
Die Schlange vor der Varreler Grundschule zieht sich bis zum Bürgersteig. Zwischen jedem Wartenden liegen gut anderthalb Meter. Die Sonne scheint, die meisten scheinen sie bis zu ihrem Aufruf mit den Gesichtern aufsaugen zu wollen. Ein Mann in Schutzkleidung zieht die schwere Tür auf. „Ist jemand zuletzt im Ausland gewesen?“, will er wissen. Eine junge Frau tritt aus der Reihe hervor. „Zählt Großbritannien auch?“, fragt sie. Es zählt. Sie darf diesmal kein Blut spenden.
Es ist einer von jährlich zwei Blutspendeterminen des DRK-Ortsvereins Heiligenrode-Groß Mackenstedt. Bloß ist dieser etwas anders. Der Windfang des Schulgebäudes dient an diesem Dienstag als Hygieneschleuse. Pumpspender stehen auf einem Tisch, die per Sensor Desinfektionsmittel ausschütten. Bevor es weiter geht, sind ein paar Sicherheitsfragen fällig. Neben der nach einem jüngsten Auslandsaufenthalt die nach dem Wohlbefinden.
Zu Hause zu bleiben, ist eigentlich das Gebot der Stunde, um die weitere Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Nur braucht es für die medizinische Versorgung weiter Blutreserven, für Operationen, besonders aber für Krebstherapien. Das Deutsche Rote Kreuz hatte in der vergangenen Woche mitgeteilt, dass die Versorgung mit lebensrettenden Blutpräparaten auf dem niedrigsten Niveau gesichert sei.
Die Vorräte wollen auch Ursula und Michael Lampe auffüllen, die als nächstes dran sind. Beide sind über 60 Jahre alt und gehören zur Risikogruppe. Laut Statistik könnte eine Infizierung mit dem Coronavirus bei ihnen schwerer verlaufen als bei anderen. Den Varrelern ist das Risiko bewusst, sie tragen Mundschutz und Einmalhandschuhe. Nach Angaben des DRK-Blutspendedienstes Niedersachsen-Sachsen-Anhalt-Thüringen-Oldenburg-Bremen (NSTOB) gehört die Altersgruppe des Ehepaares Lampe zahlenmäßig nicht zum Gros der Spender, das sind die 40- bis 50-Jährigen, aber sie geht am regelmäßigsten zur Blutspende. „Es wird ja auch gebraucht im Moment“, erklärt Michael Lampe, warum er auch jetzt Blut spenden geht. Seit Jahrzehnten schon ist das für beide selbstverständlich. Daran ändert auch die Pandemie nichts. „Wenn wir spenden dürfen, wollen wir das auch“, sagt Ursula Lampe.
„Mensch, ich freue mich“, sagt Elke Krebs im Eingangsbereich der Schule, als sie den Rücken gegen die Lehne des Stuhls drückt, um durch das Fenster die Wartenden sehen zu können. In Varrel kommen gewöhnlich rund 60 Spender pro Aktion, in Heiligenrode, wo drei Mal im Jahr gespendet werden kann, zwischen 110 und 115. Diesmal haben die Helfer des Ortsvereins und das Team des DRK-Blutspendedienstes aus Rastede früher angefangen als sonst. Einmal, weil derzeit kein Unterricht in der Schule stattfindet, aber auch, weil der jüngste Blutspendetermin in Seckenhausen ausgefallen war. Hinzu kommt, dass es durch die neuen Sicherheitsbestimmungen einfach etwas länger dauert.
Elke Krebs, die Vorsitzende des DRK-Ortsvereins, sitzt mit Mundschutz am Eingang und nimmt auf Abstand die gelben Blutspendeausweise an, gleicht die Daten mit dem Personalausweis ab, und nimmt sie mit einem Scanner in das System auf. Unterstützung hat sie von Insa Lehmann, die den Spendern die fertigen Formulare zum Ausfüllen überreicht. Damit werden ihre Krankheitsgeschichte und ihr Gesundheitszustand abgefragt. Die 23-Jährige ist kein Mitglied beim DRK, sondern für ihre Großmutter eingesprungen, die sonst bei der Blutspendeaktion mithilft. Normalerweise stehen 15 ehrenamtliche DRK-Mitglieder in der Küche, kochen Suppe und schmieren Brötchen für das Büfett. Jetzt sind es bloß zwei, es gibt ein Lunchpaket mit auf den Weg, den Kaffee zum Mitnehmen. Der Plausch danach entfällt.
