Stuhr-Heiligenrode/Schwerin. Für Rudolf Franke von der Heiligenroder Mühlen-Gemeinschaft ist es eine kleine Sensation: Durch einen Zufall ist er vor Kurzem an Pläne der Heiligenroder Wassermühle und des Ortes gelangt, die etwas ganz Besonderes sind. „Es sind mit die ältesten Pläne, die wir haben“, sagt Franke, der sich seit Jahrzehnten mit der Historie des Stuhrer Ortsteils Heiligenrode, des dortigen Klosters und der Kirche St. Marien sowie der Wassermühle beschäftigt. Die Pläne sind ein Teil der als Meckenlenburger Planschatz bekannten Sammlung, die vor rund zehn Jahren - ebenfalls durch einen Zufall - entdeckt wurde und nun auch die Geschichte Heiligenrodes beeinflusst.
So machte Angelika Halama vor rund vier Wochen Franke auf die Entdeckung der Heiligenroder Pläne im fernen Mecklenburg-Vorpommern aufmerksam. „Ich bin der Klostermühle dadurch verbunden, dass von 1954 bis 1958 mein Schulweg dort vorbeiführte“, berichtet die gebürtige Bürstelerin Halama, die damals noch Angelika Möller hieß. Seit dem Jahr 1996 befasst sie sich in ihrer Arbeit schwerpunktmäßig mit Rittergütern des ehemaligen Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, über die sie auch 2004 ihre Dissertation verfasst hat. „Seither bin ich natürlich immer noch an mecklenburgischen Schlössern und Herrenhäusern interessiert“, erzählt Halama, die mittlerweile in Buxtehude lebt, weiter.
Kürzlich habe sie für eine mecklenburgische Bekannte - eine Architektin mit Schwerpunkt Architekturgeschichte und Denkmalpflege - die englische Übersetzung ihres Werkes über Herrenhäuser im Ostseeraum bearbeitet. „In diesem Zusammenhang wurde der Mecklenburgische Planschatz erwähnt“, berichtet Halama. Aufgrund ihres Interesses an dem Thema habe sie sich die zweibändige Veröffentlichung zum Planschatz angeschaut. Im Inhaltsverzeichnis habe sie geschaut, ob auch einige „ihrer“ Güter oder andere interessante Objekte darin auftauchten. „Zu meiner großen Verblüffung und Freude entdeckte ich darin die Orte Harpstedt und Heiligenrode mit der Klostermühle“, erzählt Halama von ihrem Erlebnis der besonderen Art. Weil sie um die Arbeit von Rudolf Franke und der Mühlen-Gemeinschaft vor Ort wusste, nahm sie sofort Kontakt in die alte Heimat auf.

Auf dem Plan von Anton Wilhelm Horst ist der Grundriss der Klostermühle mit drei Rädern zu erkennen.
Und das sehr zur Freude von Rudolf Franke. Er wandte sich gleich an die Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern Günther Uecker in Schwerin, die die Pläne verwaltet. „Sie haben mir die Pläne sofort zur Verfügung gestellt“, erzählt Franke. Die beiden Pläne über Heiligenrode stammen dabei von Anton Wilhelm Horst und datieren vom Beginn des 18. Jahrhunderts, so der Lokalhistoriker weiter. Offiziell werden sie mit dem Jahr 1745 angegeben, Franke vermutet anhand der Zeichnung der Mühle aber, dass sie auch noch älter sein könnten. „Man mag es kaum glauben“, sagt er über den spektakulären Zufallsfund.
Der eine Plan zeigt die Gebäude im Ortskern Heiligenrodes rund um das alte Kloster mit der Kirche und der Tränke. Dort konnte Franke viel Neues entdecken. Zum Beispiel den sogenannten Schafstall. „Wir wussten, dass er existierte. Jetzt wissen wir auch, wo er war“, sagt Franke begeistert. Teilweise sei auch der Zustand der Gebäude verzeichnet. Zum damaligen Müllerwohnhaus heißt es zum Beispiel, dass es nicht mehr zu retten sei, berichtet Franke.
Ebenso fasziniert ist er über den zweiten, entdeckten Plan. Dabei handelt es sich um einen Grundriss der Klostermühle. Dort ist auch ein drittes Wasserrad einer Walkmühle zu erkennen. „Das hatten wir bisher noch nicht“, sagt Franke mit Blick auf die bisher verfügbaren Pläne. „Es ist eine der ältesten Zeichnungen der Mühle, die wir haben“, sagt er stolz. Der älteste Plan, der bisher in Heiligenrode vorhanden war, stamme aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Wie die anderen Pläne damals allerdings nach Mecklenburg kamen, konnte Franke bisher nicht in Erfahrung bringen.
