
Frau Wilhelm, Ihre Vorgängerin war eine begeisterte Fußballerin, wie sieht es mit ihrer Leidenschaft für den Sport aus?
Ich bin ein absoluter Bewegungsmensch. In Bremen bin ich zwar in keinem Verein. Aber das Thema Bewegung ist für mich ganz wichtig. Es ist wunderbar, hier in Bremen mit dem Fahrrad zu fahren. Ich wandere sehr gerne, vor allem in den Bergen.
Das dürfte in Bremen schwierig sein.
Hier kann man toll schwimmen oder auch Nordic Walking machen. Das einzige, was ich nicht so gerne mag, ist Sport in Räumen.
Am Dienstag findet in Bremen die Frauenvollversammlung des Landessportbundes statt, auf der sie sprechen werden. Warum müssen Frauen im Sport im Jahr 2018 noch eigene Lobbyarbeit betreiben?
Wenn man sich die Zahlen anschaut, die belegen, wie Frauen noch immer unterrepräsentiert sind sowohl im Spitzensport als auch im Breitensport, dann wird deutlich, dass der Sport hier einiges aufzuholen hat.
Wie sehen denn die Zahlen aus?
Es gibt wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen eklatante Auffälligkeiten. Unter den 100 bestbezahlten Sportlern ist eine Frau, die Tennisspielerin Serena Williams. Hier ist das Verhältnis 100 zu 1. Zweites Beispiel: Die Berichterstattung in den deutschen Medien befasst sich zu 85 Prozent mit den Herren.
Dem Fußball sei Dank?
Natürlich spielt der Fußball da eine große Rolle. Aber das allein ist nicht der Grund. Wenn Sie sehen, dass 89 Prozent der Autoren im Sportjournalismus Männer sind, dann heißt das, Männer berichten über Männer. Die Ausnahme ist die Berichterstattung bei Olympia. Da gibt es tatsächlich 45 Prozent der Berichte über Frauen.
Wird denn ihrer Meinung nach anders über Frauen berichtet?
Auf jeden Fall. Frauen werden entweder marginalisiert, in dem sie nicht oder nur am Rande vorkommen, mit Ausnahme beim Volleyball, einer eher klassischen Frauen-Sportart. Oder es wird stark mit Stereotypen gearbeitet. Wenn über Frauen berichtet wird, dann meist über Athletinnen. Es ist schwieriger, Frauen im Verbandssport zu Wort kommen zu lassen. Es findet aber leider auch mehr eine Trivialisierung und Sexualisierung statt. Beispiel: Wie abschätzig die Fußballmoderatorin Claudia Neumann angegangen wurde. Ihr wurde die Fachkompetenz abgesprochen auf eine Art und Weise, die Männern so nicht passiert.
Wenn die Sportbekleidung beim Beach-Volleyball so minimal ausfällt und die Frauen sich nicht dagegen wehren, sind sie dann nicht auch zum Teil mit schuldig an einer gewissen Art des Voyeurismus in der Berichterstattung über Frauen im Sport?
Es braucht schon Mut, sich dagegen zu wehren. Die Frauen wollen vornehmlich ihren Sport betreiben, Leistung zeigen. Aber sie brauchen auf der anderen Seite auch die Medien. Denn eine hohe Medienpräsenz hat auch unmittelbar mit Verdienst und Karriere zu tun. Da dann Kritik zu äußern, ist schwierig, Da befinden sich die Frauen in einem großen Zwiespalt. Es ist eine Sache des Verbandes, dem Voyeurismus entgegen zu steuern.
Lassen Sie uns vom Spitzensport zum Breitensport kommen. Wie sieht es denn damit der Präsenz aus?
In Deutschland sind Mädchen und Frauen in Führungspositionen im Sport auf jeden Fall unterrepräsentiert. Der Frauenanteil in den deutschen Landessportbünden liegt durchschnittlich bei 21, 5 Prozent. In Bremen sind es immerhin 23 Prozent. In den deutschen Spitzenverbänden geht es noch mal runter, da sind es nur 17 Prozent Frauen.
Wie sieht es bei Trainerinnen, Übungsleiterinnen und anderen Vereinspositionen aus?
Hier sind es etwa ein Drittel Frauen, die in dem Bereich aktiv sind. Bei den Vereinsvorständen sind Frauen eher als Kassiererinnen oder Schriftführerinnen dabei, nicht als Vereinsvorsitzende.
Woran liegt ihrer Meinung nach die niedrige Frauen-Quote dort?
Das hat auch mit Führung zu tun. Da ist der Sport ein Spiegel der Gesellschaft. Zudem drängen Frauen nicht unbedingt mit großem Willen in diesen Bereich. Hinzu kommt, dass Vereine vielfach auch Traditionsvereine sind. Wenn der Vater Vorsitzender war, dann folgt oft der Sohn. Aber auch hier ist einiges im Umbruch. Denn allgemein ist es heute schwierig, ehrenamtliche Mitarbeiter zu finden, egal ob Männer oder Frauen.
