
Worpswede. Den Tisch reich decken, dem Gast seinen Platz zuweisen, und der Rest ergibt sich schon von allein – das mag bei privaten Besuchen funktionieren, für Touristen aber reicht das nicht aus. Sie mögen an die Hand genommen und herumgeführt werden, ihrer Neugier auch für die verborgeneren Schönheiten eines Ortes muss hier und da ein wenig nachgeholfen werden. Diese Erkenntnis war auch vor zehn Jahren nicht mehr neu, als sich der Gästeführerverein Worpswede-Teufelsmoor gründete. Auch zuvor gab es schon Führungen im Künstlerort, was aber fehlte, war eine Struktur und Koordination der Angebote, die letztendlich auch eine Qualitätskontrolle mit einschließt.
Kathrin Widhalm war eine von sechs Gästeführern, die den Verein am 11. März 2011 aus der Taufe hoben, seitdem ist sie die Vorsitzende. Sie selber bietet seit 1997 Rundgänge mit informativem Gehalt an. Was anderswo die Stadtrundfahrt ist – an der gerne auch mal Einheimische teilnehmen –, kann man dank der kurzen Wege in Worpswede als Spaziergang oder auch mit dem Fahrrad erledigen; die Verbindung von Natur und Kultur liegt einem sozusagen zu Füßen.
Die Professionalisierung des Gewerbes hatte handfeste Gründe. Seit 1994 gibt es einen Bundesverband der Gästeführer. Um dort Mitglied werden zu können, mussten die Worpsweder sich organisieren. Die Vorteile liegen dabei klar auf der Hand: Es gibt ein Netzwerk, gemeinsames Marketing bei Messen, ein Mitgliedsmagazin und eine Webseite, Fortbildungen, Erste-Hilfe-Kurse, Jahrestagungen und – in normalen Jahren – gemeinsame Aktionen am Weltgästeführertag. Aber auch eine Rechtsberatung und eine Berufshaftpflichtversicherung sind wichtige Bestandteile für die nach wie vor soloselbstständigen Führerinnen und Führer. Der Verein vor Ort bündelt ihre Interessen und vertritt sie nach außen, vor allem auch bei der Auftragsannahme, die Bundesorganisation steht für gerade mal 30 Euro Jahresbeitrag mit Rat und Tat dahinter.
In dem vergangenen Jahrzehnt sind der Verein und auch sein Angebot gewachsen, die Mitgliederzahl und damit die Zahl der Aktiven pendelte sich um die 20 ein. Neueinsteiger werden eng begleitet und auch geprüft – profundes Wissen, gute Vermittlung und Offenheit für die Kunden sind Voraussetzungen für den Job. Die erfahrenen Paten, die jeden Anfänger zunächst begleiten, achten auf viele Kleinigkeiten, beispielsweise ob jemand der Gruppe den Rücken zuwendet, während er mit ihr spricht.
Rund 1000 Führungen bieten die Worpsweder jährlich an, einige davon als offene Angebote mit kurzfristiger Anmeldung, viele aber auch für geschlossene Gruppen wie Reisegesellschaften oder Bildungsurlaubende mit ansprechend hohen Ansprüchen, aber auch für Betriebsausflüge. Die Gruppen können gezielt nach einem bestimmten Führer oder einer Führerin anfragen, denn nicht jeder deckt alle thematischen Angebote ab. Der eine spricht etwa Englisch, die andere Französisch, mancher führt auch gern auf Platt. Und einige verkleiden sich zu besonderen Anlässen, etwa den abendlichen „Gruselkabinettstückchen“. Wer neue Ideen hat, bringt sie ein. Entsteht daraus ein Konzept für eine Führung, können auch die Kollegen diese mit übernahmen, der Ideengeber aber behält das letzte Wort, er habe quasi ein Recht am geistigen Eigentum, so Widhalm.
Zu aktuellen Ausstellungen entwickeln die Gästeführer passende Angebote, denn rund 70 Prozent aller Führungen schließen einen Museumsbesuch mit ein. So müssen auch sie sich ständig um neue Inhalte kümmern und sich weiterbilden. In den Worpsweder Häusern gibt es kein anderes, stetiges Vermittlungsangebot. Dennoch agiert der Verein unabhängig, Auftraggeber ist stets der Gast, die Tourismusgesellschaft vermittelt und bekommt dafür eine Provision. Der Inhalt der Führung ist davon aber nicht beeinflusst. „Wir verstehen uns als positiver Botschafter des Orts“, sagt Kathrin Widhalm, man wolle aber nicht unkritisch sein. Manches Mal komme es unterwegs zu spannenden Dialogen, berichtet sie. Beispielsweise, wenn eine Baufirma einen Neujahrsausflug macht, und die Gästeführerin mit einem Dutzend Pflasterern fachkundig die Bergstraße abgeht. Die lustigste Truppe, die ihr bislang untergekommen sei, bestand aus Bestattern, die offenbar Ausgleich zu ihrer Tätigkeit in einem von Traurigkeit geprägten Umfeld suchten. Besonders hätten sie sich aber gefreut, als ihre Runde sie über den Friedhof an der Zionskirche führte.
Einbruch durch Corona
20 aktive Mitglieder hat der Gästeführerverein. Sie bieten rund 40 verschiedene thematische Führungen in Worpswede und Umgebung an, teilweise auch per Fahrrad oder für Kinder und Jugendliche. Seit 2011 werden so jährlich rund 1000 Gruppen begleitet. Im Vorjahr brach die Nachfrage coronabedingt um 85 bis 90 Prozent ein, schätzt die Vereinsvorsitzende Kathrin Widhalm. An den offenen Führungen nehmen zudem in normalen Jahren bis zu 2300 Teilnehmer teil; von Ende Mai bis Oktober 2020 gab es zumindest vereinzelte Angebote mit halbierter Gästezahl. Nachdem die Vereinsmitglieder durch das Raster vieler Hilfspakete gerutscht waren, gab es erst mit den November- und Dezemberhilfen Unterstützung. Aufgegeben habe deshalb aber bislang noch keiner aus ihren Reihen, so Widhalm.