
Sandbostel. Janusz Pilchowski war gerade einmal 14 Jahre alt, als sich im Zweiten Weltkrieg die Armia Krajowa, die polnische „Heimatarmee“, zum Aufstand gegen die deutsche Besatzung Warschaus erhob. Unter dem Kampfnamen „Lisek“ und mit einer Panzerabwehrkanone bewaffnet zog der Junge in den Häuserkampf. Nach der Kapitulation im September 1944 brachte die deutsche Wehrmacht Janusz Pilchowski und viele weitere polnische Männer, Frauen und Kinder in das Kriegsgefangenenlager Stalag X B Sandbostel. Dort blieb er, der zu den jüngsten Gefangenen gehörte, bis zu seiner Befreiung durch britische Truppen im April 1945.
Wie es Janusz Pilchowski im Lager Sandbostel und in seinem späteren Leben ergangen ist, darüber erzählt der 1929 Geborene in einem Zeitzeugeninterview, das Jan Dohrmann von der Gedenkstätte Lager Sandbostel im Herbst mit ihm geführt hat. Der aus Tarmstedt stammende Dohrmann, der in Hamburg lebt und in Bremen Geschichte studiert, ist im Rahmen eines von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, Monika Grütters, finanzierten Projekts bei der Gedenkstätte beschäftigt. Inhaltlicher Schwerpunkt seiner auf drei Jahre befristeten Arbeit ist die Beschäftigung mit ehemaligen polnischen Kriegsgefangenen. „Wir wollen deutsche und polnische Jugendliche über die Geschehnisse im Zweiten Weltkrieg informieren und mit Hilfe von internationalen Begegnungen zusammen bringen. Wir sehen uns als Ansprechpartner für Schulen und Organisationen, die Austauschprogramme pflegen“, erklärt der 25-Jährige. Erstes Ergebnis ist ein 91 Minuten langes Video in englischer Sprache, das wegen der Corona-Pandemie einstweilen nur über die Homepage der Gedenkstätte oder direkt auf Youtube abrufbar ist.
Bis Dohrmann das Gespräch mit Janusz Pilchowski führen konnte, musste er erst einmal Detektivarbeit leisten. Von Pilchowski hatten sie in der Gedenkstätte Sandbostel zwar schon seit Jahren ein Foto, das ihn in Uniform nach der Befreiung zeigt. Doch auf der Rückseite stand lediglich „Lisek“, das polnische Wort für kleiner Fuchs. „Ein Tarnname, der unter den Soldaten der polnischen Heimatarmee weit verbreitet war. Sonst hatten wir nichts“, so Dohrmann.
Also setzte er sich an den Computer und suchte in Datenbanken nach dem Menschen zum Foto. „Wir wussten nicht mal, ob er überhaupt noch lebt“, so Dohrmann. In mehr als 50.000 Personenakten mit Namen von Kämpfern des Warschauer Aufstands fand er elf Liseks, von denen schließlich zwei übrig blieben, die in Sandbostel interniert waren. Einer von ihnen stellte sich schließlich als der heraus, der auf dem Foto zu sehen ist. Auf seinen Namen gekommen ist Dohrmann am Ende in einem polnischen Zeitzeugeninterview von 2018. Nachdem er den Namen Pilchowski auf Facebook gefunden hatte, meldete sich ein in Kanada lebender Enkel, der schließlich den Kontakt zu einer Tante herstellte, der Schwester seines Großvaters.
Wie sich zeigte, hatte es Janusz Pilchowski nach dem Krieg über mehrere Stationen nach England verschlagen, nach Chesterfield. Unter anderem war er für die britische Armee sechs Jahre in der Kolonie Malaya, später ließ er sich in England nieder, gründete eine Familie, zu der heute auch zwölf Enkel und drei Urenkel gehören. Zwischendurch hat er einige Jahre in Deutschland gearbeitet.
Gegenüber Deutschland und den Deutschen hege Pilchowski keinerlei Groll, berichtet Dohrmann. Beim ersten Vorgespräch zur Vorbereitung des Interviews habe er sogar versucht den Eindruck zu erwecken, dass seine Zeit in Sandbostel „gar nicht so schlimm gewesen“ sei. „Er hatte wohl Angst davor, durch einen ehrlichen Bericht Konflikte zu schüren“, interpretiert Dohrmann diesen Versuch der Schönfärberei. Eine bei ihm lebende Enkelin habe das jedoch mitbekommen und ihrem Opa ins Gewissen geredet, doch bitte bei den Tatsachen zu bleiben.
