
Claudia Ribken: Es ist eine Herausforderung. Wir nehmen die Bedrohung durch das Coronavirus ernst und stehen hinter den geltenden Maßnahmen. Nun gilt es, sich mit den Umständen zu arrangieren. Wir haben das vergangene Jahr genutzt und viel herumexperimentiert – und dabei viele gute Lösungen gefunden. Der Weg dahin war allerdings schwierig. Wir haben versucht, immer ansprechbar für die Kinder und Jugendlichen zu bleiben. Auch wenn wir keine reguläre Öffnung ermöglichen konnten und das Herzstück unserer Arbeit, die „offene Tür“, nicht umsetzen konnten. So sind wir in harten Lockdown-Zeiten – also noch bis zum 11. Januar – weiterhin über Chatgruppen und Telefon erreichbar. Für Einzelgespräche sind wir vor Ort.
Felix Dietrich: Kaum Kontakte zu haben, ist für die Kinder und Jugendlichen schwierig. Wir sind soziale Wesen. Erwachsene können sich zurücknehmen. Für viele Kinder ist das schwer zu ertragen. Aber wir haben versucht, das Beste aus der Situation zu machen.
Wie macht man das?Claudia Ribken: Jetzt, während des Lockdowns, chatten wir, treffen uns auf Facebook oder organisieren virtuelle Schnitzeljagden. Als noch geöffnet war, waren wir viel draußen. Wir unternehmen dann etwas zusammen – mit Maske und Abstand natürlich. Wer etwas auf dem Herzen hat, kann uns treffen – bei Instagram oder auch live. Für Kinder und Jugendliche bricht bei einem Lockdown viel weg – inzwischen haben wir uns mit Corona arrangiert, das heißt nicht, dass dieser Zustand keine Spuren hinterlässt. Viele Jugendliche haben Sehnsüchte, Ängste oder Langeweile und fühlen sich in dieser Situation sehr einsam.
Offene Jugendarbeit heißt, einen Ort vorzufinden, an dem Platz für spontane Treffen ist. Zurzeit dürfen sich fünf Personen aus zwei Haushalten treffen. Wie geht das Freizi damit um?Felix Dietrich: Es wird wohl noch lange keine offene Tür, so wie wir sie kannten, im Borgfelder Freizi geben können – aber wir haben stets ein offenes Ohr! Wenn wir geöffnet haben dürfen, haben wir ein strenges Hygienekonzept in den Räumen.
Claudia Ribken: Durch die coronabedingten Anpassungen ist die offene Arbeit in der bekannten Form derzeit nicht umsetzbar. Wir müssen die Jugendlichen anhand der Raumgrößen begrenzen, sie müssen ihre Daten eintragen, damit wir Kontakte nachvollziehen können. Wir haben möglichst viel draußen auf dem Vorplatz stattfinden lassen - Skateboardprojekte und andere Sport- und Bewegungsübungen im Individualbereich. Kontaktsport ist hingegen ganz untersagt. Teilweise musste der Platz in einigen Phasen aber auch komplett gesperrt werden.
Welche Angebote gibt es in einem Teil-Lockdown?Claudia Ribken: Angebote im Sitzen gehen ganz gut. Basteln, Bauen, Nähen – überhaupt viel Kreatives. Ich habe vor Weihnachten mit meinen Hunden Gazoo und Ice einen Freizi-Hundezirkus als Einzelangebot umgesetzt. Nach dem jetzigen Lockdown können wir hoffentlich wieder als Gruppe mit den Hunden üben. Der Kontakt zu den Tieren tut Kindern und Jugendlichen gut. Die Hunde kritisieren nicht und nehmen jede Person mit ihren Stärken und Schwächen einfach an – das hilft, durch diese Zeit zu kommen. Tiergestützte Pädagogik ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Einrichtung. Beliebt sind auch Videospiele wie Minecraft – wir begleiten die Kinder und Jugendlichen beim Zocken. Wir interessieren und unterhalten uns über die Spiele und sorgen auch für einen Ausgleich. Im letzten Jahr haben wir uns mit dem Thema Rassismus, Ausgrenzung und den eigenen Privilegien als weiße Person auseinandergesetzt.
