
Tarmstedt. Stell' dir vor, es ist Ratssitzung, und keiner geht hin – auch kein einziges der 27 Ratsmitglieder. Trotzdem haben die Politiker aus dem Samtgemeinderat kürzlich einige Beschlüsse gefasst, beispielsweise, dass die Samtgemeinde dieses Jahr 10.000 Euro und in den Folgejahren jeweils 5000 Euro für den Betrieb des Anrufsammeltaxis locker macht. Oder dass die Amtsleiter Katrin Alpers und Volker Stemmermann zu Wahlleitern für die Wahlen im September berufen werden.
Aus Gründen des Infektionsschutzes hat Verwaltungschef Frank Holle die eigentlich für kurz vor Weihnachten angesetzte Ratssitzung abgesetzt. Stattdessen haben die Ratsmitglieder die Beschlussvorlagen per E-Mail zugeschickt bekommen, zu Hause ausgedruckt und unterschrieben und dann in den Briefkasten gesteckt.
Was dabei auf der Strecke blieb, war die grundsätzlich vorgeschriebene Beteiligung der Öffentlichkeit. Da das geänderte Abstimmungsverfahren weder auf der Homepage der Samtgemeinde noch sonst wie, etwa durch eine Mitteilung an die Presse, bekannt gemacht wurde, war die ganze Sache intransparent. Die Einwohner der Samtgemeinde Tarmstedt wussten im Vorfeld nicht, was ihre Politiker beschließen sollen. Auch ist nicht bekannt, welche Punkte strittig waren, und von sich aus publik gemacht hat die Verwaltung die Beschlüsse auch noch nicht. Dass das grenzwertig ist, ist auch Samtgemeindebürgermeister Holle klar, der auf Anfrage erklärt: „Das ging in diesem Fall wirklich nicht anders. Im Dezember waren die Infektionszahlen so hoch, dass wir nicht guten Gewissens eine öffentliche Sitzung mit 27 Ratsleuten und drei Verwaltungsmitarbeitern machen konnten.“
Dass im Dezember der Schulausschuss zu einer Präsenzsitzung zusammenkam, das sei „an der Grenze“ gewesen, sagt Holle, „da habe ich mit Bauchschmerzen zugestimmt“. Das Gremium hat wegen der Lehrer-, Eltern- und Schülervertreter mehr Mitglieder als andere Ausschüsse, und für die Themen interessieren sich in der Regel auch mehr Zuhörer. Wegen der Relevanz – es ging um Investitionen und Instandhaltungsmaßnahmen in den Schulen, um die Digitalisierung des Unterrichts und um die Mensa der KGS – habe die Sitzung im geräumigen Forum der Gesamtschule stattgefunden. Dort gab es genügend Platz fürs Publikum, jedes Ausschussmitglied saß für sich an einem eigenen Tisch, und zusätzlich sollten Plexiglasscheiben zwischen den Tischen den Infektionsschutz verbessern.
Was die Sache nicht besser macht ist der Umstand, dass die Samtgemeinde noch immer kein Ratsinformationssystem hat, mit dem beispielsweise der Landkreis Rotenburg oder auch Nachbarkommunen wie Grasberg, Worpswede und Lilienthal seit Jahren arbeiten. Dort können interessierte Bürger die öffentlichen Ratsvorlagen aufrufen und sich informieren, beispielsweise auch über den Haushalt und die darin festgeschriebenen Investitionen und Zukunftspläne. „Wir arbeiten daran“, sagt Holle. Eine Antwort, die er seit Jahren wiederholt, ohne dass bislang Fortschritte erkennbar wären. „Wir hatten andere Prioritäten“, erklärt er, um dann hinterherzuschieben: „Wir haben jetzt eine neue Mitarbeiterin eingestellt, die sich speziell auch darum kümmert. So nebenbei einrichten und pflegen kann man so ein aufwendiges System nicht. Ich denke, dass wir das in diesem Jahr noch vor der Kommunalwahl ans Laufen kriegen.“
Um Kontakte zu vermeiden und die Ansteckungsgefahr zu reduzieren, haben die Gemeinderäte in Tarmstedt und Wilstedt beschlossen, dass an ihrer Stelle die jeweiligen Verwaltungsausschüsse in dringenden Fällen Beschlüsse fassen können. Diese Gremien sind viel kleiner als die Gemeinderäte, im Wilstedter Fall besteht es aus drei Personen. Eine davon ist Bürgermeister Traugott Riedesel, er sagt: „Wir haben das vorsorglich so beschlossen für den Fall, dass bei hohen Infektionszahlen ganz wichtige Beschlüsse gefasst werden müssten. Das könnte zum Beispiel eine Auftragsvergabe sein. Es darf ja nichts liegen bleiben.“
Grundsätzlich habe in Wilstedt aber die Beteiligung der Öffentlichkeit an der politischen Arbeit einen sehr hohen Stellenwert. Daher werde aller Voraussicht nach der Finanzausschuss am 25. Februar öffentlich tagen. „Wir wollen die Bürger dabei haben“, so Riedesel. Daher habe man in der Dezembersitzung des Gemeinderates die Tische der Ratsleute auseinander gerückt und das Publikum mit Abstand im Flur platziert. Beschlüsse im Umlaufverfahren werde es bei schwer wiegenden Entscheidungen, beispielsweise beim Ankauf von Grundstücken für ein neues Baugebiet, „selbstverständlich nicht geben“. Zur Not müsse eben mal eine Sitzung verschoben werden.
Was die Samtgemeinde Tarmstedt angeht, so tagt am kommenden Donnerstag, 28. Januar, der Finanzausschuss in öffentlicher Situng im Rathaus, Beginn ist um 19.30 Uhr. Bürgerinnen und Bürger, die ebenfalls teilnehmen möchten, sollen sich bis 17 Uhr am Tag der Sitzung im Rathaus unter Telefon 04283/ 893 79 30 anmelden. Der Sport- und Freizeitausschusses kommt am 3. März zusammen, um sich die Campingplätze der Samtgemeinde anzusehen. Diese Zusammenkunft gilt als unproblematisch, weil sich das meiste im Freien abspielt. Offen ist derzeit noch, wie mit der Sitzung des Samtgemeinderates am 16. März verfahren wird. Da dabei immerhin der Haushalt 2021 beschlossen werden soll, hält Samtgemeindebürgermeister Holle ein für Tarmstedt ganz neues Modell für denkbar: „Wenn wir keine normale Sitzung machen können, was wir heute aber noch nicht wissen, könnten wir eine Art Arbeitsbesprechung mit den Fraktionsvorsitzenden machen, in der alle Themen auf den Tisch kommen. Die Ergebnisse würden wir hinterher den Zeitungen mitteilen.“ Plan A, das betont Holle, sei aber eine ganz normale öffentliche Sitzung mit Publikum und Presse. „Ich bin nur froh“, fügt Holle hinzu, „dass wir in diesen Pandemiezeiten keine Bürgerversammlung abhalten müssen.“ Derzeit liege nichts an.