WM der Nicht-FIFA-Mitglieder Die Bruderschaft der Heimatlosen

Stockholm. Die Teilnehmer kommen aus Südossetien und Abchasien, aus Kurdistan und Darfur. Ihr Turnier - der World Football Cup der Confederation of Independent Football Associations - soll die Welt lehren, wer diese Menschen sind.
05.06.2014, 00:00 Uhr
Lesedauer: 5 Min
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Von WOLFGANG HETTFLEISCH

Die Teilnehmer kommen aus Südossetien und Abchasien, aus Kurdistan und Darfur. Ihr Turnier soll die Welt lehren, wer diese Menschen sind und warum sie es verdient haben, wahrgenommen zu werden.

Alles ist so, wie es sich gehört für eine Fußball-Weltmeisterschaft. Vor den Spielen erklingen Hymnen, Fahnen flattern im Wind, und wer das Finale am kommenden Sonntag für sich entscheiden wird, erhält natürlich einen Pokal. Es gibt sogar eine Mixed Zone, in der die Spieler den Journalisten Rede und Antwort stehen. Die Absperrung dort ist allerdings kein Hindernis. Eine Schnur verbindet lose ein paar im Halbkreis aufgestellte Stühle. Niemand lässt sich davon aufhalten.

Willkommen beim World Football Cup der Confederation of Independent Football Associations (Conifa) in der Jämtkraft Arena von Östersund. Zwölf Teams spielen in Schweden um den Titel, die beste Auswahlmannschaft der Welt jenseits der FIFA zu sein. Per-Anders Blind, der Conifa-Präsident, spricht von einer „wunderbaren Gelegenheit, die kulturelle Vielfalt zu feiern“. Aber der in den Turniertagen von Östersund dauergestresste schwedische Rentierzüchter hat auch ein pädagogisches Anliegen. Er hofft, „dass wir die Welt ein bisschen lehren können, wer diese Menschen sind und warum sie es verdient haben, wahrgenommen zu werden“.

Das mit der Wahrnehmung klappt trotz prächtigen Wetters in Mittelschweden nur bedingt. Die Tribünen rund um den Kunstrasenplatz sind meist gähnend leer. Nur wenn Sapmi spielt, die Auswahl der über das nördliche Skandinavien und den russischen Nordwesten verstreuten Samen, kommt ein bisschen Stimmung auf. Die Organisatoren sind dennoch guten Mutes. Schließlich ist es das erste Conifa-Turnier. Seit 2006 organisierte der Nouvelle Fédération Board alle zwei Jahre eine WM für Teams, die von der FIFA nicht akzeptiert werden. Doch es gab interne Streitigkeiten, die Organisation zerbrach – und Conifa trat vor zehn Monaten an ihre Stelle.

„Dafür ist das, was wir hier auf die Beine gestellt haben, schon ganz ordentlich“, findet Sascha Düerkop. Der Mathematiker aus Kerpen ist Conifa-Generalsekretär. Die Funktionärskarriere verdankt er seiner Leidenschaft für das Sammeln von Fußballtrikots. Als er die FIFA-Teams abgegrast hatte, kamen die Exoten dran, die vom Spielbetrieb des Fußball-Weltkonzerns ausgeschlossen sind. „Dadurch bin ich in Kontakt mit ungefähr 50 weiteren Verbänden gekommen“, berichtet Düerkop. Nun ist er nach eigener Aussage „der am besten vernetzte Mann im Nicht-FIFA-Fußball“.

Feuerrote Mützen

Die Turnierteilnehmer in Östersund geben ein heterogenes Bild ab. Es gibt Mannschaften aus Südossetien und Abchasien, Gebiete, die sich in blutigen Konflikten von Georgien gelöst haben und nur von Russland und einer Handvoll anderer Staaten anerkannt werden. Es gibt ein Team der Tamilen, die jahrelang versucht hatten, sich auf Sri Lanka mit Waffengewalt ein Staatsgebiet zu erkämpfen. Da ist der Mitfavorit Padania, der lange als Fußball spielende Kolonne der rassistischen Lega Nord in Italien galt. Aber da sind auch die tiefenentspannten Okzitanier, die unisono amüsiert die Köpfe samt der feuerroten Mützen schütteln, wenn man sie fragt, ob sie in Teilen Südfrankreichs die Unabhängigkeit derer ausrufen wollen, die „peng“ und „weng“ sagen, wenn sie Brot und Wein meinen . Und da sind die so freundlichen wie vierschrötigen Kerle von Ellan Vannin, dem Team der Isle of Man, die als autonomer Kronbesitz von Königin Elisabeth eine staatsrechtliche Besonderheit ist und nicht zum Vereinigten Königreich gehört.

