist, Reaktionen, Bewegungen und Blickrichtungen der Nutzer in Echtzeit zu erfassen, zu analysieren und Schlüsse daraus zu ziehen.
Zwar ist ein Tracking der Augenbewegung mit der neuen Version wohl noch nicht möglich, obwohl dies technisch durchaus Vorteile bei der Darstellung virtueller Welten haben könnte. Gleichwohl kann man fast sagen, dass Facebook demnächst in der Lage ist, mit den Augen der Nutzer zu sehen, solange sich diese in der virtuellen Realität befinden. Gläserner kann ein User kaum sein. Und auch hier die Verweildauer in der virtuellen Realität zu erhöhen, arbeitet Facebook derzeit an „Facebook Horizons“, einer virtuellen Welt, in der sich Nutzer in Zukunft mit Freunden treffen können – also Facebook 2.0?
Die „Oculus Quest 2“ soll ab Oktober erhältlich sein und man könnte sich hier schon die Frage stellen, was deutsche Datenschutzbehörden zu der Brille beziehungsweise zu der Datenverarbeitung des Anbieters und insbesondere dem Facebook-Zwang sagen würden. An dieser Stelle hat Facebook aber vorgesorgt. In Deutschland wird die neue VR-Brille vorerst nicht erhältlich sein. Vermutlich hängt das damit zusammen, dass sich Facebook in Deutschland derzeit in einem Verfahren wegen des Vorwurfs der kartellrechtlich relevanten Ausbeutung seiner Nutzer verantworten muss. Es bleibt zu hoffen, dass sich in Zukunft Alternativen zu den bisherigen Betriebsmodellen von sozialen Netzwerken durchsetzen, bei denen nicht das Tracking, die Verweildauer-Optimierung und die Ausbeutung der Nutzer im Vordergrund stehen, sondern die Vorteile, die eine verantwortungsvoll betriebene Plattform auch für das Gemeinwesen bieten kann.
Die Experten
Vor dem Hintergrund von Datenklau und Datenschutz beleuchten sie im WESER-KURIER regelmäßig Themen der digitalen Welt. Der Weyher Dennis-Kenji Kipker ist unter anderem als Vorstandsmitglied bei der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz tätig, der Stuhrer Volljurist Sven Venzke-Caprarese arbeitet als Prokurist und Justiziar bei dem Bremer Unternehmen Datenschutz Nord.
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