
Landkreis Osterholz. Beim Amublanten Hospizdienst haben die Schutzbestimmungen infolge der Corona-Pandemie zunächst „eine regelrechte Schockstarre“ ausgelöst. Sylvia Best, Helfer-Koordinatorin bei der Diakonie, redet gar nicht lange drumherum: Die Kontaktverbote widersprächen diametral der „Grundüberzeugung der Hospizbewegung, dass niemand alleine sterben muss, sondern begleitet von Mitmenschen“. Das Angebot fiel aus, die Nachfrage brach ein, alles wegen Corona. Inzwischen aber hätten Haupt- und Ehrenamtliche gezeigt, dass Not erfinderisch mache.
Zwar sei den Sterbebegleitern der Zutritt in die Einrichtungen weiter untersagt, und die persönliche Anwesenheit sei nun mal durch nichts zu ersetzen. Aber der Hospizdienst habe andere Mittel und Wege der Begleitung und Entlastung ersonnen, die sich inzwischen auch bewährt hätten, so die Hospizdienstleiterin. Die Helfer schreiben Hoffnungsbriefe und Kartengrüße an Schwerstkranke, machen Sorgenspaziergänge mit trauernden Angehörigen und verschicken an Pflegekräfte allwöchentlich eine Erzählung oder Anekdote.
Die Geschichten, für die Mitarbeiterin Stefanie Garbade verantwortlich zeichnet, sollen einen Lichtblick in die Einrichtungen tragen; die Beiträge eignen sich auch dazu, den Bewohnern vorgelesen zu werden. Die Rückmeldungen seien sehr positiv. Das gelte auch für die 200 Broschüren mit Geschichten aus der Region, die man gemeinsam mit dem Rotary-Club in den Altenheimen verteilen ließ. „Wir mussten zunächst lernen, auf uns aufmerksam zu machen und andere Rituale zu entwickeln“, erläutert Sylvia Best die veränderten Rahmenbedingungen der vergangenen Monate. Die Corona-Veränderungen hätten durchaus etwas mit der Trauerarbeit gemein: „Man darf der Krankheit nicht den ganzen Raum geben.“ Zuerst sei man erdrückt, keine Frage. Aber dann gelte es doch, das Positive aus der Situation herauszuholen: räumlich distanziert und doch emotional nah zu sein.
Auf Anregung der Einrichtungsleitung im Haus am Hang haben Best und ihre Kollegin Bettina Szlagowski zunächst einen Aushang erstellt, der später an alle Heime und Kliniken in der Region verteilt wurde. „Covid 19 belastet auch die Seele“, heißt es in der Überschrift. Angehörige könnten sich mit Fragen zum Thema Sterben, Tod und Trauer telefonisch unter 04791/ 135 72 an den Hospizdienst wenden. Die Ansprechpartner, die rund um die Uhr in Rufbereitschaft sind, hätten ein offenes Ohr in schwierigen Zeiten. Eine entsprechende Information wurde zusätzlich an die Hausarztpraxen im Kreisgebiet verschickt.
Der plötzliche, starke Rückgang der Anfragen im März habe den vor 15 Jahren gegründeten Hospizdienst sehr beunruhigt. Schwerstkranke und sterbende Menschen gebe es ja weiterhin: Betroffene und Angehörige, die vereinsamen und womöglich meinten, mit allem allein zurechtkommen zu müssen. „Wir sehen schon, dass Bewohner und Beschäftigte in den Einrichtungen sehr stark belastet sind“, sagt Sylvia Best und erzählt das Beispiel der Helferin Ursula Tietjen. Die hält nun auch ohne persönliche Besuche weiterhin den Kontakt zu einer Seniorin im Worpsweder Pflegeheim Rosengarten, indem sie ihr regelmäßig Brief- und Kartengrüße schickt. Ein Zeichen, immerhin. Eine nette Idee und so viel besser als nichts.
Die Aktion Hoffnungsbrief, die Best wegen des Copyrights nicht so nennt, haben die Osterholzer bei der Hamburger Diakonie abgekupfert. Und dass auch ein Telefonat nicht selten Trost und Kraft spendet, könne sie aus Erfahrung auch bestätigen. „Oft geht es darum, den Druck und die Dynamik der Verzweiflung rauszunehmen.“ Der Hospizdienst fungiere als qualifizierter Zuhörer und Vermittler, der Kontakte zu den sozialen Dienstleistern in der Region nutzen kann. Bisweilen bekommen Angehörige schon dann einen klareren Kopf, wenn sie ihr Erleben nicht für sich behalten müssen, sondern sich aussprechen können.
Da war die ratlose Tochter, die über Pfingsten beschlossen hatte, ihre todkranke Mutter aus der Klinik-Isolation heraus zu bekommen, um sie auf dem letzten Lebensabschnitt zu Hause zu versorgen. Gleich nach den Feiertagen erfolgte der Umzug und der Abschied hatte einen ganz anderen Rahmen. „Diese kurze Zeit, die den beiden noch blieb, war ganz wichtig.“ In einem anderen Fall konnte Best einem Palliativpatienten den Platz in einer stationären Hospiz-Einrichtung vermitteln; derlei sei auch in Corona-Zeiten möglich.
Inzwischen erlaubt das Infektionsgeschehen erste Lockerungen. Einzelberatung findet wieder in den Räumen an der Findorffstraße 21 in Osterholz statt. Bei Hausbesuchen ließen die geschulten Helfer Umsicht und Vorsicht walten. „So viel Schutz wie nötig, so viel Begleitung wie möglich“, sei generell die Devise. Schutzausrüstung und Desinfektionsmittel werden den Begleitern gestellt. Einige aus dem rund 25-köpfigen Team pausieren zurzeit freiwillig, denn sie zählen zur sogenannten vulnerablen Altersgruppe; andere halten per Telefon oder Videoübertragung Kontakt. Von den Mitarbeitenden im Einsatz lässt sich die Diakonie eine Selbsterklärung unterzeichnen, die besagt, dass sie symptomfrei und freiwillig tätig sind und die Hygienevorschriften beachten.
Die geltenden Regeln haben die Trauer- und Sterbebegleiter auch bei ihren eigenen Zusammenkünften zu beherzigen. So ist für den 24. Juni der erste Gruppenabend seit vier Monaten geplant; der Sitzungssaal im Haus der Kirche sei groß genug, bei gutem Wetter geht es ins Freie. Die Koordinatorin weiß: „Der Wunsch ist groß, die Menschen wieder persönlich zu treffen.“ Das gelte auch für das Trauercafé im Alten Museum, wo es aber noch Platzprobleme zu lösen gilt. Der nächste Termin wäre der 5. Juli, und auch dort sei vielleicht eine Verlegung nach draußen denkbar.
Nachgeholt werden soll außerdem noch das Schlussmodul der ehrenamtlichen Sterbebegleiter-Ausbildung. Den zwölf Teilnehmern hatte Best im März absagen müssen. Ein neuer Kursus soll dann wieder im Januar 2021 starten. Zuvor ist für den November eine neue VHS-Kooperation geplant. Unter dem Motto „Letzte Hilfe“ vermittelt die Koordinatorin Basiswissen, Orientierung und einfache Handgriffe nach dem gleichnamigen Konzept von Georg Bollig (www.letztehilfe.info). Best ist gelernte Palliative-Care-Pflegefachkraft und hat sich entsprechend zertifizieren lassen.