„Isco, Isco, Isco“ – als Francisco Román Alarcón Suárez in der 80. Minute den Platz verließ, ertönte von den Rängen wieder der Soundtrack des Abends. Zu sagen, der elegante Mittelfeldmann von Real Madrid sei ein Fußballer, wie ihn das Publikum liebt, wäre schamlos untertrieben. Allenfalls Andrés Iniesta, der Siegtorschütze der WM 2010, ist in spanischen Stadien zuletzt so nachhaltig gefeiert worden, und weil es also Iscos großer Abend war im Estadio Nuevo Condomino der andalusischen Provinzstadt Huelva, fabulierten manche Kommentatoren schon von dem Beginn einer neuen Zeitrechnung.
In Huelva gründeten britische Einwanderer im 19. Jahrhundert den ersten spanischen Fußballklub. Aus Huelva brach die „selección“ 2008 zur EM in Österreich auf, wo sie ihre goldene Ära begründete. Und in Huelva wollen die ganz Optimistischen beim 3:0 gegen Weißrussland nun auch die Wiederauferstehung der in Brasilien gefallenen Weltmacht gesehen haben.
Soll einer noch mal sagen, diese Pflichttermine in der EM-Qualifikation seien zu nichts nütze. Iscos Debüt in der Startelf, seine kreativen Höhepunkte und sein wunderbarer Fernschuss zum 1:0 sowie weitere Treffer der Barça-Haudegen Sergio Busquets und Pedro haben vor dem Testspiel gegen Deutschland am Dienstag in Vigo die Lebensgeister wiederbelebt. Vom „neuen Spanien“, schreiben die Gazetten begeistert. „Isco sagt, dass es eine Zukunft gibt“, befindet „As“. Nicht mal im widerspenstigen Katalonien gibt es Einwände. „’La Roja’ ist zurück“, titelt „El Mundo Deportivo“ erleichtert: „Sie macht klar, dass das Tiki-Taka nicht gestorben ist.“
Die schon fast irrationale Euphorie nach einem einkalkulierten Sieg gegen den 106. der Weltrangliste und einer insgesamt eher durchschnittlichen Partie Fußball ist natürlich nur erklärbar mit der bekannten Blumigkeit der iberischen Presse. Ferner mit dem Gefühl der Befreiung von den düsteren Vortagen, als Sergio Ramos den fortgebliebenen Chelsea-Profis Diego Costa und Cesc Fàbregas mangelndes Engagement für die Nationalelf unterstellte sowie Busquets zu Protokoll gab, das „beste Spanien“ werde es nie wieder zu sehen geben. Vor allem aber mit dem Umstand, dass in Huelva der Umbruch stattfand, den die Kritiker seit dem Debakel von Brasilien fordern. „Es stimmt schon, vielleicht war mehr Energie auf dem Platz“, sagte Nationaltrainer Vicente del Bosque. „Ab und an rät es sich, mal die Erde umzugraben“.
Aufgrund der Rücktritte von Xavi und Xabi Alonso sowie der aktuellen Verletzungen von Fàbregas, Iniesta und David Silva werden auch gegen Deutschland vor dem Defensivverbund fünf Spieler agieren, die weder bei den Titeln zwischen 2008 und 2012 noch bei der WM in der ersten Elf standen. Als besonders zukunftsrelevant gilt die bereits beim Gewinn der U-21-EM vor zwei Jahren erprobte Mittelfeldallianz aus Koke und Isco. Der 22-Jährige von Atlético Madrid wird als Nachfolger von Xavi in der Organisationszentrale gesehen, der gleichaltrige Real-Profi als eine Art Ebenbild Iniestas – nicht nur, was die Liebe des Volkes betrifft, sondern auch in seiner Zuständigkeit für die besonderen Momente. Als „pure Magie“ pflegt ihn „Marca“ zu bezeichnen, der eingewechselte Debütant Álvaro Morata vermutete gar, sein Kumpel habe „Kleber an den Schuhen“ und für die „Mundo Deportivo“ handelt es sich bei dem hageren Künstler schlichtweg um den „Messias, auf den Spanien wartet“.
Nur einer wollte an den Elogen über die neue Herrlichkeit nicht teilnehmen: Del Bosque. Der 63-jährige Marqués gehört bekanntlich zum bodenständigen Teil der Botaniker-Zunft und außerdem ist er Fachmann – weshalb ihm weder entging, dass die Torabschlüsse seiner Auswahl an einer Hand abzuzählen waren, noch dass die Filethäppchen des neuen Auserwählten von zahlreichen Ballverlusten begleitet wurden. „Isco hat wirklich gut gespielt, aber er hat sich bisweilen darin verfangen, alles ein bisschen zu schön machen zu wollen“, monierte der Trainer. „Wie die anderen auch“. Demonstrativ lobte er die Leistung der Veteranen Ramos und Piqué in der Innenverteidigung und erwähnte das 5:1 vor zwei Monaten gegen Mazedonien, bei dem es die etablierten Offensivkräfte auch nicht so ganz schlecht gemacht hatten. Del Bosque musste zuletzt viel Kritik einstecken, aber er wird nie von seiner Solidarität zu den alten Helden abweichen und davon, die Ausschläge auf dem Boulevard abzufedern.
Nun kommt also der Weltmeister. Seit 34 Heimspielen wurde nicht mehr verloren. Wenn es weiter als das neue Spanien gelten will, sollte das junge Team diese alte Serie besser verteidigen.
Auch Boateng fällt aus – Löw nominiert Wolfsburgs Knoche nach
◼ Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft muss im Testspiel bei Europameister Spanien am Dienstag neben Manuel Neuer auch auf Jérôme Boateng verzichten. Der Innenverteidiger fällt wegen muskulärer Probleme in der linken Wade aus, teilte der Deutsche Fußball-Bund gestern mit.
Für Boateng rückt nun Robin Knoche nach. Der 22 Jahre alte Profi des VfL Wolfsburg steht nach acht Länderspielen für die U21 erstmals im Aufgebot der A-Nationalmannschaft. Damit hat Bundestrainer Joachim Löw weiterhin 17 Feldspieler und zwei Torhüter im Kader – davon nur noch elf Weltmeister von Rio.
Vor dem glanzlosen 4:0 gegen Gibraltar hatten bereits Christoph Kramer, Julian Draxler und Marco Reus ihren verletzungsbedingten Verzicht erklären müssen. Manuel Neuer reiste am Sonnabend mit Beschwerden im rechten Kniegelenk aus dem Hotel des DFB-Teams in Nürnberg ab. Die Mannschaft fliegt heute Morgen von München aus ins spanische Vigo.