
Landkreis Osterholz. „Ein frohes neues Jahr; das neue Jahr wird wunderbar. Denn eins ist ja wohl klar: Dass das letzte scheiße war.“ Gleich zigtausendfach wurde diese Zeile, untermalt von kernigen Speedmetal-Klängen, zum Jahreswechsel in den sozialen Medien geteilt. Der Song „Corona 2020“ wurde eine knappe Woche nach seiner Veröffentlichung allein bei Youtube mehr als 83.000 Mal aufgerufen, auf Facebook und anderen Kanälen sogar noch häufiger.
Insofern scheint der vertonte Neujahrswunsch für seine Urheber, die Schwaneweder Daalschlag, bereits in der ersten Woche des Jahres 2021 tatsächlich in Erfüllung zu gehen. Nachdem sich das Quartett, das sich selbst als Mopedmetaller beschreibt, in den zehn Jahren seit seiner Gründung im Jahr 2011 vor allem innerhalb der Biker-Szene eine zwar solide und loyale, letztlich aber überschaubare Fanbasis erspielt hat, genießt es jetzt urplötzlich bundesweites Interesse, von dem es sich fast ein wenig überrollt fühlt. „Seit Silvester verpacke ich jeden Tag nach der Arbeit stundenlang CD-Bestellungen, ich habe schon fast keinen Bock mehr darauf“, scherzt Bandgründer, Sänger, Gitarrist und Songschreiber Claus Wiechert. Die leichte Ironie ist seit jeher auch ein charakteristisches Merkmal seiner Songtexte.
„Auf einmal erhalten wir Bestellungen aus allen möglichen Ecken des Landes, ein Päckchen ging sogar nach Luxemburg. Ebenso verhält es sich mit Interviewanfragen“, erzählt Wiechert und wirkt über diesen Umstand selbst überrascht. „Wir hätten nie damit gerechnet, dass der Song dermaßen durch die Decke geht. Wir hielten es einfach für eine nette Idee, unseren Fans und Freunden einen kleinen Neujahrsgruß zu schenken und rechneten mit nicht mehr als den bis dato üblichen 1500 bis 2000 Klicks bei Youtube." Im November nahm die Band die Nummer im Proberaum auf und drehte dort auch das Video zu dem Song.
Den Überraschungserfolg erklärt sich der Daalschlag-Kopf wie folgt: „Ich habe mitbekommen, dass ein reichweitenstarkes Biker-Magazin den Song auf Facebook geteilt hat. Danach muss sich das Ding irgendwie verselbstständigt haben.“ Dabei sind Daalschlag sich selbst und ihrem seit Bandgründung verfolgten Konzept einfach nur treu geblieben und bieten einmal mehr souverän inszenierten, kernigen Vollgasrock mit punktgenau pointierten Schüttelreimtexten ohne jeden Interpretationsspielraum.
„Es war geplant, zu feiern und zu saufen, Konzerte zu spielen und CDs zu verkaufen“, beschreibt Wiechert im Songtext den eigenen Musikerfrust – und scheint damit Zigtausenden aus der Seele zu sprechen. Immerhin, ein Viertel des Plans funktioniert nun. „Das Feedback ist echt unglaublich“, zeigt sich Wiechert immer noch verwundert über den plötzlichen Erfolg.
Allerdings finden sich im Internet auch vereinzelt Menschen, denen die bandtypische Mischung aus hartem Rock, deutschsprachigen Texten und ein wenig martialisch anmutender Biker-Optik als scheinbarer Beleg ausreicht, um die Bandmitglieder ideologisch in einer Grauzone mit Rechtsaußentendenz zu verorten. Ein Umstand, den sich Wiechert, der zuvor gemeinsam mit Leadgitarrist Marco Liedtke im Dienste der Nordbremer Schermetallegende Unrest die elektrischen Äxte schwang, nicht so recht erklären kann. Seine jetzigen Bandkollegen Daniel Rohr und Schlagzeuger Tim Erasmi waren zuvor mit ihren Formationen Nothern Tales und Front Ears ebenfalls in schwermetallischen Gefilden unterwegs.
„Ich habe erst bei einem unserer bislang letzten Auftritte im Januar 2020 erfahren, dass es offenbar auch eine Band namens Kahlschlag gibt, die wohl tatsächlich Nazirock macht. Mit der haben wir nicht das Geringste zu tun, aber vielleicht verwechseln manche Leute das ja, weil die Namen ähnlich klingen“, spekuliert Wiechert. „Und wir haben vor drei Jahren einen sozialkritischen Song mit dem Titel 'Deutsches Land' veröffentlicht. Wegen des Titels meinten ebenfalls manche Leute, uns in diese Ecke stellen zu können. Vermutlich kennen sie den ganzen Songtext überhaupt nicht.“
Der größte Teil der virtuellen Zuschauer scheint die kernige Attitüde von Daalschlag indes so zu verstehen, wie sie von der Band gemeint ist. Viele haben sich offenbar auch mit dem weiteren Schaffen der Band auseinandergesetzt. Denn auch die früheren Musikvideos der Band weisen mittlerweile fünfstellige Klickzahlen auf und die vier bislang in einer Auflage von 1000 bis 2000 Exemplaren erschienenen Alben der Band finden plötzlich reißenden Absatz. Das Debütalbum „Mopedmetal“ ist mittlerweile sogar komplett ausverkauft – ohne Aussicht auf mögliche Nachpressung, da die Band diese Produktion mittlerweile unzureichend findet.
„Dabei hatten wir schon Angst, auf den Dingern sitzen zu bleiben, gerade jetzt, wo keine Konzerte möglich sind“, gesteht Wiechert. Stellten eigene Konzerte bislang den größten Absatzmarkt für Daalschlag-CDs dar, erwischt die Dynamik des Online-Handels die Band akut fast gänzlich unvorbereitet: „Wir haben jetzt das Problem, dass wir nicht schnell genug CDs nachpressen lassen können, um die aktuelle Nachfrage befriedigen zu können. Ich muss sogar unserem Label noch CDs schicken, da der Verkauf über Amazon derzeit anscheinend auch boomt.“
Dabei ist der Song „Corona 2020“ auf keinem der bisherigen Alben enthalten. „Wir haben unser aktuelles Album 'Kickstart' im Frühjahr 2020 veröffentlicht. Der Neujahrssong ist erst im November entstanden“, erklärt Wiechert. Nachdem Daalschlag ihren Corona-Song ursprünglich über ihre Homepage als Gratisdownload veröffentlicht haben, erfolgt dieser Tage eine Neuveröffentlichung über Streamingportale wie Spotify. „Die Nachfrage ist jetzt da“, konstatiert Wiechert und fügt – wenig überraschend – hinzu: „Für uns ist das okay.“