
Landkreis Osterholz. Nichts oder wenig zu tun – viele Branchen haben damit im Lockdown zu kämpfen. Doch Stillstand muss nicht sein. Das zumindest empfehlen diverse sogenannte Business-Coaches. Auf Social Media-Plattformen übertreffen sie sich teilweise mit ihren Empfehlungen für Fortbildungen und Qualifizierungen. Die Zeit dafür sei für Arbeitnehmer sowie für Führungskräfte gleichermaßen ideal, lautet das Credo. Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn nicht nur die Auftrags- und Wirtschaftslage ist für zahlreiche Branche eine Herausforderung. Wegen der geltenden Kontaktbeschränkungen müssen Kurse und Veranstaltungen ausfallen oder werden verschoben. Vieles von dem, was eigentlich als Präsenzveranstaltung geplant war, gibt es jetzt als Onlineangebot.
Die Fortbildungen, die gewöhnlich in Werkstätten mit unvermeidlicher Nähe zwischen den Teilnehmenden über die Bühne gehen, müssten ausfallen, erklärt Jan-Peter Halves, einer der beiden Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Elbe-Weser. Zu ihrem Einzugsbereich gehört auch der Landkreis Osterholz. In vielen Bereichen sei es aber möglich, Onlineschulungen anzubieten. Halves nennt „Homeoffice – sicher und gesund von Zuhause“, „Smartphones im Geschäftsalltag nutzen“, „Digitales Aufmaß für die Baugewerke“ und „IT-Sicherheit im Handwerk“ als Beispiele.
Dass die Fortbildungen für die Handwerksbetriebe eingeschränkt sind, bestätigt Joachim Runge. Er ist geschäftsführender Gesellschafter von Rohlfs & Runge in Grasberg, Obermeister der Maler- und Lackiererinnung Bremervörde sowie stellvertretender Osterholzer Kreishandwerksmeister. Notwendige Unterweisungen zur Unfallverhütung fänden seitens der Berufsgenossenschaft in Briefform statt, erklärt er.
Online-Fortbildungen sind für das Elektrotechnik-Handwerk völlig normal, sagt Kreishandwerksmeister Jürgen Blome. Informationen über Neuerungen gebe es meistens im Rahmen von Herstellerseminaren oder über den Landesinnungsverband. „Das findet alles online statt“, erläutert Blome, der seinen Betrieb in Osterholz-Scharmbeck hat. Wie für die Maler gelte im Übrigen auch, dass die Angehörigen des Elektrotechnik-Handwerk zu den sogenannten systemrelevanten Berufen gehören.
Nicht nur im Handwerk hat die Pandemie Spuren hinterlassen, auch in Handel und Industrie. Dies bestätigt Karin Fischer, Bereichsleiterin Bildungsservice der für den Landkreis Osterholz zuständigen Industrie- und Handelskammer (IHK) Stade. Im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 hätten alle Bildungsträger, zu denen auch die IHK gehört, ein Minus von 20 Prozent zu verzeichnen gehabt. Damals hätten vor allem die Menschen auf Qualifizierungen verzichtet, bei denen sich die Angebote auf ein oder vielleicht zwei, drei Veranstaltungen beschränkten. Anders sieht es laut Fischer im Lehrgangsbereich aus. „Da sind die Leute alle an Bord geblieben“, freut sie sich. Wer einen Schritt auf der Karriereleiter machen möchte, sei eher bereit, sich sofort vom Präsenz- auf den Onlineunterricht umzustellen.
Das habe nicht nur Nachteile, ist Fischer überzeugt. So müssten beispielsweise die Teilnehmenden an den Bilanzbuchhalter-Lehrgängen zwei Mal wöchentlich nach der Arbeit aus dem ganzen Gebiet der IHK nach Stade zum Präsenzunterricht kommen. Diese Fahrerei entfalle jetzt. Die Corona-Beschränkungen habe auch die Industrie gezwungen, sich anzupassen. Beispiel Faun Umwelttechnik: Das Unternehmen in Heilshorn, mit rund 550 Mitarbeitenden größter Industriearbeitgeber der Stadt, hat sich laut Sprecherin Claudia Schaue einiges überlegen müssen, um den Horizont der eigenen Mannschaft regelmäßig weiten zu können. „Einige Seminare, die für 2021 geplant sind, werden als Webinar stattfinden. Unter anderem wird das neue Thema ,Digital Leadership – Führung von virtuellen Teams’ interessant“, sagt Schaue. Präsenzseminare in jeder Form seien bereits im vergangenen Jahr gestrichen worden.
Die digitale Vermittlung aber wird laut Schaue mindestens in diesem Jahr breiten Raum einnehmen. Hintergrund unter anderem: Faun gehört zur Kirchhof-Gruppe und hat außer in Osterholz-Scharmbeck in Deutschland und Europa weitere Standorte. „Um das Team zu erreichen haben wir auf Anbieter von Videokonferenzen zurückgegriffen, und die Kollegen haben sich über das Mobiltelefon eingewählt“, erläutert sie. Auch die Mitarbeiter aus der Produktion nutzten nun diese Meetingräume. Bereits lange vor der Corona-Pandemie richtete Faun ein digitales Trainings-Center ein. Es wird für Schulungen von Kunden und Mitarbeiter weltweit genutzt. Für den Service gebe es darüber hinaus eine Datenbrille. Schaue betont, dass das Unternehmen in diesem Bereich weiterhin unterwegs sein werde. Damit bestätigt Schaue, was IHK-Bereichsleiterin Fischer mit Blick auf die Zeit nach der Pandemie meint: „Was bleibt, ist auf jeden Fall das Online-Lernen.“
Im Handwerk sieht es anders aus. „Sobald die Pandemie vorbei ist, müssen wir unendlich schulen“, weiß Kammergeschäftsführer Halves jetzt schon: „Vieles geht einfach nicht ohne Anfassen.“ Der größte Druck herrsche im Kraftfahrzeuggewerbe. Dort seien Prüfzeiträume vorgegeben. Wer bis zu einem bestimmten Zeitpunkt keine entsprechende Zertifizierung nachweisen kann, darf etwa keine Hauptuntersuchungen mehr anbieten.
Ausbildung nicht gefährdet
Die Auszubildenden im Handwerk müssen nicht befürchten, dass wichtige Inhalte oder gar ihre Abschlussprüfungen ins Wasser fallen. Das versichert Kreishandwerkerschaft-Geschäftsführer Jan-Peter Halves. Dafür, dass es weitergeht, sorgen die jeweiligen Prüfungsausschüsse. „Die Ausbildung findet entsprechend digital oder in Kleingruppen statt. In sehr vielen Ausbildungsgängen sind überbetriebliche Lehrlingsunterweisungen (ÜLU) fester Bestandteil“, sagt Halves. Die finden in den Technologiezentren der Handwerkskammer statt, zum Beispiel in Stade und Lüneburg. Durch die ÜLU sei sichergestellt, dass alle Auszubildende eine breite und moderne Ausbildung erhielten.