
Verden/Ritterhude. Die Tage zwischen den Plädoyers und dem Urteil dürften für ihn die ärgsten im ganzen Verfahren gewesen sein. Wegen fast 90-fachen Drogenverkaufs drohte dem 24-Jährigen aus Ritterhude der Gang ins Gefängnis. Doch während die Staatsanwaltschaft sich für drei Jahre Haft ausgesprochen hatte, verhängte das Landgericht Verden „nur“ zwei Jahre. Und dass zudem die Strafaussetzung zur Bewährung verkündet wurde, sorgte für besondere Erleichterung, nicht zuletzt bei der Lebensgefährtin.
Der 19-Jährigen schien der sprichwörtliche Stein vom Herzen zu fallen, als sie das Strafmaß vernahm. Sie selbst muss wegen Mittäterschaft in 30 Fällen innerhalb von sechs Monaten 60 Stunden gemeinnützige Arbeit ableisten. Beim entsprechenden Antrag der Staatsanwältin hatte die junge Mutter in der Vorwoche deutlich genickt. Tränen waren dagegen geflossen, nachdem für den Hauptangeklagten drei Jahre Haft verlangt worden waren. Der Verteidiger war dieser Forderung energisch entgegengetreten. Die große Jugendkammer des Landgerichts machte in ihrer Urteilsbegründung kein Hehl daraus, dass es zunächst ganz und gar nicht nach einer noch bewährungsfähigen Strafe ausgesehen habe. In der Vorbereitung der Hauptverhandlung sei man davon ausgegangen, dass angesichts der Vielzahl der angeklagten Einzeltaten (147) eine Bewährung wohl nicht mehr möglich sei, sagte Vorsitzende Richterin Anja Bederna. Die getroffene Entscheidung sei auch „in keiner Weise selbstverständlich“ gewesen, betonte sie. Zumal es in erheblichem Maße um den Verkauf von Marihuana an Minderjährige gegangen sei.
Das Gericht verurteilte den 24-Jährigen wegen der gewerbsmäßigen unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln in 88 Fällen, davon in 46 Fällen an Personen unter 18 Jahre. Zwischen Juli 2017 und Februar 2018 waren jeweils ein Gramm zum Preis von zehn Euro verkauft worden. Nach reiflicher Abwägung legte die Kammer minderschwere Fälle zugrunde. Der junge Mann, der eher wie ein Jugendlicher gelebt, keine Ausbildung und auch sonst kaum etwas Sinnvolles getan habe, sei nicht „der typische Dealer, der an der Straße oder an der Schule steht und Konsumenten anwirbt“.
In den übrigen angeklagten Fällen, die sich nicht feststellen ließen, erfolgte ein Freispruch. Die Verurteilung erstreckt sich aber auch auf zwei Taten des Betäubungsmittelerwerbs, wobei einmal allein 400 Gramm „Gras“ zum Preis von 1400 Euro zu Buche standen. Unter Abwägung aller Umstände hielt die Kammer eine zweijährige Bewährungsstrafe für vertretbar. „Jeder hat eine zweite Chance verdient. Machen Sie was draus!“, appellierte Richterin Bederna an den Angeklagten. Und vorsorglich wies sie darauf hin: Sollte es einmal ein weiteres Verfahren geben, „wird man Ihnen nicht so entgegenkommen“.
Das Gericht ordnete auch die Einziehung von Taterträgen in Höhe von 880 Euro an. Der 20-jährige Bruder muss wegen Beihilfe zum gewerbsmäßigen Drogenhandel 200 Arbeitsstunden ableisten. Der Vater der 19-Jährigen wurde wegen Beihilfe zum unerlaubten BTM-Erwerb zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 20 Euro verurteilt. Keiner der Beteiligten habe wohl damals über sein Verhalten richtig nachgedacht und die drohenden Konsequenzen erfasst, so die Richterin.
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