Verbrechen sind spannend. Das zumindest bezeugt die Flut von Büchern, Magazinen und Fernsehsendungen, die sich mit der Schilderung von Betrug, Mord und Totschlag befassen. Das Interesse an Ermittlungen und Gerichtsverfahren scheint groß, doch was nach dem Urteilsspruch passiert, findet nur wenig Beachtung. Einer der Gründe: Es ist schwierig in Kontakt mit Gefangenen zu kommen. Diese Erfahrung hat der aus Verden stammende Alexander Krützfeldt machen müssen. Gemeinsam mit einer Kollegin vom Radio, Eva Achinger, erkundete der freie Journalist den Alltag hinter Gittern. Die Ergebnisse erschienen als Podcast beim Bayerischen Rundfunk und in der Süddeutschen Zeitung. Nun veröffentlichte Krützfeldt seine achtteilige Reportage als E-Book.
Acht Monate verbrachten Krützfeldt und Achinger wiederholt hinter Gittern. Den Kontakt zu Häftlingen und Justizvollzugsbeamten erhielten sie über Strafverteidiger und Gewerkschaften. „Das war gar nicht so leicht“, resümiert Krützfeldt. Am Ende waren es rund 30 Häftlinge, mit denen sie wiederholt sprachen. Die Geschichten von acht von ihnen hat Krützfeldt veröffentlicht.
Für die Recherche besuchte das Team Haftanstalten in ganz Deutschland. Das Fazit: Gefängnis ist nicht gleich Gefängnis. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so unterschiedlich ist“, sagt Krützfeldt. Schon allein Alter und Architektur der Einrichtungen seien grundverschieden. Entsprechend gibt es Zellen von sieben Quadratmetern, aber auch welche mit fast zwölf. Es gibt Einzel- und Gruppenzellen, verschiedene Freizeitangebote, überwiegend Arbeitspflicht, aber eben nicht überall. Und dann wäre da noch ein großer Unterschied: die Substitution. Während Drogenabhängige in den nördlichen Bundesländern recht gut mit Ersatzstoffen behandelt werden, sieht es für sie im Süden deutlich schlechter aus, hat Krützfeldt recherchiert. Und trotzdem: „Drogenfreie Gefängnisse gibt es nicht.“ Die Geschichten der Gefangenen sind mit einer Vielzahl von Daten und Fakten gespickt. Für deren Recherche bekam das Zweiergespann tatkräftige Unterstützung. Nachdem per Crowdfounding auch auf Seiten des freien Journalisten die Finanzierung stand, zeigte die Süddeutsche Zeitung Interesse an dem Projekt. „Für mich war das sehr besonders, die Zusammenarbeit mit anderen Journalisten“, erklärt Krützfeldt. Grafiker und Datenjournalisten ergänzten fortan das Team.
Das Gefängnis ist eine Welt für sich. Und genau das interessierte Krützfeldt besonders. Schon im Studium war er von isolierten Gesellschaften wie in Klöstern fasziniert. Hinter Gittern traf er während der Recherchen auf Pädophile, Drogendealer, Mörder und andere Gewalttäter. „Für Inhaftierte ist das eine große Bühne. Sie provozieren und wollen einen aus der Reserve locken“, schildert der heute 32-Jährige die häufig vorherrschende und zunächst einschüchternde Gesprächsatmosphäre. „Die Häftlinge wissen genau, was sie tun.“
Einer der Häftlinge ist Karl. Bei seinen ersten Gesprächen mit dem 60-Jährigen wusste Krützfeldt nicht genau, was dem Pädophilen zur Last gelegt wurde. In der Gefängnishierarchie stehen Männer wie er ganz unten. Das gilt auch für Kindermörder oder jene, die wehrlose Senioren töten. Die Mithäftlinge finden schnell heraus, wegen welchem Verbrechen jemand sitzt, erklärt Krützfeldt. Geheimnisse gibt es kaum.
Als sehr emotional, beschreibt Alexander Krützfeldt die mühsamen Recherchen. „Da kommt man auch oft an seine Grenzen.“ Entsprechend groß war die Erleichterung, als die Reihe erschienen war. Die Rückmeldung auf seine Texte war beeindruckend, sagt Krützfeldt. Dass er so viele Zuschriften erhalte, sei eine Seltenheit. Viele ehemalige Gefangene und Angehörige von Inhaftierten hatten sich teils hilfesuchend an ihn gewandt. „So eine Recherche bleibt“, ist Krützfeldt überzeugt. Auch nach Erscheinen der Texte steht er mit manchen Inhaftierten weiterhin in Kontakt. „Du kannst keinen Hund in einen Käfig sperren und dich beschweren, dass er bellt“, zieht Krützfeldt sein Fazit.
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