
Wenn es draußen kalt und frostig wird, beginnt im Norden die Grünkohlsaison. Das Wintergemüse schmeckt nicht nur gut, es bringt Menschen auch zusammen. Viele Menschen. Was dem Rheinländer der Karneval ist, sind den Norddeutschen im Bremer Raum die Kohlpartys. Erst wandern die Kohlfahrer durch die Kälte, dann verspeisen sie in großen Sälen reichlich Grünkohl und tanzen sich anschließend alles wieder von den Hüften ab. So der Normalfall. Der aber existiert gerade nicht. Die Corona-Pandemie bestimmt das Leben. Gaststätten sind vorerst bis 31. Januar dicht, die Inhaber haben die diesjährige Kohlsaison bereits abgeschrieben. Damit entfallen die umsatzstärksten Wochenenden des Jahres.
Vor 50 Jahren hat Irmtraut Weisser Willenbrocks Gasthaus in Kirchtimke von der Mutter übernommen. Alljährlich von Januar bis März stand bislang die Kohlsaison im Kalender, an jedem Wochenende mit Musikband oder DJ. Bis zu 200 Menschen feierten dann und machten die Kohlsaison umsatzstark. „Das fällt flach“, sagt Weisser über die Kohlsaison 2021. Sie wisse nicht, was passiert. Ihre Hoffnung setzt die Gastronomin auf Februar und dass dann vielleicht Besuche kleiner Gruppen wieder möglich sein werden.
Derweil bietet der Familienbetrieb Grünkohl neben anderen Leckereien im Außer-Haus-Geschäft an. Aber das sei nicht mit einer Kohlparty zu vergleichen, so Weisser. Sie höre von vielen, dass sie die Gemeinschaft vermissten. In Weissers langem Berufsleben gehört zum Jahr 2021 ihre erste ausgefallene Grünkohlsaison. Sie habe noch Glück, sagt sie, das Haus sei ihr Eigentum. „Deswegen werde ich durch die Krise kommen.“
„Kohlpartys wird es in diesem Jahr nicht geben“, ist sich auch Hans Drewes von Kösters Gaststätte in Bülstedt sicher. Bereits im vergangenen Oktober ahnte er das und plante gar nicht erst. Ganz verzichten müssen seine Gäste nicht auf den Grünkohl. In unregelmäßigen Abständen biete er das Gericht im Außer-Haus-Verkauf an. „Das wird sehr gut angenommen“, sagt Hans Drewes. Am 23. Januar ist in Bülstedt wieder Grünkohl-Abholtermin. Der Wegfall der Kohlfahrten mache ihm weniger zu schaffen als die Umsatzeinbußen durch die vielen fehlenden Familienfeiern.
Bis April wäre er eigentlich an jedem Wochenende ausgebucht gewesen. „Das fällt natürlich alles flach.“ Viele für letztes Jahr geplante private Veranstaltungen seien auf dieses Jahr verschoben worden, doch inzwischen habe er schon wieder Anrufe erhalten mit der Bitte, etwa für Mai geplante Hochzeitsfeiern wieder zu verlegen. Die Anrufer hätten Sorge, dass sie nicht so feiern könnten wie vor der Corona-Pandemie. Wenigstens Miete zahlen muss Hans Drewes nicht, und der Sohn werde das Haus übernehmen. Das lässt ihn trotz dieser ungewissen Zeit sagen: „Wir werden überleben.“ Aber die Gastronomie insgesamt werde sich verändern.
Auf der Internetseite des Grasberger Hofs stehen noch sieben Kohlfahrt-Termine. Stattfinden wird kein einziger. „Das war frühzeitig klar, dass das nichts wird“, sagt Hotelleiterin Karin Schnakenberg. Genau genommen ab der Zeit, als die Infektionszahlen hochgingen. Reservierungen habe sie keine angenommen. Für den Grasberger Hof bedeutet das von Januar bis Mitte März statt 500 bis 600 Gäste pro Wochenende ein leerer Saal. Den Wegfall der Kohlfahrtsaison empfindet Karin Schnakenberg als „sehr tragisch“. Und: „Das ist Geld, was fehlt.“
Die staatlichen Corona-Hilfen für November und Dezember habe das Haus auch noch nicht bekommen. Das Hotel sei im Januar und Februar normalerweise wenig ausgelastet, aber auch da fehlen jetzt die Kohlfahrt-Übernachtungen, vermietet werden darf nur noch an Vertreter und Arbeiter. Was bleibt, ist das À-la-carte-Geschäft. Grünkohl für daheim kann allerdings die ausgefallene Kohlsaison nicht ausgleichen. Schnakenberg hofft nun auf Ostern. Doch was wirklich komme, wisse niemand. „Es ist alles in der Schwebe, man kann nicht planen“, bedauert die Hotelleiterin. Im August aber müsste die Planung für die Kohl-Saison 2022 beginnen.
