
Borgfeld. Frische Luft, Wärme und körperliche Nähe - das tut Kindern jetzt besonders gut. Auf der Kinder- und Jugendfarm der Hans-Wendt-Stiftung bietet neuerdings eine Sozialpädagogin offene Jugendarbeit mit Tieren an. Der Worpsweder Kinder- und Jugendpsychotherapeut Hans Jordan lobt: „eine ganz wichtige Arbeit“.
Denn, so erklärt er im Interview mit der WÜMME-ZEITUNG: „Tiere haben eine ausgleichende Wirkung auf die Seele.“ In Zeiten, in denen man niemandem zu nahe kommen darf, um sich nicht zu infizieren, leiden Jordan zufolge besonders Kinder und Jugendliche. Abstand zu halten, das sei für sie befremdlich.
Wie eine kleine Oase wirkt da das Spielen mit Nachbars Katze oder eben der Besuch auf einer der Bremer Kinder- und Jugendfarmen. Nach einer coronabedingt ruhigeren Phase legt auch die Farm der Hans-Wendt-Stiftung wieder los. Neu ist das für jeden zugängliche, also offene Angebot für Kinder und Jugendliche aus allen Stadtteilen. „Unser Schwerpunkt liegt auf den Themen Natur und Umwelt, auch unsere Farmtiere werden selbstverständlich mit einbezogen“, sagt Sprecherin Heike Worgulla. Die Stadt Bremen habe der Stiftung dafür einen Zuschuss in Höhe von 45.000 Euro gewährt. Dieses Geld verwende die Stiftung, um Sozialpädagogin Bärbel Wörhoff für ihre Arbeit zu entlohnen. Sie soll - solange es die Auflagen zulassen - an fünf Nachmittagen in der Woche Kindern ab sechs Jahren Angebote machen, die sie nichts kosten und bei denen sie ihre Ideen und Wünsche einbringen können. Geplant sind zwei Farmgruppen, eine Kaninchen- und eine Schafgruppe.
Tiere spielen bei allen Angeboten eine wichtige Rolle - egal ob offene Jugendarbeit, Naturerlebnis-Gruppen oder Umweltbildung. Projektleiterin Friederike Reinsch von der Wendt-Stiftung erklärt, worum es bei der Arbeit mit den Tieren geht: „Wir schauen, was können wir den Tieren Gutes tun, wie erkennen wir die Individuen - und erkennen sie uns auch?“ So, sagt Reinsch, entstünden Beziehungen und Vertrauen. Auf der Borgfelder Farm, die sich auch dem Erhalt alter Haustierrassen und der Umweltbildung verschrieben hat, steht neben dem Wohlfühlen noch ein zweiter Aspekt im Vordergrund. „Nur was man kennt und liebt, kann und wird man schützen“, glaubt Reinsch.
Das Band knüpfen drei pädagogische Mitarbeiter. „Die Kinder und Jugendlichen kommen und gehen, wie sie wollen“, sagt Reinsch. Bei den Tieren vorbeizuschauen, koste sie lediglich Motivation. Eine Anmeldung aber sei in Zeiten von Corona Pflicht. „Die Nachfrage ist riesig, die Gruppen sind voll“, freut sich die Projektleiterin. Bis zu 20 Kinder und Jugendliche halten sich ihren Worten zufolge täglich auf der Farm auf. „Mehr dürfen es nicht sein und mehr können wir uns nicht leisten, denn allein eine Mitarbeiterin muss auf den Abstand achten.“
Daran, dass gerade viele Eltern und Kinder die Farm Am Lehester Deich besuchen, merken die Farmmitarbeiter, wie wichtig ihre Arbeit ist. „Die Eltern und Kinder sind froh, dass es wieder Angebote gibt draußen in der Natur“, sagt Heike Worgulla. Vor allem am Wochenende kommen viele Besucher auf die Farm.
Auch die Anzahl der Anmeldungen für die offene Jugendarbeit sei groß. „Wir versuchen, so viel wie möglich anzubieten, weil es für die Kinder und Jugendlichen so wichtig ist, sich an der frischen Luft zu bewegen, soziale Kontakte zu haben, rauszukommen aus dem Homeschooling“, sagt Friederike Reinsch. In den vergangenen Monaten sei vieles zu kurz gekommen. Vor allem aber die Nähe: Mit den Tieren der Farm kommen die Kinder auf unterschiedlichste Weise in Kontakt. Heike Worgulla fügt hinzu: Die Wendt-Stiftung werde so auch ihrer Verantwortung als Jugendhilfeträger gerecht, nämlich sich um das Wohl von Kindern und Jugendlichen zu kümmern. Die Pandemie sei eine große Belastungsprobe für alle Familien.
