Worpswede. "Darf ich mal anfassen?", fragt Michaela Jagels. Ihre Hand streicht über einen Kalender im Ledereinband. Kristof Mascher erklärt ihr wortreich die Lederintarsienarbeit. Er muss viel reden auf diesem 22. Worpsweder Kunsthandwerkermarkt. "Lachsleder, die ökologische Alternative zu Reptilienleder", verkündet ein Schild an seinem Stand und fordert damit viele Fragen heraus. Mascher war einer von rund 30 Ausstellern, deren Arbeiten das Rathaus für zwei Tage zu einer Flaniermeile des Kunsthandwerks machten.
Viel zu sehen und zu staunen gab es bei den 16 Worpsweder Kunsthandwerkern und ihren Gästen. "Ich glaube, das ist wieder eine gute Mischung", sagte Goldschmiedin Regine Blome-Weichert vom Organisationsquartett. Auch die Mühe, die die Veranstalter auf den optischen Eindruck des Kunsthandwerkermarktes gelegt hatten, habe sich gelohnt.
Die Stände sogen die Besucher ab dem ersten Schritt tiefer in das Haus hinein, vorbei an blumigen Mützen, Wolljacken, Gold geschmückter Keramik und einem Farbfeuerwerk von Schals. Gold glänzte neben Gläsernem und weiter zog es Füße und Blicke, zu Blome-Weicherts Puzzelteilen aus Messing und Silber an Perlenketten. Diese kontrastierten die hölzernen Schreibgeräte und Schalen vom Stand gegenüber. Dort zeigte Jörn Martens aus Vollersode, was aus Mooreiche, Buche oder Eukalyptus machbar ist - von gedrechselten Schalen aus Eukalytpusknollen oder dem australischen Grasbaum bis zu Schreibgeräten aus gestockter Buche oder rotem Rosenholz. "Der Markt ist der Beste", schwärmte der Gast-Kunsthandwerker aus Vollersode.
Weich und hart
Tiefer hinein schoben sich die Besucher ins Rathaus, vorbei an den Stein-Leder-Kontrasten der Worpswederin Hella Gabriel. "Eines ist weich, das andere hart", sagte sie lächelnd und deutete auf eine Lederweste mit einem Steinketten-Verschluss. Durch die gewechselten Standplätze der Aussteller böte sich den Worpswedern ein neues Bild. Das halte den Markt lebendig.
Worpswede-Premiere hatte Willi Hildebrand mit seinen klein- und großformatigen Holzspielzeugen. Schaukelpferd, Puppenhaus, Baummurmelbahn oder Ritterburg - honigfarbene Kinderträume begeisterten Jung und Alt. Vor knapp 25 Jahren begann der gelernte Tischler seine Karriere als Holzspielzeugmacher. Seine Kinder waren damals klein. Die Liebe zum Spielzeug hat er behalten.
Aus heimischer Erle, Buche oder Ahorn setzt Hildebrand eigene Ideen um und die seiner Kunden. Schmunzelnd erzählte er vom Wunsch nach einem hölzernen Adventskranz. Er konnte sich den erst nicht vorstellen. Das war vor 15 Jahren, längst ist der Kranz eine feste Größe in seinem Sortiment, auch in Worpswede war er zu sehen, mit Engeln und Tannenbäumen.
Geschichte und Geschichten boten Hannelore Heinemann und ihr Mann. Die Buchbindermeisterin mit dem Faible für die Weltgeschichte findet darin ihre Inspirationen. Die Zauberkarte aus den USA oder japanisch angehauchte Origami-Bücher für gefaltete Glückwünsche zwischen selbst gestalteten Buchdeckeln erklärte das Paar ebenso ausführlich wie traditionell japanische Bücher. Fünf Stück gehören zu dem Set, wo keines der Heftchen eine Aufschrift hat, stattdessen die handgestickte Randeinfassung deren Inhalte ankündigen. Drinnen handgeschöpftes Loktapapier aus dem Himalaya. "Zu meinen Büchern gibt es immer ein Skript", erzählte Heinemann, damit die Kunden um das Innenleben dieser kleinen Kunstwerke wissen. Bei Kristof Mascher hörten Interessierte vom sibirischen Volk der Nanai. Die am Unterlauf des Amur beheimateten Fischer vergaßen ihre Tradition des Fischhäutegerbens. Ein Nanai-Kunststudent brachte die Idee nach Deutschland mit, experimentierte lange und rettete das Wissen um das pflanzlich
gegerbte Fischleder vor dem Untergang und dem Völkerkundemuseum, so Mascher. Seit sieben Jahren arbeiten die Männer zusammen, Mascher fertigt aus Lachs, Stör und Tilapia Lederintarsien in Form von Gürteln, Taschen oder Armbändern. Michaela Jagels wollte "noch eine Nacht darüber schlafen". Mascher nickte und sagte: "Ich bin Bedenkzeiten von drei Monaten bis zwei Jahren gewohnt." Billig sind sie nicht, diese Unikate, in denen er die Motive des Nanai-Lebens aufgreift: Raubvögel, Fische und Blüten.
Um Aufmerksamkeit anderer Art warben indes der Vorsitzende Hans Ganten und seine Mitstreiter von der Stiftung Worpswede. Sie verteilten den neuen Stiftungsflyer und Informationsmaterial zur Sanierung der "Bötjer'schen Scheune". Diese stand vis-à-vis offen zum traditionellen Büchermarkt der Freunde Worpswedes in heimeliger Atmosphäre. Bilder an den Wänden zeigten, wie die letzte Drei-Ständerscheune des Landkreises nach ihrer Sanierung aussehen kann und soll.