
Herr Grzybeck, was fällt Ihnen zum Tod ein?
Wolfgang Grzybeck: Sterben müssen wir alle einmal. Jeder Mensch stirbt auf seine Weise seinen eigenen Tod. Ich als Ehrenamtlicher kann ihn dort nur begleiten. Es gibt Menschen, die gut in der Familie vernetzt sind. Die brauchen uns in der Regel nicht. Aber es gibt eben auch Menschen, die sind mit ihren Sorgen und Nöten über den bevorstehenden Tod alleine. Sie benötigen Unterstützung.
Warum engagieren Sie sich als Sterbebegleiter?Meine Frau ist Krankenschwester. Sie hat einen Blick dafür, wenn es Menschen sehr schlecht geht und sie unmittelbar vor dem Sterben stehen. Irgendwann war die Ankündigung des Kurses zur Ausbildung als ehrenamtlicher Sterbebegleiter in der Zeitung, und wir überlegten, ob wir an diesem Kurs teilnehmen. Meine Reaktion war: Das möchte ich nicht machen. Ich habe darauf keinen Bock. Uns geht es so gut. Warum soll ich mir das Leid der anderen Leute nach Hause holen und daran knapsen? Danach hat es ein Jahr gebrodelt in mir, bis ich mich durch ein Schlüsselerlebnis dafür entschieden habe, das zu machen.
Was war das für ein Schlüsselerlebnis?Auf dem Weg in den Urlaub fuhren wir zum Klinikum Links der Weser in Bremen. Dort gibt es eine Palliativstation. Ein Patient meiner Frau war dorthin überwiesen worden. Meine Frau wusste somit, dass er auf dem letzten Weg ist und wollte sich gerne von ihm verabschieden. Ich traf auf dem Flur eine relativ junge Frau, die keinen Begleiter hatte. Sie wurde gerade von einer Schwester über den Flur geführt. Die Frau trug ihr weißes, krankenhaustypisches Nachthemd, war ein Klappergerüst, und aus ihr sprach das Elend. Ich sagte mir: Als Berufssoldat bin ich im vorgezogenen Ruhestand, arbeite nebenbei noch als Fahrlehrer und habe Zeit. Ich kann von meiner Zeit ein bisschen was abgeben, um diesen Menschen ein bisschen was Gutes zu tun – und dann nicht nur den Sterbenden selber, sondern auch den Angehörigen.
Erklären Sie bitte, wie es funktioniert, wenn Sie als Sterbebegleiter eingesetzt werden. Wie gehen Sie mit den betroffenen Menschen um?Diese Menschen sind in Not und wenden sich an den ambulanten Hospizdienst, an die Koordinatorinnen Sylvia Best beziehungsweise Bettina Szlagowski. Sie schauen dann, wer könnte passen, um dort hinzugehen. Ich bin seit 2010 als Ehrenamtlicher tätig und habe seitdem etwa 20 Begleitungen gemacht. Es hat jedes Mal gepasst. Die Koordinatorinnen haben ein wirklich gutes Auge und Gefühl dafür, wen sie wohin schicken. In Osterholz-Scharmbeck haben wir ja nicht nur den Hospizdienst, sondern auch medizinischerseits zwei Palliativ-Versorgungspunkte, Opal, das Osterholzer Palliativ-Netz, und PVO, die Palliativ-Versorgung-Osterholz. Wenn ein unheilbar erkrankter Mensch aus dem Krankenhaus entlassen wird, wird vonseiten des Krankenhauses schon auf diese Organisationen hingewiesen beziehungsweise schon ein erster Kontakt hergestellt.
Wie geht es dann weiter?Der Erstkontakt findet stets telefonisch statt. Die Menschen kennen mich ja nicht, und ich kenne sie nicht. Erst nach dem Telefonat besuche ich sie entweder im Krankenhaus, der Pflegeeinrichtung oder zu Hause. Ich muss sagen, ich habe bis jetzt nur positive Erfahrungen gemacht, wie ich angenommen und aufgenommen wurde. Man muss ja bedenken, dass diese Menschen in einer absoluten Ausnahmesituation sind. Ich werde trotzdem sofort hereingelassen. Wir sprechen zum Beispiel darüber, was die Menschen von mir erwarten und ob ich das erfüllen kann. Bis jetzt hat es immer gepasst. Wenn es nicht der Fall ist, muss ein anderer Ehrenamtlicher ran.