Der Tarmstedter Hof hatte für die Kohltour-Saison 2021 geworben. Fünf Kohlpartys mit Musik und zwei Seniorennachmittage hätte es von Januar bis März geben sollen, plus weitere kleine Gesellschaften zum Kohlessen. Im Sommer, als alle irgendwie noch hofften, habe es sogar einige Anmeldungen dafür gegeben, erzählt Inhaber Ingo Lüpke. Aber das mit dem Planen ist so eine Sache geworden. Nicht nur die Gastronomen leben mit den Unwägbarkeiten der Pandemie. „Wir merken auch, dass die Leute nicht mehr langfristig planen“, sagt Lüpke. So entfällt denn nicht nur die Kohlsaison.
Keine Familienfeste, keine runden Geburtstage sind für 2021 reserviert, "unsere Bücher sind leer“, sagt Lüpke. In ein riesiges Loch zu fallen, das mache ihm die größte Angst. Zwar gehe es mit dem Tagesgeschäft weiter, aber der Außer-Haus-Verkauf kann die Kohlsaison auch bei ihm nicht auffangen, und das Saalgeschäft sieht Lüpke „in weiter Ferne“. Erst wieder für das Jahr 2022 habe er Anfragen.
Der Landkreis Osterholz will den Außer-Haus-Verkauf oder Lieferservice ortsansässiger Gastronomen während des Lockdown mit einer interaktiven Karte unterstützen. Alle Restaurants, Imbisse, Gaststätten und Lieferdienste aus dem Kreisgebiet, die dies anbieten, könnten sich unter www.landkreis-osterholz.de/corona-gastro unkompliziert in eine digitale Übersicht eintragen, teilt der Landkreis mit.
Grünkohl kochen
Seit Generationen wird in Gartelsmann's Gasthof im Blockland Grünkohl nach einem Familienrezept gekocht: Für zehn Personen braucht es rund 2,5 Kilo frischen Grünkohl, zwei Stangen Lauch, vier Zwiebeln, drei Liter Kasslersud, zwei Kilo Kassler plus ausgelöste Knochen für den Sud, 800 Gramm Bauchspeck, je zehn Kohl- und Pinkelwürstchen sowie nach Gefühl etwa 350 Gramm Schmalz, je einen Teelöffel Pfeffer und Piment, eine Messerspitze Zucker, einen Esslöffel Salz und 125 Gramm Hafergrütze.
Zunächst Schmalz bei 80 Grad zerlassen. Die Zwiebeln sind bereits gewürfelt – grob für den Kohl, fein für die Bratkartoffeln. Sie werden zusammen mit dem Lauch bei 140 Grad angedünstet, hinzu kommt der Grünkohl. Piment wird auf dem blanchierten Kohl verteilt.
Für die Fleischbrühe wurden die Knochen rund drei Stunden ausgekocht. Der ausgelöste Kasslernacken wird separat zubereitet. Das Fleisch darf nur bei 70 Grad langsam ziehen.
Mindestens vier Stunden köchelt der Kohl in der Fleischbrühe vor sich hin – zunächst bei 140 Grad, nach etwa zwei Stunden weiter bei 100 Grad. Jetzt kommen die Kohlwürste für eine halbe Stunde dazu und zum Binden die Hafergrütze. Die Pinkelwürstchen ziehen separat in heißem Wasser. Unumgänglich: Der Kohl wird nach vier Stunden vom Herd genommen und abgekühlt, erst dann wieder aufgewärmt. Mit jedem Aufwärmen schmeckt der Grünkohl besser.