Zwei Ärztinnen untersuchen die Spender Tür an Tür in zwei Klassenräumen. Barbara von Hake hält Abstand am Tisch, wenn sie sich über die ausgefüllten Bögen unterhält und den Blutdruck misst. Man sei eben besonders vorsichtig, um mögliche Infektionen zu vermeiden. „Wir kontrollieren derzeit nur am Finger“, sagt die Medizinerin, deren Mundschutz beim Sprechen wabert. Mit einem Piks in die Fingerkuppe oder in das Ohrläppchen wird die Konzentration des roten Blutfarbstoffs bestimmt. Bereitwillige Blutspender, bei denen es nicht am Ohr klappt, müssen abgewiesen werden, sagt von Hake. Die Gefahr einer Infektion sei durch die Nähe größer.
Lukas Ehlers wartet vor dem Klassenzimmer seiner früheren Schule. Darauf, dass ihn die Ärztin zum Gesundheitscheck herein bittet. Auf dem Pullover des 18-Jährigen klebt auf Brusthöhe ein wie ein Wappen geformter Sticker. Er weist den Varreler als Erstspender aus. „Ich wollte das schon immer mal machen. Ich habe gehört, dass dringend Spenden benötigt werden. Das hat mir nochmal den Anschub gegeben“, sagt er. Derzeit ist der Elftklässler, der auf das Abitur zusteuert, zu Hause, steht online mit Lehrern und Mitschülern in Kontakt. Den Nachmittag könne er nun auch auf diese Weise nutzen. Er wird einer von 23 Erstspendern an diesem Tag sein. 136 Menschen, nicht nur aus Varrel oder überhaupt Stuhr, lassen sich Blut abnehmen, um es anderen zu geben. So viele wie noch nie zuvor. Der Hilferuf des DRK hat offenbar großflächig Wirkung gezeigt. „Die Spenden überlaufen uns“, sagt Markus Baulke, Sprecher des DRK-Blutspendedienstes. Die Versorgung sei gesichert. Doch auch in den nächsten Wochen und Monaten brauche es Blut, dürfe es keine Lücke geben.
„Ich finde es total beeindruckend, dass die Leute so geduldig sind“, sagt Michell Köpke, der Teamleiter des Blutspendedienstes, der zu fünft vor Ort ist. Die neun Liegen im Forum der Schule stehen weiter auseinander als üblich. Ruhig liegen die Spender da, während rote Flüssigkeit über transparente Schläuche in Behälter fließt, die in einer Kippvorrichtung stecken. Einige haben die Augen zu, andere wischen mit der freien Hand über das Smartphone, im Hintergrund läuft leise Radiomusik. „Alles gut bei Ihnen?“, fragt ein Helfer eine junge Frau auf einer der Liegen. Alle Konserven kommen nach Ende der Aktion nach Rastede in eine Kühlkammer, um noch in der Nacht zum Institut des DRK-Blutspendedienstes in Springe gebracht zu werden. Dort werden auch die Blutproben untersucht. Wird etwas festgestellt, scheidet die entsprechende Blutspende, in der Regel ein halber Liter, aus.
Der Blutbedarf ist bundesweit zurückgefahren worden, nicht dringliche Operationen müssen warten. Trotzdem sind 25 Prozent der Blutspendetermine zuletzt ausgefallen, sagt Sprecher Baulke – weil Ehrenamtliche und durch die Schulschließungen Räume fehlten. Die derzeitigen Mengen reichen aus, mit Blut aber lässt sich keine Lagerstruktur aufbauen. Die Haltbarkeit der Produkte reiche von wenigen Tagen bis zu mehreren Wochen. Werden die verschobenen Operationen nachgeholt, ist es eben geballt Zeit für frisches Blut.
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