
Borgfeld/Landkreis Osterholz/Landkreis Rotenburg. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir in den Osterferien am Strand spazieren gehen, Essen in einem Restaurant bestellen, die Ferien auf dem Bauernhof verbringen und etwas ganz anders sehen, als die immer gleichen vier Wände zuhause? Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat die Diskussion um Osterreisen längst eröffnet und seine Meinung dazu gerade noch einmal bekräftigt. „Osterurlaub in Deutschland kann es dieses Jahr leider nicht geben“, sagte der Ministerpräsident der Bild am Sonntag. „Wir würden alles zerstören, was wir seit Mitte Dezember erreicht haben.“ Wie sehen das die Reiseverkehrskaufleute, Tourismusverbände und Kammern für die Region zwischen Borgfeld, Lilienthal, Worpswede, Grasberg und Tarmstedt?
„Ich beurteile die Aussage von Herrn Kretschmer als völlig verfrüht und kontraproduktiv“, kritisiert Martina Warnken, Vorsitzende von Land-Touristik Niedersachsen. „Seitdem steht das Telefon nicht mehr still und das E-Mail Postfach ist gut gefüllt. Die Gäste sind verunsichert – zu Recht!“, sagt die Chefin eines Familienbetriebes in Huxfeld. Ihr Belegungsplan habe nur noch wenige Lücken. „Viele haben im vergangenen Jahr ihren Osterurlaub gleich auf 2021 umgebucht. Hoffen wir, dass wir ihn nicht wieder stornieren müssen.“
Die Not der über 250 Urlaubsbauernhöfe, für die sich Verbandschefin Warnken einsetzt, sei groß. In der Hauptsaison von April bis Oktober müsse das Geld für den Winter verdient werden. „Das war sehr schwierig im vergangenen Jahr, es gab Umsatzeinbußen von bis zu 35 Prozent. Bei den staatlichen Hilfsprogrammen wurden unsere Höfe mit zweitem Standbein Tourismus und Gastronomie nicht berücksichtigt“, berichtet die Unternehmerin. Die Mitglieder ihres Verbands profitierten nicht von dem groß angelegten Investitionsförderprogramm, den November- oder den Dezemberhilfen. „Auch nicht von den Überbrückungshilfen. Die Höfe tragen die Last der Schließung ganz allein“, sagt Warnken.
So gehe es vielen, bestätigt auch Philipp Rademann, Geschäftsstellenleiter der Industrie- und Handelskammer in Stade, unter anderem zuständig für die Landkreise Osterholz und Rotenburg. „Die Tourismusbranche im Elbe-Weser-Raum leidet massiv unter dem derzeitigen Lockdown infolge der Corona-Pandemie. Aus vielen Gesprächen mit Betrieben aus Gastronomie und Hotellerie wissen wir, dass jetzt vor allem verlässliche Rahmenbedingungen für die Branche von der Bundes- und Landespolitik gefordert werden. Ein ständiges Hin- und Her wegen schwankender Inzidenzwerte darf es nicht geben“, sagt Rademann. Das sei weder den Gästen vermittelbar noch für die Betriebe umsetzbar. „Um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, ist zudem auch ein abgestimmtes Vorgehen der norddeutschen Küstenländer erforderlich“, unterstreicht Rademann. Klarstellungen, ob die Betriebe zu Ostern öffnen könnten, erwarteten die Unternehmen der Tourismusbranche vom nächsten Spitzentreffen von Bundeskanzlerin Merkel mit den Ministerpräsidenten Anfang März, sagt der IHK-Chef für die Landkreise Osterholz und Rotenburg.
Klarheit seitens der Politik, wünscht sich auch die Borgfelder Reiseverkehrskauffrau und Unternehmerin Nadine Bünger. Kurz vor Beginn des zweiten Lockdown hatte sie ein Reisebüro im Borgfelder Ortskern mit drei Angestellten übernommen. „Für mich, das Reisebüro und auch meine Kunden wünsche ich mir einfach von der Politik, dass sie mit uns offen und ehrlich Klartext redet. Ein Stufenplan ist da sicherlich sinnvoll.“, macht Bünger deutlich. Ihre Kunden seien aktuell noch sehr zurückhaltend mit Buchungen.
„Viele wollen eher abwarten und sagen, dass sie in den Startlöchern stehen, wenn es so weit ist.“ Es gebe aber auch reisefreudige Kunden, die jetzt buchen würden. „Gefragt sind Unterkünfte für die Osterferien in Deutschland und Kreuzfahrten auf die Kanaren.“ Auch für den Sommer und Herbst gebe es Buchungen. Sie selbst sei allerdings hin- und hergerissen, sagt die junge Mutter. „Auf der einen Seite hofft man, dass zeitnah eine Art Normalität einkehrt, auf der anderen Seite muss es zur Sicherheit von uns allen weiterhin eine Art Einschränkung geben. Sicherlich sind wir alle hungrig nach Shoppen, Essengehen und Reisen“. Doch sie habe Befürchtungen, „dass wir mit einem Freifahrtsschein schnell wieder am Anfang stehen könnten“, räumt Bünger ein. „Die Tourismusbranche – und das gilt ebenso für alle anderen durch den Lockdown besonders betroffenen Branchen – brauchen dringend eine Öffnungsperspektive, die ihnen Verlässlichkeit bietet. Die Betriebe fordern zu Recht Modelle ein, wie sich zumindest eingeschränkt die Fortführung des Geschäfts realisieren lässt. Geeignete Hygienekonzepte liegen in all diesen Branchen vor“, sagt Stefan Offenhäuser, Sprecher der Handelskammer in Bremen.
Das bestätigt Martina Warnken vom Urlaubsbauernhof in Huxfeld. „Wir möchten wieder öffnen und Gäste empfangen“, sagt die niedersächsische Land-Touristik Verbandschefin. „Dass wir sicher vermieten können, haben wir im vergangenen Jahr schon bewiesen: Wir haben umfangreiche Hygienekonzepte erarbeitet und erfolgreich umgesetzt; die Gäste reisen mit dem eigenen Fahrzeug an und wohnen als Selbstversorger in Ferienwohnungen und Häusern; auf den Höfen gibt es genügend Platz, um ausreichend Abstand zu halten.“
Die Politik müsse auch mal an die Menschen denken, die seit Wochen und Monaten eine große Last zu tragen hätten, weil sämtliche Freizeitmöglichkeiten und gewohnte Kontakte wegfallen und eine Doppelbelastung durch Homeoffice und Homeschooling bestünde. Die Tourismusbranche befinde sich seit Anfang November im Lockdown. „Wenn wir zu Ostern nicht wieder öffnen dürfen, muss es unbedingt einen finanziellen Ausgleich geben. Denn einen Totalausfall der Einnahmen können die Betriebe nicht länger kompensieren“, so Warnken.