Wie gehen Sie in dem Gespräch vor?Ich lasse es laufen. Es gibt kein Schema F. Jede Begleitung ist anders. Ich muss es situativ erfassen und entscheiden, was ich mache. Ich hatte eine Patientin, die noch eine Woche lebte. Für sie konnte ich nicht mehr viel tun. Ich erfuhr in den Gesprächen, dass sie großer Werder-Fan ist. Also las ich ihr aus dem Werder-Fanbuch vor. Wenn ich ging, stellte ich die Werder-CD an, sodass sie die Songs noch leise hören konnte. Mit anderen Patienten kann man rausgehen und aktiv sein. Mit einem fuhr ich zum Angelsee, weil sein Schwiegersohn gerne angelte. Ich schob ihn im Rollstuhl an den Teich. Es ist wichtig, dass diese Menschen wieder rauskommen. Sie kapseln sich ab und haben keine sozialen Kontakte mehr.
Wie ist es mit den Angehörigen? Welche Rolle spielen sie bei Ihrer Arbeit?Wenn Angehörige da sind, kümmere ich mich auch um sie. Wenn Angehörige nämlich einen Sterbenden zu Hause haben, opfern sie sich auf, bis sie selbst fast komplett auf dem Boden liegen. Sie trauen sich nicht rauszugehen, nicht einzukaufen und ins Kino zu gehen schon gar nicht. Auch Freunde treffen sie nicht. Das heißt, auch bei Angehörigen fallen die sozialen Kontakte weg.
Über welchen Zeitraum erstrecken sich Ihre Sterbebegleitungen?Das geht von einem Tag, eine Woche bis zu einem dreiviertel Jahr und länger. Leider kommen die Angehörigen meistens sehr spät zu uns.
Zwischen Ihnen, dem sterbenden Menschen und seinen Angehörigen baut sich in dieser Zeit ja eine Beziehung auf. Gibt es trotzdem eine Hemmschwelle?Die größte Hemmschwelle ist, sich überhaupt an uns zu wenden. Wenn wir erst einmal da sind, können wir alles im Gespräch klären. Dann ist die Hemmschwelle nicht mehr da. Meistens sind die Überforderungen der Menschen aber schon weit vorangeschritten, wenn sie zu uns kommen.
Kommen nur Menschen zu Ihnen, die sich im engeren Sinne als gläubig bezeichnen? Oder auch Menschen, die mit Diakonie und Kirche nicht viel oder gar nichts zu tun hatten?Gute Frage! Wir haben mit Menschen zu tun, die mit Kirche überhaupt nichts am Hut haben, und mit Menschen, die streng gläubig sind. Das ist bei meinem Erstkontakt ein Punkt, den ich mit abchecke: Inwieweit soll die Kirche mit rein? Ich bin zwar in einer kirchlichen Organisation tätig, habe aber mit Kirche nichts am Hut. Ich bin vor vielen Jahren ausgetreten. Das bespreche ich mit den Leuten. Ich kann ihnen zwar etwas aus der Bibel vorlesen, aber fürs Beten bin ich der Falsche. Dafür gibt es andere Ehrenamtliche, und wir haben mit Pastor Enno Kückens jemanden, der für solche Dinge bei uns angebunden ist.
Habe Sie schon einmal festgestellt, dass sich durch Ihre Arbeit die Sicht der Angehörigen auf den Tod verändert?Ja. Es macht es ein bisschen leichter und greifbarer, weil man darüber spricht. Man kann auch in Zusammenarbeit mit den Angehörigen vorbereitend tätig werden – damit sie am Tag X nicht dastehen und überlegen müssen, was sie alles unternehmen müssen.
Und wie sorgen Sie vor?Ich habe meine Patientenverfügung, die Vorsorgevollmacht und mit meiner Frau zusammen mein Friedwald-Bäumchen.
Das Gespräch führte Ulf Buschmann.
Wolfgang Grzybeck
ist 63 Jahre alt. Er war bis zum Jahr 2009 Berufssoldat und arbeitet heute nebenbei als Fahrlehrer. Seine Ausbildung zum Sterbebegleiter absolvierte er 2010. Der gebürtige Flensburger ist zum zweiten Mal verheiratet, hat zwei eigene Kinder und zwei Stiefkinder, die schon erwachsen und aus dem Haus sind. Er lebt seit dem Jahr 2000 in Sandhausen.
Woche der Diakonie
Seit 2003 gibt es die Woche der Diakonie, die wir in dieser Woche mit mehreren Beiträgen begleiten. Sie endet stets mit dem zweiten Sonntag im September, der in Niedersachsen als Diakoniesonntag gilt. Näheres im Internet unterwww.woche-der-diakonie.de und unter www.diakonisches-werk-ohz.de.
Authentisches Yoga hat mit Sport absolut nichts zu tun. Dieser Artikel ist sehr bedenklich auf ...