Welche Rolle spielt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei den Frauen?
Eine sehr große. Die Frauen winken ab und sagen, ich schaff nicht zusätzlich noch ein so zeitaufwendiges Ehrenamt. Frauen leisten täglich immerhin durchschnittlich 87 Minuten mehr unbezahlte Arbeit als Männer. Es also schlicht eine Frage der Zeit. Zumal es meist abends dann stattfindet.
Aber Frauen engagieren sich doch mehr als Männer zum Beispiel als Elternsprecher in Schulen. Da finden die Termine auch meist abends statt.
Das Engagement in der Schule ist jedoch dann wieder rollenkonform. Es geht schließlich um die Familie, und damit ist es im Familienzeitbudget und nicht zusätzlich.
Gibt es denn heute mehr Frauen in leitenden Vereinsfunktionen als es noch vor 20 Jahren der Fall war?
Gefühlt würde ich sagen Ja. Jetzt ist auch eine Zeit gekommen, in der werden auch Funktionärinnen gesucht. Das ist eine Chance für Frauen zu sagen, ja das will ich machen.
Würde eine Quote helfen?
Darüber denken Sportorganisationen durchaus nach. Aber ich würde keinem Verein sagen, sie sollten eine Frauenquote für ihre Vorstände einführen. Wenn sich Vereine zukunftsorientiert aufstellen wollen, dann kommen sie um Frauen sowieso nicht drum rum.
Wie kann man denn mehr Frauen in Führungsverantwortung locken?
Man muss die Posten attraktiv machen. Zum Beispiel kann man sich Gedanken über eine geteilte Führung machen. Alleine ist es einer Frau womöglich zu viel, neben Beruf und Familie einen Verein zu führen, aber zu zweit diese Aufgabe zu bewältigen, schon eher. Man muss andere Modelle denken.
Glauben Sie, dass Frauen an der Spitze Vereine besser machen, kreativer womöglich?
Ich kann mir vorstellen, dass einige Bereiche intensiver bearbeitet werden könnten von Frauen, zum Beispiel die Kinder- und Jugendarbeit im Verein. Ebenso der Bereich Gesundheitssport ist ein Thema, da gerade im Alter mehr Frauen als Männer Sport treiben. Das ist eine große Chance für die Vereine. Frauen setzen womöglich auch andere Trends.
Vereine beschäftigen sich zurzeit auch damit, wie Frauen mit Fluchthintergrund oder Migrationshintergrund eingegliedert werden können. Der Landessportbund Bremen hat ein Programm aufgelegt, das Migrantinnen sucht, die sich zu Übungsleiterinnen ausbilden lassen. Ist das ein erfolgversprechender Weg?
Auf jeden Fall. Es ist oft einfacher, Sport mit Frauen aus dem eigenen Kulturkreis zu betreiben. Auch für Kinder, vor allem für die Mädchen. Das Vereinswesen ist den meisten, die hier her kommen, ja völlig unbekannt.
Ein weiteres Thema, das zurzeit bewegt, ist die #MeToo-Debatte. Auch im Sport gibt es sexuelle Übergriffe, die jedoch gerne als Einzelfälle abgetan werden.
Das sind sie nicht. Sexuelle Übergriffe kommen da vor, wo es Abhängigkeiten gibt. Vor allem im Leistungssport ist das ein Thema. Da geht es um Macht. Ein Trainer hat die Macht zu entscheiden, wer wo starten darf. Und diese Macht wird leider auch missbraucht. Es gibt aber mittlerweile mehr Sensibilität für das Thema in den Vereinen, was auch unbedingt notwendig ist.
Frauen und Sport ist ein breit gefächertes Thema. Abschließend die Frage, was wünschen Sie sich, wie die Zukunft der Frauen in den nächsten 20 Jahren im Sport aussehen sollte?
Ich wünsche ich mir dieselbe Präsenz von Frauen in den Vereinen und Verbänden wie bei den Männern und das in allen Bereichen. Ich wünsche mir aber auch eine Veränderung in den Medien. Damit Frauen mehr wahrgenommen werden, braucht es einfach auch mehr Journalistinnen im Sport.
Die Fragen stellte Ruth Gerbracht
Bettina Wilhelm (53) ist seit Ende 2017 Bremens Landesbeauftragte für Frauen. Die gebürtige Stuttgarterin war zuvor Bürgermeisterin und Dezernentin für Sport. Unter anderem ist ihr eine verstärkte Präsenz der Frauen im Sport wichtig.
Welcher Verein wann in Bremen oder der Region spielt und wie die Begegnung ausgegangen ist, erfahren Sie in unserem Tabellenbereich. Auch die Ergebnisse der Spiele der höheren Ligen finden Sie dort.
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