Die Auswirkungen sieht nicht nur Friederike Reinsch. Manche Kinder müssen mehr denn je Dampf ablassen, sie brauchen ein Ventil. „Es kommt öfter als sonst vor, dass Kinder aufgedreht und laut sind, wenn sie herkommen“, sagt sie, „daran merken wir, dass sie etwas loswerden müssen.“ Auf der Farm bekommen die Jungen und Mädchen Aufgaben, „die sie mit großer Ernsthaftigkeit annehmen und ausführen“, beobachtet Reinsch. Andere Kinder dagegen seien sehr zurückhaltend und still: „Sie nehmen den Raum hier gern an und Tiere, die Interesse zeigen.“ Vom Wesen her eigneten sich dafür besonders die Kaninchen und die Schafe. „Sie sind ruhig und überfordern einen nicht.“
Nach Monaten der Schockstarre und der Distanz langsam wieder ins Handeln zu kommen, Entscheidungen zu treffen und anderen etwas Gutes zu tun - das sei jetzt angesagt. Vor diesem Hintergrund bekommt „den Schafen Wasser zu geben“ einen tieferen Sinn. „Die Kinder erleben einen Rollenwechsel, sie können selber etwas tun“, so Reinsch. Das hebe das Selbstbewusstsein der Kinder und es stärke das Gefühl der Selbstwirksamkeit. Reinsch ist überzeugt: „Das nimmt man auch mit in den Alltag.“
Wundertüten voller Überraschungen
An jedem Monatsanfang gibt es kostenlose Wundertüten zum Mitnehmen. Darin finden Kinder Tipps für allerlei Spaß auf dem Farmgelände und zu Hause, unter anderem Experimente, Farm-Rallyes, Bastelanleitungen, Tipps zum Klimaschutz zu Hause sowie Aktuelles aus dem Farmgeschehen. Die Auflage ist zunächst limitiert.
Verantwortlich für den Inhalt ist das Team der Farm mit Sozialpädagogin Bärbel Wörhoff, die neuerdings den Bereich der offenen Jugendarbeit gestaltet. Wörhoff hatte gemeinsam mit ihrer Kollegin Lisa Saupe aus der Hans-Wendt-Umweltbildung die Idee, Wundertüten zu befüllen. Die Tüten sind für Kinder der ersten bis sechsten Klassen gedacht und hängen auf dem vorderen Farmgelände auf Höhe des Kaninchenstalls kontaktlos zum Mitnehmen bereit.
Neustart
Nach den Osterferien sollen die Gruppen der Umweltbildung und die Ponygruppe wieder starten. Neu ist das über sechs Monate angelegte Projekt „Auf geht’s - tierische Arche-Erlebnisse auf der Farm“. Ziel ist es, Kinder und Jugendliche anzuregen, über eine gerechtere Tier-Mensch-Beziehung, einen verantwortlichen Umgang mit Nutztieren und über artgerechte Tierhaltungsformen nachzudenken und ein Verständnis für ökologische und wirtschaftliche Zusammenhänge sowie über einen notwendigen Wandel der Landwirtschaft zu erlangen.
In der offenen Jugendarbeit gibt es folgende Angebote: Die offenen Farmgruppen treffen sich Montag und Donnerstag jeweils von 15 bis 16.30 Uhr. Eine Kaninchen-Gruppe gibt es dienstags von 15.30 bis 17 Uhr; immer mittwochs in der Zeit von 15.30 bis 17 Uhr macht eine Gruppe das Schafgatter unsicher. Aufgrund der Pandemie finden die Gruppen nur mit Anmeldung (kinderundjugendfarm(at)hwst.de) und kleiner Teilnehmerzahl statt. Auch größere Gruppen, die zur Farm kommen, müssen sich anmelden. Die Farm ist täglich von 10 Uhr bis zum Einbruch der Dunkelheit kostenfrei zugänglich.