
Landkreise Verden/Osterholz.
Der Modehandel ist in Not. Wegen des Corona-Lockdown kann er die eingekaufte Winterkollektion nicht oder nur sporadisch verkaufen. Das gilt auch für den Achimer Schuhladen Scarpovino, der Mirja und Lars Hehenberger gehört. Darum haben sie sich einer bundesweiten Protestaktion der Branchenverbände Textil, Schuhe und Lederwaren angeschlossen, die den Namen „Geschenke für Abgeordnete“ trägt. „Die Inhaberinnen der Geschäfte Vabene und Viva konnte ich auch von dieser Aktion überzeugen“, erzählt Mirja Hehenberger über die Aktion, die nun auch von Achim aus gestartet wurde.
Die in Achim tätige Geschäftsfrau jedenfalls hat jeweils ein Paar Herrenschuhe an die Bundestagsabgeordneten Andreas Mattfeldt (CDU) und Gero Hocker (FDP) geschickt und mit ins Paket ein Schreiben sowie ein paar Pralinen gelegt. Dieses Geschenk soll als Appell verstanden werden und die Politiker mit einem Produkt, das nun wegen des Lockdown nicht verkauft werden kann, „an ihre Verantwortung für den Mode- und Innenstadthandel erinnern“, wie es in dem Schreiben der Hehenbergers an die beiden Abgeordneten heißt. Sie und andere Geschäftsleute machen so auf die brisante Lage aufmerksam, in der sich ihre Läden befinden, auch weil zunächst noch unklar ist, ob sie nach dem 10. Januar auch wieder öffnen dürfen.
"Die Folge des Shutdown sind unverkäufliche Waren in einem Umfang, "der unsere Existenz massiv bedroht". Denn schon im Frühjahr hätte der Laden einen Großteil der Ware nicht verkaufen dürfen. "Laufende Fixkosten und ausbleibende Umsätze bringen das Fass zum Überlaufen. Ein Ausweichen auf den Online-Verkauf kann kurzfristig das Problem nicht lösen", erklärt Mirja Hehenberger. Nach Berechnungen der Verbände werde der Fashionhandel in Deutschland nochmals rund sechs Milliarden an Umsatz verlieren. Bis zum derzeitigen Schließungsende am 10. Januar würden 300 Millionen unverkaufte Modeartikel in den Lagern liegen – zusätzlich zu der Frühjahrsmode, die nicht verkauft werden durfte.
„Wir fordern dringend eine Gleichbehandlung unserer Branche analog zur Gastronomie“, heißt es von den Scarpovino-Inhabern. Es könne gar nicht anders sein, als dass der direkt betroffene Modehandel zu 70 oder 75 Prozent seines Umsatzausfalls zu entschädigen sei. „Für die Schließungstage im Januar muss die Überbrückungshilfe III für unsere Branche deutlich nachgeschärft oder ein Sonderprogramm aufgelegt werden“, betonen die Hehenbergers. Als Wirtschaftshilfe für den Einzelhandel sei bundesweit ab Januar ein Fixkostenmodell auf Basis des Rohertrags (die Differenz zwischen Umsatzerlösen und Wareneinsatz) ein „wirksames und verhältnismäßiges Mittel“.
Damit rennen die Geschäftsleute offene Türen bei Andreas Mattfeldt ein. Denn so sehr er jedem einzelnen Gastronomen die Erstattung von 75 Prozent des Umsatzes gönne, „fehlt dafür jede Plausibilität“, betont er. Bisher hätten weder Peter Altmaier noch Olaf Scholz ihm auf Nachfragen einleuchtend erklären können, wie sie zu dieser Lösung gelangt sind, die anderen Unternehmern so gar nicht helfe. Auch wenn er das Paar Schuhe der Hehenbergers – das er als „sehr hübsch“ bewertet – gar nicht annehmen dürfe und werde, könne Mattfeldt „ihre Existenzangst und Verzweiflung“ nachempfinden.
Auch als Geschäftsmann, der Mattfeldt ja ebenfalls ist. „Wir mussten in der Bierbrauerei zwei Mitarbeiter entlassen, und die Fassbiere laufen ab“. Aber die Parlamentarier seien in der Lockdown-Frage nicht die richtigen Ansprechpartner für den Einzelhandel, da die Corona-Restriktionen eine Entscheidung der Bundesregierung sind. Aber er könne die Forderung aus dem Modehandel nach dem Fixkostenmodell auf Basis des Rohertrags nachvollziehen. „Zumal weder die Gastronomie noch der Einzelhandel die Infektionstreiber sind“, wie Mattfeldt klarstellt. Daher hätte er sich mehr Differenzierung bei den auferlegten Einschränkungen gewünscht.
Auch Gero Hocker sind die Hilferufe der verschiedenen Branchen nicht neu, wie er den Hehenbergers in einem Brief geantwortet hat. „Seit vielen Monaten fordere ich, dass anstatt eines pauschalen Lockdown, der Sie und viele andere an den Rand der Existenz drängt, insbesondere die so genannten vulnerablen Gruppen geschützt werden müssen“, schreibt der Achimer darin. Kostenlose FFP2-Masken, die an Senioren und andere vorerkrankte Personen verschickt werden, „anstatt solche Personen in Schlangen im Nieselregen vor den Apotheken stehen zu lassen“, wäre ein erster Schritt gewesen, merkt Hocker an.
Sowohl Einzelhändlern als auch Gastronomen, Reiseunternehmen, Künstlern, dem Veranstaltungsgewerbe oder Hotelbesitzern sei dauerhaft nicht damit geholfen, entgangene Umsätze zu erstatten. Dies würde sowohl die finanziellen Möglichkeiten des Staates schnell überfordern, gleichzeitig möchten selbstständige Unternehmer nicht dauerhaft abhängig sein von willkürlichen Zuwendungen durch die Politik. Deswegen sei eine möglichst schnelle Rückkehr zu einem normalen Wirtschaftsleben dringend geboten. „Um den Eindruck einer besonderen Nähe zu bestimmten Branchen oder Interessen zu vermeiden, existieren für Abgeordnete zu Recht verbindliche Regelungen für die Annahme von Geschenken“, informiert Hocker das Ehepaar. Er werde das Geschenk deswegen zurückgeben.