
Borgfeld. Die Bundeskanzlerin nutzt sie, Bremens Bürgermeister ist dabei, und auch die Lokalpolitiker in Lesum führen so ihre Debatten: Videokonferenzen sind aus der Politik nicht mehr wegzudenken. Quer durch die Welt und durch alle Instanzen wird vor den Bildschirmen geplauscht und beraten. Nur in Borgfeld, da bleiben die Monitore dunkel, zumindest, was öffentliche Sitzungen anbelangt. Auch im Januar wird es höchstens Tastenklappern geben, wenn jede Ortspolitikerin und jeder Ortspolitiker für sich per E-Mail im Umlaufverfahren ein Votum abgibt. Dabei sind seit Sommer alle Bremer Ortsämter für eine Beiratssitzung per Video ausgestattet. Das sagt ein Sprecher der Senatskanzlei.
Werner Wick zufolge ist der Borgfelder einer der letzten Beiräte, die ihre Sitzungen absagen anstatt sie per Video durchzuführen. Gut zwei Drittel der 22 Bremer Beiräte tagten bereits auf diese Weise und übertragen die Videos per Youtube oder Facebook ins Internet, damit die Bürger die Sitzungen zeitgleich verfolgen können. Das Equipment sei aus dem Bremen-Fonds zur Bewältigung der Pandemie finanziert worden, eine Verwaltungsapp namens „Gotomeeting“ vom Senat für Beiratssitzungen freigeschaltet. Zur Anwendung habe es eine kurze Einweisung gegeben. In Osterholz, Lesum und Blumenthal könnten die Bürger die Arbeit ihrer Beiratsmitglieder inzwischen regelmäßig am Bildschirm verfolgen. Nicht überall in Bremen lief das von Anfang an glatt, gibt Wick zu. „Es haben sich vielfach Kollegen gemeldet und gesagt, was sie brauchen.“ Der Senat lasse niemanden im Stich, Experten der Behörden könnten helfen, Probleme zu lösen. Doch dafür müssten sich die Ortsämter melden. „Notfalls fährt jemand raus und installiert noch etwas.“
In Bremen schreibt das Beirätegesetz vor, der Beirat habe dafür Sorge zu tragen, dass sich die Bürger zu Themen und Entwicklungen äußern und fragen können. In Borgfeld hat am 12. Januar der nichtöffentliche Koordinierungsausschuss darüber entschieden, dass die Beiratssitzung am 19. Januar nicht stattfindet. Die letzte öffentliche Sitzung gab es am 27. Oktober. Zur Begründung gibt Beiratssprecher Gernot Erik Burghardt (FDP) auf Nachfrage die „epidemische Lage“ an, außerdem habe es nicht ausreichend aktuelle Themen gegeben, die dringend einer öffentlichen Präsenzsitzung bedurft hätten. Die Mitglieder des Koordinierungsausschusses seien deswegen übereingekommen, über die Anträge per E-Mail im Umlaufverfahren abzustimmen.
Die Anträge sind seit Montag, 18. Januar, auf der Homepage des Ortsamtes zu finden. Eine öffentliche Debatte gibt es in diesem Monat nicht, die Standpunkte und Argumente der Politiker bleiben unveröffentlicht, sie sind auch nicht über die Sitzungsprotokolle nachvollziehbar. Zu den aktuellen Themen gibt Bramsiepe zu: „Diese Anträge hätten es verdient, dass man noch mal darüber spricht.“ Immerhin sollen laut Burghardt die Abstimmungsergebnisse auf der Homepage des Ortsamtes abrufbar sein. „Aus (arbeits-) technischen Gründen mag dies jeweils ein wenig Zeit in Anspruch nehmen“, so Burghardt, das sei aber gang und gäbe. Ortsamtsleiter Karl-Heinz Bramsiepe verteidigt die Borgfelder Praxis: Die Bürger könnten sich jederzeit über das Ortsamt beteiligen, „ich gebe ihre Anregungen in den Beirat“. Ob und wie Behörden auf Anfragen aus Borgfeld geantwortet haben, sei dagegen in den Protokollen nachzulesen, die das Ortsamt auf seiner Internetseite veröffentliche.
Bramsiepe erklärt ähnlich wie Burghardt, ausschlaggebend für die Absage der Januar-Sitzung sei das „hohe Infektionsgeschehen mit einem Inzidenzwert von deutlich über 50“. Die Präsenzsitzung abzusagen, sei ein kleiner Beitrag zum Versuch, diesen Wert nach unten zu drücken. Ob die nächste Sitzung stattfindet, ist offen: „Am 9. Februar wird der Koordinierungsausschuss das weitere Vorgehen besprechen“, so Bramsiepe. Die Sitzung ist für den 16. Februar geplant und soll „in jedem Fall mindestens in digitaler Form stattfinden.“ Beiratsmitglieder, die über keine geeignete Internetverbindung verfügen, könnten sich per Telefon zuschalten, so der Plan. Bramsiepe geht davon aus, dass spätestens in einem Vierteljahr auch die drei Timmersloher Beiratsmitglieder schnelles Internet nutzen. Seit dem ersten Lockdown sind dann 13 Monate vergangen. Doch auch für die übrigen Politiker seien die intern erprobten Videokonferenzen „ausbaubedürftig“, kritisiert Burghardt, insbesondere was die Datenübertragung, also den Empfang von Ton und Bild angehe. Oberstes Ziel sei für ihn deshalb die Durchführung öffentlicher Präsenzveranstaltungen.
Bloß nichts übers Knie zu brechen, dafür plädiert Jörn Broeksmid (CDU). Die Gefahr, die Bürger mit unausgereiften technischen Lösungen zu vergraulen, ist seiner Ansicht nach größer, als dass man die Menschen für die politische Arbeit gewinne. „Es ist wichtig, dass wir die Leute wieder mehr beteiligen“, sagt er, „die Leute haben ein großes Interesse daran, das politische Geschehen zu verfolgen“. Das habe der enorme Zuspruch der ersten live auf Facebook übertragenen Borgfelder Beiratssitzung Ende Oktober gezeigt. Zu Spitzenzeiten hatten 40 Zuschauer die Beratungen verfolgt. Broeksmid möchte jedoch planvoll vorgehen. Mehr Tempo wünscht sich der Sprecher der Grünen, Jürgen Klaes. Er habe schon im Dezember angeregt, Debatten als Radiosendung live zu übertragen. Das könnte ein Angebot für all jene sein, die mit dem Internet nichts anfangen könnten oder wollten. „Per Telefon könnten Redebeiträge oder Anträge eingespielt werden.“ Klaes ist zuversichtlich, dass auch der Borgfelder Beirat demnächst Sitzungen über Gotomeeting übertragen wird. SPD-Fraktionssprecher Alexander Keil betont, die Januar-Sitzung falle mangels Themen aus, denn: „Ja, die technischen Möglichkeiten für eine Videokonferenz haben wir.“