
Worpswede. So manche Goldene Schallplatte an der Wand erzählt von der langen und erfolgreichen Karriere Blue Weavers. Vor allem als Keyboarder der Bee Gees wurde der Wahl-Worpsweder berühmt und vielfach ausgezeichnet, aber auch mit anderen bekannten Gruppen wie Amen Corner, Mott The Hoople, T-Rex, Pet Shop Boys, The Damned oder Künstlern wie Lou Reed oder Linda McCartney nahm er Alben auf oder ging auf Tour. Seine Discografie ist beeindruckend, aber für den gebürtigen Waliser kein Anlass, sich zur Ruhe zu setzen. Im Gegenteil, trotz Corona habe er in seinem Studio mehr denn je zu tun, berichtet der Musiker und Produzent, der im März 75 Jahre alt wird.
Ein Grund dafür war in den vergangenen Monaten eine weitere Band, die man mit Fug und Recht als Legende bezeichnen kann: The Strawbs. Weaver nahm deren neues Album „Settlement“ auf und spielte selber darauf. Für ihn die erste Produktion, die komplett kontaktlos ablief: Die Musiker erarbeiteten ihre Parts alle isoliert zu Hause oder allein in Studios und schickten die Aufnahmen nach Worpswede, wo Blue Weaver die einzelnen Spuren des Albums zusammenfügte und abmischte. Am Anfang habe er sich das gerade für die Strawbs, die eher eine Liveband seien und gerne improvisierten, nicht so recht vorstellen können, sagt er. Dann aber lief es erstaunlich gut. Dem fertigen Album, das 25. der lange Bandhistorie, das am 26. Februar erscheinen soll, ist diese Entstehungsgeschichte jedenfalls nicht anzuhören. Es ist ein homogenes Werk und typisch für die Gruppe, sie seit fast 60 Jahren besteht.
Die Band wurde vor 1964 als The Strawberry Hill Boys in England gegründet und spielte zunächst Bluegrass. Nach und nach entwickelte sie sich zu einer Folkband mit starken Progrock-Bezügen. Charakteristisch sind vor allem die Stimme und die oft sehr poetischen, ausufernden Texte von Bandgründer Dave Cousins, der gerade seinen 77. Geburtstag feierte und immer noch die prägende Figur der Band ist. Auch Gitarrist Dave Lambert ist seit den frühen 70er-Jahren dabei, er beerbte einst Tony Hooper, der im vergangenen Dezember mit 81 Jahren gestorben ist.
Kurz vor Lambert kam Blue Weaver im August 1971 zur Band. Er ersetzte damals keinen Geringeren als Rick Wakeman, der ein Angebot von Yes hatte und so weltberühmt wurde. Aber auch die Strawbs machten einen Sprung auf der Karriereleiter, nicht zuletzt durch ihre Produzenten Tony Visconti, der unter anderem auch für die wichtigsten Alben von David Bowie und T-Rex verantwortlich zeichnet. Er öffnete Waever Türen, stellte ihn Stars wie Lou Reed oder Paul McCartney vor, und ist bis heute als „Magier am Mischpult“ ein wichtiger Lehrmeister in Sachen Studiotechnik geblieben. Ein Basiswissen, das Weaver schon bei den Bee-Gees-Alben, die er teils koproduzierte, gewinnbringend einsetzen konnte und das ihm jetzt bei der Strawbs-CD und -LP erneut zugutekam.
Die Liste der Musiker, die bei den Strawbs ein- und wieder ausstiegen, ist lang, allein die Position des Keyboarders bekleideten neben Weaver und Rick Wakeman auch zeitweise Wakemans beide Söhne Adam und Oliver oder Don Airey, heute bei Deep Purple. Blue Weaver kehrte selbst mehrfach für Touren und Aufnahmen zur Band zurück, wenn er gerade keine anderen Verpflichtungen hatte. Er blieb mit Dave Cousins bis heute freundschaftlich verbunden, und so fragte ihn dieser auch, ob er sich die Produktion des neuen Albums unter Corona-Bedingungen vorstellen könne.
Das konnte Weaver, der über entsprechendes digitales Equipment verfügt. Er wollte sowieso die Liveaufnahmen abmischen, die die Band anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens aufgenommen hatte. Sie feierte sich selbst mit einem dreitägigen Event in Lakewood, New Jersey. Obwohl ihr Sound recht britisch anmutet, hatten die Strawbs von jeher in den USA und Kanada die meisten Fans, in Kontinental-Europa bleiben sie eher ein Geheimtipp. Zu den Gästen in Lakewood gehört auch Eric Brazilian von The Hooters. Er erzählte, dass sich seine Band gründete, nachdem die ersten Mitglieder gemeinsam auf einem Strawbs-Konzert waren. Für Weaver eine große Ehre, wie er erzählt.
„Irgendwann vergangenes Jahr rief dann Dave Cousins und sagte: ,Vergiss die Liveaufnahmen, die Plattenfirma will ein neues Album‘“, erinnert sich Blue Weaver. Eigentlich arbeitete er gerade an Hip-Hop-Aufnahmen, unter anderem mit Mitgliedern vom Wu-Tang Clan, die ließ er aber erst mal liegen. Tatsächlich haben sich die Bandmitglieder von The Strawbs dann nie per Konferenz-Tools zusammengeschaltet, sondern jeder hat seinen Teil eingespielt. Manchmal nicht ganz einfach, wenn beispielsweise ein Stück im 5/4-Takt vorgegeben ist, der Gitarrist seinen Part aber lieber in 4/4 spielt. Manches war mit Computer-Technik zu retten, anderes musste mehrmals hin- und hergeschickt werden, bis es saß. Auf der anderen Seite gab es unerwartete Bereicherungen: Für das Stück „Judgement Day“ etwa hatte Bassist Chas Cronk vier verschiedene Bassläufe zur Auswahl geschickt – aber statt drei wegzuwerfen, benutzte Weaver kurzerhand alle vier und mischte sie zu einer komplexen Sequenz zusammen. Was wegfiel, waren hingegen lange Diskussionen im Studio. Jeder machte sein Ding, und Blue Weaver am Ende ein Album daraus.
No zu Yes
Als Blue Weaver 1971 Rick Wakeman als Keyboarder bei The Strawbs ersetzte, wechselte dieser zu Yes. Dort löste Wakeman seinerzeit Tony Kaye ab. Der gründete seinerseits im Jahr darauf die kurzlebige Band Badger, bei der ein gewisser Brian Parrish Sänger und Gitarrist wurde. Weaver und Parrish kannten sich seinerzeit nur flüchtig, heute leben beide in Worpswede, kooperieren häufig und sind freundschaftlich verbunden. Yes-Sänger Jon Anderson erinnerte sich, dass The Strawbs mit dem Einstieg Weaver kommerziell erfolgreicher wurde und fragte Weaver, nachdem Wakeman zwischenzeitlich Yes wieder verlassen hatte, ob er den Kollegen ein zweites Mal ersetzen wolle. Blue Weaver sagte „No“ zu Yes, er lehnte das Angebot ab, weil ihm die Aufgabe zu groß erschien, und die (Musik-)Geschichte wiederholte sich nicht.
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