Für ein bisschen Aufklärung kann da Sigrid Puntigam sorgen. Denn sie ist die Entdeckerin des Planschatzes. Die Kunsthistorikerin mit dem Schwerpunkt auf neuzeitliche Residenzbauten war vor einigen Jahren mit wissenschaftlichen Recherchen zum Schloss Ludwigslust beschäftigt, wie sie erzählt. Bei der Suche nach Plänen des Schlosses kam sie zunächst in den Archiven nicht weiter. Doch dann hatte sie ein „Heureka-Erlebnis“, berichtet Puntigam. In der Landesbibliothek in Schwerin stieß sie auf eine Schatulle mit alten Plänen. „Es war unglaublich“, erzählt Puntigam vom Moment der Entdeckung des Planschatzes.

Auch die Umgebung von Heiligenrode zeichnete Horst. Der Plan gibt dabei viel Aufschluss über Standort und Zustand der Gebäude.
So befanden sich in der Sammlung rund 550 bislang unentdeckte Architekturzeichnungen und Kupferstiche. Diese befassen sich laut Puntigam vor allem mit dem Bauwesen im Herzogtum Mecklenburg-Schwerin im 18. Jahrhundert. Aber auch überregionale Pläne finden sich darin. So unter anderem Pläne aus damaligen internationalen Kunstzentren wie Rom, Paris oder St. Petersburg oder aus den damaligen politischen Einheiten in Hannover, Braunschweig-Wolfenbüttel, Sachsen oder Preußen.
Doch wie kamen die Pläne aus den anderen Regionen in das Herzogtum an der Ostsee? „Die Sammlung spiegelt den internationalen Kulturaustausch und -transfer wider“, erklärt Puntigam. So seien die Herrscher schon damals sehr gut vernetzt gewesen. Die Pläne dienten dem Austausch und der Orientierung über die Trends des zeitgenössischen Bauwesens. Herzöge nutzten ihre Sammlung auch zu Präsentationszwecken, erklärt Puntigam einen Grund für die Wanderung der Pläne über Grenzen hinweg. Zum anderen dienten die Pläne auch ganz praktisch: Und zwar zur Ausbildung der Herzöge, aber auch der Handwerker und Architekten im Lande, so Puntigam weiter. Dabei waren auch Wirtschaftsbauten wie Mühlen interessant.
So könnten auch die Heiligenroder Pläne in die Sammlung gekommen sein. Denn anlässlich einer sogenannten Reichsexikution übernahmen im Jahr 1717 der König von Preußen und der Kurfürst von Hannover für einige Zeit die Herrschaft über das Herzogtum Mecklenburg-Schwerin. Im Laufe der Jahre ist dann auch der Zeichner der Heiligenroder Pläne Anton Wilhelm Horst (1714-1789) in das Herzogtum gekommen. „Viel wissen wir über ihn nicht“, sagt Puntigam. Er war als Landesbaurat im Dienste der Kurfürsten von Hannover tätig und kam laut der Forscherin im Jahr 1747 nach Mecklenburg. Dort wurde er Landesbaumeister. Er könnte die Pläne als Vortragsunterlagen für die Ausbildung und als Referenzen genutzt haben, erklärt Puntigam, die seit zehn Jahren am Planschatz forscht. Nicht nur für Heiligenrode sei die Sammlung von unschätzbarem Wert, auch für andere Bauten wurden Pläne gefunden, die niemand mehr kannte, sagt Puntigam über den sensationellen Fund, der nun auch bis in die Gemeinde Stuhr ausstrahlt.
Mecklenburger Planschatz
Der Mecklenburger Planschatz wurde im Jahr 2010 bei Forschungsarbeiten entdeckt. Er umfasst 550 Architekturzeichnungen und einige Kupferstiche. Rund 200 Jahre blieben die Pläne unentdeckt. „Es war eine richtige Zeitkapsel, an die wir viele Fragen stellen können“, sagt Sigrid Puntigam, die den Schatz entdeckte. Mittlerweile wurden die Pläne inventarisiert, restauriert und digitalisiert. In einem mehrstufigen Prozess folgte die wissenschaftliche Aufarbeitung des Fundes. Die Digitalisate sollen im Fachportal Architekturzeichnungen der Deutschen Fotothek der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Unter dem Titel „Der Mecklenburgische Planschatz. Architekturzeichnungen des 18. Jahrhunderts aus der ehemaligen Plansammlung der Herzöge von Mecklenburg-Schwerin“ sollen die Ergebnisse, herausgegeben von Puntigam, in zwei Bänden im Sandstein Verlag erscheinen. Weitere Informationen gibt es auch im Internet unter www.mv-schloesser.de/de/mecklenburgischer-planschatz sowie unter www.sandstein.de/verlag/Planschatz.php.