So berichtete Pilchowski im per Zoom geführten Interview schließlich davon, dass er nach der Gefangennahme bei Warschau in einem Güterwagen nach Bremervörde verfrachtet wurde, ohne Toilette bei schlechter Versorgung. Verwundete seien nicht behandelt worden, regelmäßig seien bei Zwischenstopps Tote aus den Waggons getragen worden. Gefangene hätten mit Messern Löcher in den Boden gekratzt, damit die Exkremente ablaufen konnten.
Nach fünf Tagen sei er in Sandbostel angekommen, das letzte Stück vom Bahnhof legten die Gefangenen zu Fuß zurück. Schnell habe Pilchowski die Hierarchien im Lager wahrgenommen, etwa, dass die französischen Gefangenen besser behandelt wurden als die polnischen, und dass es den 1939 internierten Polen besser ging als den 1944 dazu Gekommenen. Ganz unten standen die sowjetischen Gefangenen. Die Essensversorgung sei schlecht gewesen, manchmal gab es nur eine Mahlzeit am Tag, die man auch noch vor anderen Gefangenen verteidigen musste. Pilchowski hatte tatsächlich Glück im Unglück, denn er wurde zu Botengängen innerhalb des Lagers eingesetzt, schwere körperliche Arbeit, wie beispielsweise beim Bau des Bunkers Valentin in Farge, blieben ihm erspart. „Viele Gefangene wurden auch nach Hamburg abkommandiert, wo sie nach Bombenangriffen Trümmer räumen mussten“, so Dohrmann. Ebenfalls gefährlich seien Arbeitseinsätze in der Tabakindustrie oder auf Werften und Raffinerien gewesen.
Für Jan Dohrmann war das Gespräch, das er als sehr intensiv wahrgenommen hat, der erste Kontakt zu einem Überlebenden von Sandbostel. 200 weitere Namen von polnischen Gefangenen, darunter 40 Frauen, hat er im Archiv gefunden. Seine Aufgabe sieht er darin, den riesigen Bestand zu sichten und zu gucken, „was erzählen sie über das Lager Sandbostel? Wie kann man die Bestände so aufbereiten, dass sie sich für die pädagogische Arbeit nutzen lässt?“ Ihm kommen dabei zwei Dinge zugute: dass er neben Geschichte auch außerschulische Pädagogik studiert und dass er dank seiner aus Polen stammenden Mutter ziemlich gut Polnisch spricht. „Weil mich Geschichte schon immer interessiert, ist das hier genau mein Ding“, sagt Dohrmann. Hinzu komme, dass er sich in der relativ kleinen Gedenkstätte Sandbostel mit ihren flachen Hierarchien und dem sehr guten Miteinander von Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen sehr wohl fühle.
Das Interview mit Janusz Pilchowski ist unter www.stiftung-lager-sandbostel.de abrufbar. Die Gedenkstätte (Greftstraße 3) ist unter 04764/ 22 54 810 zu erreichen.
Gedenken an die Opfer des Holocaust
Den Film „Holocaust light gibt es nicht!“ zeigt der Gedenkstättenverein Sandbostel am Mittwoch, 27. Januar, in einer virtuellen Veranstaltung über die Plattform „Zoom“. Sara Atzmon überlebt als 12-Jährige Ghetto, Arbeitslager und das KZ Bergen-Belsen. Fast 70 Jahre später besucht sie mit ihrer Enkelin die Orte ihres Leidens in Deutschland. Dabei trifft sie auf Jugendliche, die nichts über den Holocaust wissen, und Erwachsene, die nichts mehr von den Verbrechen der Nazis und den Folgen für die Opfer hören wollen. Sara Atzmon begegnet auch jüdischen Deutschen, die aufgrund des zunehmenden Antisemitismus wieder auf gepackten Koffern sitzen. Ilona Rothin hat den 90-minütigen Dokumentarfilm 2014 gedreht. Die Zugangsdaten erhalten Interessierte nach einer Anmeldung per E-Mail an j.dohrmann(at)stiftung-lager-sandbostel.de.
dass in unserem land schnelltests über tante-emma-discounter an den kleinen mann und die kleine frau gebracht ...