
Im Titel der Winterausstellungen der Worpsweder Museen klingt eine gewisse naive Verklärung an: „In den Gärten umtun“ – das wirkt harmlos und lässt bei Weitem nicht die radikale Wucht des Aufschlags vermuten, der sich dahinter verbirgt. Der Barkenhoff und die Große Kunstschau zeigen Arbeiten von Leberecht Migge, Sonja Alhäuser und Michael Schmidt, die sich alle drei im weitesten Sinne mit dem Thema Ernährung beschäftigen, allerdings aus extrem unterschiedlichen Perspektiven.
In der Bezugnahme, die die Kuratoren Beate Arnold und Jörg van den Berg vorgenommen haben, entsteht ein Blick auf den Umgang mit Lebensmitteln von der Erzeugung über die Verwendung bis zu den Folgen, der hochaktuell und in seinen Impulsen auch hochpolitisch ist. „Der Mensch ist, was er isst“, das Zitat von Ludwig Feuerbach aus der Zeit um 1850, könnte nicht nur als Motto über den Schauen stehen, es hat auch einiges mit den Arbeiten Migges gemeinsam. Als Urban Gardening würde heute das bezeichnet werden, was der Landschaftsarchitekt und Gartenplaner zwischen 1914 und 1920 entworfen hat. In dieser Zeit lernte er Heinrich Vogeler kennen und zog nach Worpswede, wo er seine Visionen auf dem heute nicht mehr existenten Sonnenhof an der Lindenallee realisierte.
Schlag in die Magengrube
Leberecht Migge ist der einzige der drei Protagonisten, der im Künstlerort wirkte und sich direkt auf Vogelers Barkenhoff-Experimente bezog, auf der anderen Seite entwarf er Pläne, die national und international verwirklicht wurden. Er plante Gartenanlagen mit minutiöser Akribie und neben eitlen, schönen Flanierparks spielten Obst und Gemüse dabei eine ebenso wichtige Rolle. Er stellte exakte Berechnungen an, wie viele Beete für wie viele Menschen nötig wären, und kalkulierte komplette Wohnsiedlungen zur Selbstversorgung. Dass diese Entwürfe heute zu sehen sind, ist nur einem Zufallsfund zu verdanken: Sie wurden erst 2016 in der Schweiz entdeckt und werden nun erstmals in Worpswede gezeigt.
Migges nahezu strengen Arbeiten stehen die Bilder und Skulpturen von Sonja Alhäuser gegenüber. Ein wahrhaft genussvoller Kontrast, denn das treibende Motiv der 50-Jährigen aus dem Westerwald ist die Freude am Fest. Vor allem in ihren großen Formaten, die immer wieder spiralförmige Strukturen aufweisen, geht es um Kreisläufe von der Pflanze – oder auch dem Tier – zum Essen. Klassische Jagdmotive treffen auf lustvoll verschlungene Menschenkörper, orgiastisch und manchmal fast ein wenig comichaft schweben die Figuren kopulierend über florale Bilderwiesen.
Leicht und licht, meist in zarten Pastelltönen geht es auf den zweiten Blick durchaus derb zu Sache. Zum Essen von Fleisch zählt das Töten von Tieren, das zeigt Alhäuser ebenso explizit wie die Fortpflanzung. In ihrem Bild „Eucalyptica“ macht sie selbst vor der Verdauung nicht halt, an anderer Stelle liefern ihre Arbeiten gleich die Rezepte für die Zubereitung eines Rehbratens mit. Nur so viel: Mit dem Rotwein geize man nicht! Die Völlerei aber ist endlich, und Totenköpfe und Skelette spielen in ihrem ewigen Zirkeln von Leben und Tod eine feste Rolle; fast ein wenig wie im mexikanischen Totenkult ist es aber ein beinahe fröhlicher Umgang mit dem lästigen Umstand der Sterblichkeit.
Während es im Barkenhoff bei diesem eindruckvollen Duett von Migge und Alhäuser bleibt, schwillt der Ausstellungskanon in der Großen Kunstschau zum Dreiklang an. Dort trifft man die beiden als Zwischenruf zu den Arbeiten Michael Schmidts wieder – und man sollte sich bei seinem Ausstellungsbesuchen unbedingt an diese Dramaturgie halten. Im zentralen Raum hängen 120 Fotografien wie an einer Perlenschnur aufgezogen in langer Reihe. Darüber hat van den Berg in der ihm eigenen Negierung von chronologischen Zusammenhängen vier „Alte Worpsweder“ positioniert, als eine Art zweite Ebene. Inmitten des Raumes ist eine offene, begehbare Holzkonstruktion gesetzt, in der Migge und vor allem Alhäuser quasi noch mal als Reprise auftauchen. Flankiert wird der Aufbau von je einer Skulptur aus Schokolade und einer aus Margarine, Letztere nicht nur aus Erfahrungen mit Werken von Beuys hinter Glas in einem Kühlschrank, Erstere aber offen und somit auch riechbar, wie schon die im Barkenhoff verwandten Kressebeetchen.
Umrahmt sind diese beinahe barock anmutenden Arbeiten von den brutal nüchternen Fotografien, die – mal im Detail, mal en gros – industrielle Lebensmittelproduktion zeigen. In ihrem dokumentarischen Charakter nehmen sie Migges Strenge in gewisser Weise auf, seine mitgedachten sozialen Ideen aber konterkarieren sie. Alhäusers Affinität zum Genuss, der ja vor allem im Miteinander entsteht, stehen sie im Grunde feindlich gegenüber. An dieser Stelle ist die Ausstellung unmittelbar politisch, allerdings nicht moralisch oder manipulativ. Jörg van den Berg begreift Museen als Denkorte, und mit diesem Schlag in die – im übertragenen Sinne – zuvor gut gefüllte Magengrube, wird dem Besucher überdeutlich, was er damit meint.
Die Ausstellung „In den Gärten umtun“ wird mit einer kulinarischen Performance in drei Teilen eröffnet. Start ist am Sonnabend, 16. November, um 15 Uhr im Barkenhoff, danach geht es in die Große Kunstschau. Ab 18 Uhr gibt es eine Feier in der Bötjerschen Scheune mit Musik und Talkrunde.
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