Die Mehrheit der Conifa-Mitglieder entscheidet, wer rein darf. So wird vermieden, dass sich etwa verfeindete Nachbarn den Zutritt zum Klub der Fußball-Außenseiter gegenseitig verwehren können. „Wichtig ist uns, dass wir die Menschen repräsentieren. Es geht weniger um Politik“, sagt Sascha Düerkop, aber er weiß auch: „Wir begeben uns grundsätzlich ständig in politisch vermintes Gelände. Das ist unvermeidbar bei dem, was wir tun.“ Für Conifa-Präsident Blind ist der egalitäre Ansatz entscheidend: „Wir richten nicht. Jeder liebt doch Fußball. Es ist der großartigste Sport der Welt. Wir kümmern uns nicht um den politischen Aspekt, so einfach ist das. Wenn andere das trotzdem versuchen, ist das deren Problem, nicht unseres.“

Länder wie Georgien oder Aserbaidschan, wo die Teilnahme eines Teams der abtrünnigen Provinz Bergkarabach am Turnier in Östersund nicht gern gesehen ist, wünschen der Veranstaltung in Schweden alles erdenklich Schlechte. Hingegen steht der Fußball-Weltverband FIFA dem globalen Resteverwerter, der ihr nicht ins Gehege kommt, aufgeschlossen gegenüber. „Die sind völlig einverstanden mit dem, was wir machen“, sagt Düerkop. „Die finden gut, dass wir den Fußball fördern.“

Der beste Beweis dafür, dass Conifa das tut, ist ein weiterer Turnierteilnehmer in Östersund: Darfur United. Die Spieler, deren Familien vor dem staatlich organisierten Massenmord im Südwesten des Sudans flohen, kommen aus den Flüchtlingslagern an der Grenze zum Tschad. Was als Übergang gedacht war, ist für mehr als 300 000 Menschen nun schon mehr als ein Jahrzehnt ein ärmliches Zuhause. „Sie stecken dort fest, im wahrsten Sinn des Wortes“, sagt Darfur-Aktivist Gabriel Stauring, der die Mannschaft nach Schweden begleitet hat.

Die Spieler von Darfur United wurden, nun ja, gecastet. „Wir haben die besten fünf Fußballer aus jedem der zwölf Flüchtlingslager an einen zentralen Ort eingeladen und dann aus diesen 60 die Mannschaft ausgewählt“, erläutert Trainer Mark Hodson, ein in Los Angeles lebender Brite. Das Team, das wie Ellan Vannin per Wild Card ins Turnier befördert wurde, kann mit der Konkurrenz, die sich mindestens auf gehobenem Amateurniveau bewegt,nicht mithalten. Aber Mittelfeldspieler Mahamat Dumar Ignegui lässt sich auch von zweistelligen Niederlagen nicht erschüttern: „So ist Fußball.“ Ihm ist wichtig, „unsere Leute in den Flüchtlingscamps zu repräsentieren, weil sie so viel Leid erfahren“. Dass Darfur United am World Football Cup teilnimmt, mache die Menschen in den Lagern stolz, sagt Ignegui. „Und uns auch.“

Tolerante Sieger

Stolz ist für die meisten Spieler, die am Turnier teilnehmen, eine Triebfeder. „Für mich ist wichtig, für mein Land zu spielen, auch wenn es nicht mehr existiert“, sagt Andreas David. Er lebt in den Niederlanden und läuft für Arameans Suryoye auf. Das Team vertritt eine aramäisch sprechende Gruppe, deren Vorfahren einst im Norden des heutigen Syrien heimisch waren. „Wir haben eine gemeinsame Sprache, sind aber über die halbe Welt verstreut“, erklärt David. „Jetzt haben wir ein Auswahlteam. Und als man mich gefragt hat, ob ich dabei sein will, hab‘ ich sofort zugesagt.“

Die modernen Aramäer sind Christen und dokumentieren das mit einem roten Kreuz auf dem gelben Trikot. Nach ihrem überraschenden 2:1 über Mitfavorit Kurdistan in der Vorrunde spielt das aber keine Rolle. „Ja, wir sind Christen, und darauf sind wir stolz. Aber deshalb habe ich doch nichts gegen die Kurden oder andere Muslime“, sagt Andreas David. Und als Younes Shakhour, der Torschütze der Kurden, nach der Niederlage auf die Frage der Religionszugehörigkeit angesprochen wird, hält er ein Plädoyer für Toleranz: „Ganz ehrlich, ich wusste vorher gar nichts über deren Kultur. Aber wieso sollten wir Hass empfinden? Wir achten alle Menschen.“ Da ist zu viel, das die Spieler eint, die in Östersund um den etwas anderen WM-Titel kämpfen. Sie alle gehören zur Bruderschaft der Heimatlosen des Weltfußballs.

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