So in etwa stellt sich der Laie wohl eine Mondlandschaft vor. Die Ansammlung eines Nichts. Befund: Bruch, Geröll, Gestrüpp und die dominante Farbe Braun, manchmal auch mit Weiß überzogen, wie bis vor wenigen Tagen. Der Harz. Mit seinen in weiten Teilen eintönigen Nadelwäldern ist er ohnehin nicht ein Höhepunkt der Flora. Doch seit sich der Borkenkäfer oder auch Buchdrucker genannt als Dauergast in den Fichten eingenistet hat, erkennen Touristen ihren Harz nicht wieder. „Als ich neulich nach ein paar Monaten mal wieder in Schierke war, dachte ich, dass ich mich verfahren habe“, sagt dazu trocken Carola Schmidt als Geschäftsführerin des Harzer Tourismusverbandes aus Bad Harzburg. Selbst Einheimische seien irritiert.
Eta die Hälfte der Bäume im Harz sind tot
Etwa die Hälfte der Bäume sei tot oder abgeräumt, bestätigt Forstdirektor Eberhard Reckleben aus Trautenstein, zuständig für die Wälder auf der sachsen-anhaltinischen Seite des Harzes. Auf der Internetseite der Stadt Schierke ist sogar zu lesen: „Die Waldbilder wirken auf viele Menschen zunächst befremdlich. Der Borkenkäfer erledigt die Zerstörung der Fichtenwälder derzeit sehr schnell.“
Besonders schlimm sieht es an der Bundesstraße 4 von Bad Harzburg nach Braunlage aus. Während die abgestorbenen Bäume im Nationalpark stehen bleiben und umfallen dürfen, kommen die konventionellen Förster in den Wäldern drumherum kaum noch nach, das Holz abzufahren und neue Bäume zu pflanzen. Zumal: „Der Käfer macht im Moment Pause und nimmt Anlauf fürs Frühjahr“, weiß Reckleben.
Doch während die Weiten brauner und toter Fichten einen trostlosen Eindruck machen, treten Tourismusverband, Forstämter und Nationalpark die Flucht nach vorne an und kehren das Dilemma ins Positive. Es regiert die Hoffnung. Carola Schmidt sagt: „Die Menschen reagieren ganz anders, wenn wir es ihnen erklären.“ Erklären, was dort passiere und warum es passiere. Dass die schnell wachsende Fichte für den Bergbau angepflanzt wurde, dass die Trockenheit der vergangenen Jahre eine Folge des Klimawandels und damit letztlich in der Verantwortung jedes Einzelnen liege. „Schuld sind wir daran doch alle“, findet sie und rät Skeptikern: „Fahren Sie mal ins Selketal, das ist es schon wieder schön.“
Also: Die Forst setzt neue Bäume auf die Brachflächen, zumeist Ahorn, Lärche, Esche und andere. „Buchen und Tannen gehen nicht“, sagt Reckleben dazu, die könne er bestenfalls dort pflanzen, wo die toten Fichten als Schutz stehen bleiben, dazwischen also, denn sie hielten der Witterung nicht stand. Und am Ende sei alles ein Experiment. Was genau wo und wie passiere, und wie lange es dauere, sei nicht klar. Reckleben zuversichtlich: „Schon sehr bald fängt es wieder an zu grünen.“ Nicht leicht habe er es aber mit dem Verfall der Holzpreise. Die seien so niedrig, dass der Aufwand höher als der Ertrag sei. Überwiegend gingen die Stangen in die Produktion von Bauholz.
Die Stadt Schierke macht ihren Besuchern derweil mit diesen Zeilen Hoffnung: „Auf lichtliebende krautige Pflanzen folgten Birken und Ebereschen. In diesen Bereichen lässt sich schon klar erkennen, dass der vorübergehend scheinbar tote Wald nur ein kurzer Zwischenschritt in der Entwicklung hin zur natürlichen Waldwildnis ist.“
Auch der Nationalpark tritt dem Eindruck manches Touristen entgegen, es werde nicht genug getan und alles verkomme. Auf seiner Internetseite heißt es dazu: „Zwischen ihren Silberstämmen keimt überall neues Leben – artenreicher, vielseitiger und robuster als zuvor. Eine neue Wildnis wächst heran. Wir Menschen haben die seltene Gelegenheit, dieser neu entstehenden Wildnis beim Wachsen zuzuschauen.“ Parksprecher Friedhart Knolle mit Sitz in Wernigerode sagt dazu, es würden lediglich die alten Bäume sterben – und nicht der Wald. Die Krise wäre erst da, wenn die Naturverjüngung, das Nachwachsen junger Bäume, nicht mehr funktionieren würde.“ Aber das tut sie.