Weitere Informationen
50 Jahre Betriebsaufgabe der Wassermühle
Die Wassermühle in Heiligenrode hat eine rund 800-jährige Geschichte hinter sich, wie Rudolf Franke von der Mühlen-Gemeinschaft berichtet. Diese hängt dabei eng mit dem Kloster vor Ort zusammen, denn die Benediktiner mussten für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen und brauchten daher auch eine Mühle. Das Kloster wurde im Jahr 1182 gegründet. In der Gründungsurkunde wird laut Franke das erste Mal ein Wassermühle erwähnt. Es könnte allerdings sein, dass es bereits zuvor eine Mühle gegeben hat. Die Wassermühle wurde zunächst von den Bewohnern des Klosters betrieben. Erster nachweisbarer Müller war Hermann Schröder (Hermen Scroder) im Jahr 1502. „Er muss aber nicht der erste sein“, betont Franke.
Im Jahr 1630 übernahm die Staatliche Domänenkammer in Hannover die Klostergüter inklusive der Mühle. Der Amtmann setzte einen Pachtmüller ein oder betrieb die Mühle selbst, berichtet Franke aus der Historie. 1750 wurde das Alte Müllerwohnhaus gebaut, heute wohnen darin die Kunststipendiaten der Gemeinde Stuhr.
Aufgrund zu hoher Kosten wurde die Mühle im Jahr 1779 privatisiert, wie Franke es nennt. „Man wollte die Kosten abgeben“, so der Experte. Daher wurde die Mühle nach Erbzinsrecht an den Müller Heinecke vergeben. „Es war eine praktische Lösung für alle“, sagt Franke. 1817 entstand das kleine Backhaus, das wahrscheinlich auch als Schnapsbrennerei genutzt wurde, berichtet er weiter. „Das brachte Geld“, so Franke.
Mit Johann Heinrich Steffens begann 1824 die Ära Steffens in der Heiligenroder Müller-Riege. 1829 wurde das neue Müllerwohnhaus gebaut, dort finden heute Ausstellungen und Versammlungen statt. 1839 kam die Mühlenscheune hinzu.
1843 war die alte Mühle dann nicht mehr zu retten. So wurde die heutige Wassermühle mit zwei Rädern an der gleichen Stelle gebaut. 1865 kauften die Steffens die Mühle und wurden selbstständig. Die „neue Zeit“ begann für die Mühle im Jahr 1909. Damals wurde für sie eine Dampfmaschine gekauft. „Das war die neue Technik“, erzählt Franke. Damit konnte unabhängig vom Wasserstand des Klosterbaches gearbeitet werden. Wenig später wurde aus der Mühle dann auch das erste kleine Elektrizitätswerk für Heiligenrode. Vor Ort wurde der Strom für die Mühle, aber auch für einige Häuser im Kernort produziert.
1962 stellte Friedrich Steffens als letzter selbständiger Müller den Betrieb ein und verpachtete die Mühle. Bis 1971 wurde sie dann noch zur Produktion von Viehfutter genutzt, bevor es dort ruhig wurde: „Nach der Betriebsaufgabe passierte erstmal gar nichts mehr“, berichtet Franke.
Im Jahr 1977 übernahm die Gemeinde Stuhr das Gebäudeensemble und 1986 gründete sich die Heiligenroder Mühlen-Gemeinschaft zum Erhalt der Wassermühle. Es folgte eine umfangreiche Restauration, die 1993 abgeschlossen werden konnte. So funktioniert die Technik der alten Mühle weiterhin, Schulklassen oder Kindergärten sind dort zu Gast und die Mitglieder der Mühlen-Gemeinschaft öffnen sie regelmäßig für Besucher - wenn nicht gerade Corona dazwischen komme, bedauert Franke die mittlerweile langanhaltende Schließzeit. Der 81-Jährige hofft, bald wieder Veranstaltungen und Führungen vor Ort anbieten zu können.
Weitere Informationen zur Heiligenrode Wassermühle und der Mühlen-Gemeinschaft gibt es im Internet unter www.muehle-heiligenrode.de. Die Mühlen-Gemeinschaft freut sich auch immer über neue Helfer.