Olympia bringt dem Kanusport erhöhte Aufmerksamkeit – aber dem Bremer Norbert Köhler reicht das nicht Alle vier Jahre wieder

Bremen. Die Welt ist für Norbert Köhler ziemlich in Ordnung. Er sitzt auf einer Bank vor seinem Bootshaus, zwei Dutzend Schritte vom Weser-Ufer entfernt.
24.07.2016, 00:00 Uhr
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Alle vier Jahre wieder
Von Katharina Elsner

Bremen. Die Welt ist für Norbert Köhler ziemlich in Ordnung. Er sitzt auf einer Bank vor seinem Bootshaus, zwei Dutzend Schritte vom Weser-Ufer entfernt. Drinnen stapeln sich 50, 60 Boote neben- und übereinander, draußen herrschen 32 Grad. Es sind nicht alle seine Kanus, Kajaks und Drachenboote, sondern sie gehören seinem Verein: Norbert Köhler ist Vorstand der Bremer ­Kanusportfreunde. Und wenn in diesen Tagen die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro beginnen, wenn die Kanuten wieder Medaillen nach Hause bringen, wird das auch Norbert Köhler Aufmerksamkeit für seinen Verein schenken.

Die Hälfte seiner Boote ist gerade irgendwo auf den Gewässern dieses Kontinents unterwegs, und auch Köhler selbst wird in ein paar Tagen mit einem Boot Richtung ­Venedig fahren. Doch die Welt ist für ihn noch aus anderem Grund in Ordnung: Der 65-Jährige hat vom Deutschen Kanuverband (DKV), dem Dachverband aller Kanuvereine, ganz schön viel Geld bekommen, um neue Mitglieder zu gewinnen. Zwei Jahre lang, noch bis 2017, steht Köhler als Leiter dem Projekt Mitgliedergewinnung vor. Darin hat der ehemalige IT-Spezialist Erfahrung, der jahrzehntelang für einen großen Stahlproduzenten in Bremen Marketing gemacht hat.

Nun soll ein neues Konzept die Kanuvereine vor dem Schwund retten. Der Name: „Mein Rio beginnt am Bootshaus“. So richtig ernst sei das mit Olympia und dem Bootshaus am Richard-Jürgens-Weg 1 natürlich nicht, sagt Norbert Köhler. „Es ist ein Werbespruch.” Rio sei lokal. Denn Jugendliche, die tatsächlich Kanu als Leistungs- und Spitzensport betreiben möchten, würden sich in Bremen eher dem Verein für Kanusport (VKB) oder dem Störtebeker Paddelsport (SBP) anschließen. Beide haben sich auf Kanu als Rennsport spezialisiert.

Entwickelt haben das Marketingkonzept zwei Studierende der Universität Bremen, vom Lehrstuhl für innovatives Markenmanagement. Ihr Auftrag von Norbert Köhler: ein Event zu planen, um den Kanusport ­öffentlicher und attraktiver zu machen. Und: „Um Emotionen zu wecken“, sagt Köhler. Deswegen wird am 14. August in der Pauliner Marsch eine „Fun-Regatta“ stattfinden – so bezeichnet es Köhler; ein Parcours, bei dem erfahrene Mitglieder und Neulinge gemeinsam eine Aufgabe bewältigen: Ausgerüstet mit einem Luftballon und einem Schwamm, steigen die Teams in die Boote, paddeln zu den Stationen auf der Weser, pusten den Luftballon auf, knoten ihn an einem Draht fest und legen dann auf dem Weg zurück zum Ufer noch den Schwamm in einem leeren Boot ab. Während Norbert Köhler erklärt, arbeitet er mit Begriffen wie Teambuilding, Spaß, Emotionen und Vertrauen in den ­Verein wecken – er fährt eine echte Werbestrategie.

20 000 Euro hat der DKV dafür bereitgestellt. „Nicht ausschließlich für das Bremer Projekt“, wie Isa Winter-Brand sagt. Sie ist DKV-Vizepräsidentin für den Bereich Freizeitsport und findet die Idee von Norbert Köhler, Einsteiger und Mitglieder zusammenzuführen, „ganz hervorragend“. Ob allerdings so ein Einzelevent zielführend sei, neue Mitglieder zu gewinnen, findet sie fraglich. Wichtig sei aber der erste Kontakt, den Jugendliche dadurch knüpfen.

Das sehen andere Kanuvereine in Bremen ähnlich. Niemand will das Event öffentlich kritisieren, schließlich dient es dazu, den Sport generell bekannter zu machen. Dabei ist gerade die Situation in Bremen okay. Zwei der größten Vereine, Störtebeker und Kanusportfreunde, konnten im Jahr 2015, ebenso wie andere Vereine, einen Mitgliederzuwachs verzeichnen. Das geht aus der Statistik des Landeskanuverbands Bremen hervor, dem Köhler ebenfalls vorsteht. Zwar hat bundesweit der DKV geringfügig an Mitgliedern verloren, 0,59 Prozent im vergangenen Jahr, aber Kanu werde trotzdem immer beliebter, sagt Norbert Köhler. Nur: „Die Menschen finden den Weg in die Vereine nicht mehr“ – zumindest in anderen Bundesländern nicht. Die Gründe dafür sind vielfältig. Kanu lässt sich schwer in den Zeitrahmen einer Schule im Ganztagesbetrieb einbetten. Die Fahrt hin zum Wasser, die Vorbereitung der Boote, die Fahrt auf dem Wasser – und den ganzen Weg wieder zurück.

Unter zwei Stunden lohne sich das nicht, sagt Jörg Henning vom Störtebeker Paddelsport. „Außerdem ist Kanu eine sehr technische Disziplin, die Jugendlichen nicht so viel Spaß bringt.“ Was bei anderen Sportarten möglich ist, mal eben mit einem Ball auf dem nächsten Bolzplatz zu gehen, funktioniert beim Kanu nicht. Und: „Als Kanuverein müsse man überall präsent sein“, sagt Lucas Klemmer.

Der 21-Jährige leitet seit zweieinhalb Jahren die Jugendgruppe beim Verein für Kanusport. Er ist Informatikstudent und hat gerade eine neue Website für den Verein gebaut. Die meisten Kanuvereine präsentieren sich auf sozialen Medien wie Facebook oder Instagram kaum. Außerdem wirken viele Webseiten, als ob sie Anfang der 2000er-Jahre stehengeblieben wären. Jugendliche zieht das so wohl kaum an.

Klar, immer wenn die Olympischen Spiele stattfinden, bekommen die Kanuvereine mehr Anfragen. Schließlich zählt Kanu zu den erfolgreichsten deutschen Sportarten, wenn es um Medaillen geht. Aber es gebe keinen „Boris-Becker-Effekt“ wie beim Tennis in der 1990er-Jahren, sagt Norbert Köhler. Diese Zeiten gehören sowieso lange der Vergangenheit an. Heute sind in den Vereinen andere Strategien gefragt.

„Die Menschen finden den Weg in die Vereine nicht mehr.“ Norbert Köhler
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