
Von Christian Valek
Osterholz-Scharmbeck. Die Fußspitzen schaufeln das Laub vor sich her. Zwischen Hecken und Maschendraht geht es auf dem Pootjengang steil bergauf. Auch ein geübter Spaziergänger beginnt hier zu schnaufen. Wer durchhält, wird am oberen Ende des Weges mit einer ungewohnten Weitsicht belohnt. Die Autos auf der Poststraße schlängeln sich in der Ferne zwischen den Hausgiebeln hindurch; die St. Willehadi-Kirche reckt die Turmspitze aus dem November-Nebel. "Das ist doch mal eine ganz besondere Ansicht von Osterholz-Scharmbeck", schwärmt Lübbert und atmet durch. Er fischt eine Schlehe vom dornigen Strauch und erinnert sich. Damals, vor 60 Jahren, sei er den Weg täglich gegangen. Heute gehe er ihn selten und zum Vergnügen.
Der 65-Jährige ist in der Beckstraße geboren. "Früher gab es hier kaum Häuser. Das war alles freies Feld." Lübberts Spaziergang beginnt an seinem Geburtshaus an der Beckstraße. Wenige Hausnummern bergauf bleibt er vorm ehemaligen Witwen- und Waisenhaus stehen. Das Fachwerkhaus mit den ausgewetzten Stufen der Eingangstür und wildem Rankenwuchs macht neugierig. Von Sonne und Regen gegerbte Balken teilen die Fassade des Hauses in vage Rechtecke. Eine verwitterte Doppeltür verwirrt den Betrachter: Die Türklinken fehlen. Das Herbstlaub bedeckt die Sandsteinstufen und den Bürgersteig davor. "Das Haus ist heute noch bewohnt", sagt Lübbert. Dann will er weiter. "Zum Anwesen von Gut Sandbeck geht es gleich rechts runter."
Das Pflaster aus Feldsteinen führt zur Graft hinab. Das Wasser nehme nach heftigen Regenfällen den gleichen Weg, hat er beobachtet. Die Rinnsäle laufen vom Scharmbecker und Bargtener Feld in die Staubecken vorm Gutshaus. "Wenn man alle Straßengräben dicht macht, muss man sich nicht wundern", sagt er. Die Macht des Wassers haben sich damals Müller zu nutze gemacht, berichtet er. Unweit der Gutsbrücke habe es jeweils eine Wasser- und eine Walkmühle zur linken und rechten Seite gegeben. Das Rumpeln der Mahlsteine hallte einst durch den Buchenwald.
Heringe von Oma Monsees
"Früher sind wir hier im Winter Schlittschuh gelaufen", erinnert er sich. "Und Oma Monsees hatte die besten eingelegten Heringe. Die gab's immer mit Melk und Dickem." Nach dem Abbiegen auf die Sandbeckstraße erreicht er bald das alte Museum. Lübbert faszinieren die geschnitzten Fratzen am Kopfende der Dachbalken. Die strecken Ankömmlingen die Zungen heraus. Am ältesten Haus der Stadt sollten sie einst das Böse abwehren, weiß er. Das Haus, in dem heute unter anderem ein Trauercafé residiert, sei aus der Zeit des 30-jährigen Krieges.
Der Pootjenpad liegt von hier einen Katzensprung entfernt. Der Weg habe seinen Namen vom niederdeutschen Begriff "Pootje" und stehe für die Klaue des Schweins, sagt Lübbert. Bürger hätten ihn früher für den Viehtrieb genutzt. Entlang des Pootjenpads standen die Bauernhäuser so dicht, dass die Dächer samt Traufe sich beinahe berührten. "Die standen so eng, dass man die am Strick geführten Schweine nicht sehen konnte." Ein Zigarrenmacher und ein Schmied hätten unweit gewohnt. "Und der Bäcker war nebenan."
Sein verstorbener Vater, geboren im Jahr 1902, habe auch Erinnerungen an den Pootjengang gehabt. "Der ist mal mit 'nem hölzernen Laufrad hier runter gebrackert", sagt Lübbert. Unten, am Birnbaum, sei das Ding mit Karacho zerschellt. Den Hintern voll gab's gratis dazu.
Oben auf dem Pootjengang war ringsrum Acker, erinnert sich der Scharmbecker. Heute schaut man in die Gärten der Anwohner. Manche haben die Hecken geschnitten, andere setzen auf Natur. Fallobst liegt am Wegesrand, Strauch- und Grasschnitt bremsen eilige Schritte.
Anwohner Werner Müller erinnert sich daran. Er ist 1950 an den Heiligenberg gezogen. Die Siedlung darüber sei 1963/1964 entstanden. Man habe vor der Haustür eine Wasserpumpe gehabt. Die Anwohner vom Heiligenberg konnten diese nutzen. Das sei vor der Zeit der Wasserrohrversorgung gewesen, sagt er. Der frühere Wasserholerweg kreuzte den Pootjengang und führte an seinem Grundstück vorbei, so Müller. "Als ich hierher zog, war aber die Pumpe schon längst außer Betrieb."
Die Stelle, wo die Kupferarmatur auf einem Holzgestell thronte, kann er zeigen. Noch heute markiert eine kreisrunde Absenkung in der Pflasterung den ehemaligen Standort. Der liegt an der Ecke Freißenbütteler Straße, Sandbergstraße und Wesermünder Straße direkt in Müllers Garageneinfahrt. "Die Stelle habe ich schon oft eingeebnet, aber das hilft wohl nichts." Joachim Lübbert staunt. "Die Geschichte kannte ich noch nicht."
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Das ist doch gar nicht möglich!
Ist wird ...