Auf dem Vorplatz am Unterstand ist dabei ein Graffiti entstanden.Claudia Ribken: Thematisiert wurden aktuelle Anlässe, der Tod von Georg Floyd, der im Mai in Minneapolis von einem Polizisten getötet wurde. Die anschließenden sozialen Bewegungen und das Thema rassistische Polizeigewalt waren medial allgegenwärtig. Wir haben über den Anschlag in Hanau gesprochen und auch die Entwicklungen in Moria haben uns beschäftigt. Wir begleiten die Kinder und Jugendlichen, die diese Ereignisse im Internet und in sozialen Medien aufgreifen und unterstützen sie dabei, diese einzuordnen – und zu verarbeiten. Wir besprechen diese Themen. Wir haben im Sprayprojekt einen kreativen Umgang damit gefunden. So können sich Kinder und Jugendliche in die für sie wichtigen gesellschaftspolitischen Themen und Debatten aktiv einbringen. Indem sie eine Aussage hinterlassen – wie beispielsweise am Unterstand. So können sie zu der Debatte im Stadtteil beitragen.
Was steht an, wenn das Freizi wieder öffnen darf?Claudia Ribken: Die Querdenker sind momentan ein großes Thema in den sozialen Medien. Wir werden uns damit beschäftigen und die Ziele und vermeintlichen „Argumente“ hinterfragen. Unser Anliegen ist es, Kinder und Jugendliche in einer Welt mit komplexen Zusammenhängen zu begleiten und Hilfestellung beim Einsortieren der riesigen Informationsmengen zu geben. Zudem möchten wir natürlich möglichst schnell wieder viel Leben in der Bude haben, aber die Gesundheit geht immer vor. Unser Pizzaofen wartet schon, unser Garten soll im Frühjahr wieder weiterhin genutzt werden, der Billardtisch ist frisch bezogen und wartet darauf, eingeweiht zu werden, auch unsere neuen Außenspiel- und Sportgeräte stehen parat. Wir sind startklar und setzen so viel um, wie in der Pandemie möglich ist.
Das Team des Freizeitheims in Borgfeld hat im vergangenen Sommer einen Film gedreht – mit dem Titel: Was macht Corona mit dir? Was steckt hinter dem Projekt – und wann gibt es den Film zu sehen?Claudia Ribken: Wir haben Kinder interviewt und ihnen Fragen zu ihren durch Corona veränderten Lebensumständen gestellt. Sie erzählen im Film, was sie im ersten Lockdown so gemacht haben. Wir wollten wissen, wie es ohne Schule so läuft. Wie es ihnen geht und ihre Lebensrealitäten abbilden. Sie waren mehrere Wochen nicht in der Schule. Für Heranwachsende aus bildungsfernen Haushalten ist das nicht einfach. Wir haben uns den Film hier zusammen angeschaut, als das noch möglich war. Wir wollten mit den Kindern und Jugendlichen ein gemeinsames Projekt durchführen, ohne uns dabei zu treffen. Im Ergebnis können die Beteiligten erfahren, dass sie mit ihren Problemen und Ängsten nicht alleine sind. Das ist wichtig. Auch mit dem Filmprojekt wollen wir in Zukunft fortfahren, wir haben dafür neue Ausrüstung angeschafft und probieren uns jetzt in den Bereichen Filmproduktion, Ton und Bildschnitt aus.
Das Gespräch führte Petra Scheller.Claudia Ribken (42)
ist Sozialpädagogin und leitet die offene Jugendarbeit im Freizi Borgfeld. Ihr Ziel ist es, den Jugendlichen einen Raum zu bieten, in dem sie ihren Gesetzesanspruch auf Teilhabe und Partizipation ausleben können.
Felix Dietrich (34)
ist Kursleiter im Freizi Borgfeld. Leistungsdruck sei ein großes Thema bei den Jugendlichen, sagt der Pädagoge. Sein Ziel ist es, für Entschleunigung zu sorgen.
Das Freizi-Borgfeld ist dienstags bis freitags zwischen 15 und 19 Uhr geöffnet. Bis zum 11. Januar können wegen der Corona-Beschränkungen nur Einzelgespräche stattfinden. Telefonisch zu erreichen sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DRK-Einrichtung unter 0421/ 98 88 34 06 oder mobil 0157 36 74 69 54.