Lilienthal. Minou Hamedani steht auf ihrer Terrasse und blickt auf eine Wiese mit einem niedlichen verfallenen Häuschen. Sie genießt die Aussicht aufs Grün. Sie wohnt seit 2005 an der Straße Im Truper Feld. Von ihrem Grundstück sind es nur wenige Meter bis zu der Weide mit den Bäumen. Dort will das Unternehmen Poliboy eine Lagerhalle errichten. „Ein Albtraum. Wenn ich dann auf der Terrasse sitze, dann gucke ich gegen eine hohe Mauer“, sagt Minou Hamedani über den geplanten „Klotz“ direkt vor ihrer Tür, der ihrem Haus obendrein die Sonne nehmen werde.
Sie ist nicht die einzige Anwohnerin, bei der sich Widerstand regt gegen die Erweiterungspläne des Herstellers von Möbelpolituren und Pflegemitteln. Viele sind verärgert und wütend. Eine Bürgergruppe aus rund 15 Familien macht sich stark gegen das Projekt, die meisten leben in der Straße Im Truper Feld, ein paar wenige in der Torneestraße, da, wo Poliboy seinen Sitz hat. Anlieger sammeln Gegenargumente. Sie beschweren sich bei der Gemeinde Lilienthal, erarbeiten zusammen mit einem Anwalt eine Stellungnahme gegen den Neubau, wollen Unterschriftenlisten verteilen und damit noch mehr Menschen ins Boot holen.

In dem dichten Wohngebiet kocht es, kaum jemand ist für das Vorhaben. Lilienthals Politiker stärken dem mittelständischem Betrieb den Rücken und wollen den Hallenbau ermöglichen. Eine Alternative für den Standort gibt es in Lilienthal jedoch laut Verwaltung nicht, weil Gewerbeflächen fehlen. Es geht um einen rund 9,50 Meter hohen Bau. Poliboys kleine Fabrik ist zu eng, sein Lager den Produktionsmengen nicht mehr gewachsen. Das Unternehmen braucht mehr Raum.
„Warum ein so großes Projekt in einem Wohngebiet“, schimpft Piet Kühl. Er wohnt seit 2007 schräg gegenüber von Minou Hamedani. Die ursprünglichen Pläne hätten einen nur halb so großen Bau vorgesehen. Anlieger wie Piet Kühl gucken mit Argusaugen auf den Betrieb. Sie fürchten eine Ausweitung der Produktion, noch mehr schwere Lkw und noch mehr Lärm. Auch für ältere Anwohner würde sich die Lebensqualität deutlich verschlechtern, sorgt sich Vera Langenberg um ihre Mittagsruhe. Aber die Kritiker haben zudem die mögliche Wertminderung ihrer Grundstücke im Blick.
Poliboy und seine Nachbarn, das ist seit Jahren ein Spannungsverhältnis. Ringsum stehen Wohnhäuser, neue Wohngebiete sind entstanden. Die Anwohner melden Zweifel an, ob der Standort mitten im Ort und nahe an einem Wohngebiet überhaupt geeignet ist, den Betrieb derart auszubauen. „Wenn sie expandieren wollen, müssen sie weggehen“, fordert Lisa Bachmann. Sie wohnt seit 2012 in der Straße Zum Truper Feld. Sie und ihre Mitstreiter legen Wert auf ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis zu Poliboy, sagen sie, vorausgesetzt, alles bliebe beim Alten, so Lisa Bachmann. „Bisher hat sich das Unternehmen mit seinen Gebäuden und Grundstücken recht gut in die Umgebung eingepasst.“
Wirtschaftliche Gründe
Bauchschmerzen haben die Anlieger auch, weil sie nicht einschätzen könnten, ob mit einer weiteren Halle das Gefahrenpotenzial des Chemiebetriebs steigt. Je mehr da produziert und gelagert werde, desto größer sei die Gefahr. „Wir alle sind natürlich sensibilisiert wegen Organo Fluid“, sagt Minou Hamedani mit Blick auf die 2014 explodierte Chemiefabrik in Ritterhude. Selbst wenn das Gewerbeaufsichtsamt zu dem Schluss komme, so Lisa Bachmann, dass in der Firma keine explosiven Chemikalien verarbeitet würden, stelle sich die Frage, ob sie eine Garantie abgeben könne.
Poliboy, 1930 in Bremen gegründet, produziert seit 1952 in Lilienthal. Es war ein Kleinbetrieb, der sich anschickte, von der Torneestraße aus die Welt zu erobern, den großen Markt. Das Poliboy-Männchen mit dem Pagenkopf und den Bürstenschuhen wurde zum Markenzeichen, bekannt im In- und Ausland. Bei Polituren und anderen Pflegemitteln sind die Lilienthaler Marktführer. 65 Mitarbeiter arbeiten für Poliboy, 52 in Lilienthal.
Wegen der Arbeitsplätze und der Angst, der wichtige Wirtschaftsbetrieb Poliboy könne das Weite suchen, plädieren Lilienthaler Politiker für die Bebauungsplanänderung. Für Lisa Bachmann sind das jedoch keine stichhaltigen Argumente, die Interessen der Bürger, die auch Steuern zahlten, zu ignorieren. „Die Gemeinde muss sich dafür einsetzen, dass sich Wirtschaftsbetriebe ansiedeln, hat aber auch eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Bürgern.“ Es könne nicht sein, dass der Erhalt des Standortes für Poliboy oberste Priorität habe. Im übrigen ist sich Lisa Bachmann sicher, dass die Pläne der Firma nicht dem übergeordneten Raumordnungsprogramm des Landkreises Osterholz entsprechen, wonach unterschiedliche Nutzungen – Wohngebiet und Industrie – zu trennen seien.
Der Entwurf des veränderten Bebauungsplans Nr. 91 „Torneestraße" kann noch bis einschließlich Donnerstag, 11. Januar, im Lilienthaler Rathaus eingesehen werden.
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