Stuttgart. Christian Gross macht nicht den Eindruck, als ob er von der Meinung anderer Leute abhängig wäre. Selbstsicher und ruhig wirkt der Coach, den Fußball-Bundesligist VfB Stuttgart Anfang Dezember als Nachfolger von Markus Babbel holte.
Dennoch dürfte es den 55-Jährigen gefreut haben, was Bundestrainer Joachim Löw Anfang der Woche über die derzeit beste Rückrunden-Elf gesagt hat. «Das ist gut strukturiert, gut organisiert. Das hat man gleich bei den ersten Spielen gesehen», lobte Löw die Handschrift des Schweizers.
Es fällt zurzeit nicht schwer, die Schwaben und damit vor allem Gross positiv zu bewerten. Der Mann mit der kräftigen Statur führte das Team, das unter Babbel im Tabellenkeller dahindümpelte, von Platz 16 wieder nach oben. «Das ist doch alles der Wahnsinn», sagte Sportdirektor Horst Heldt nach dem 2:1-Sieg über Bayer Leverkusen. Kann er es manchmal selbst nicht fassen? Ende des Jahres bangten Heldt und seine Vorstandskollegen noch um den Klassenverbleib, nun hoffen die Schwaben auf einen Platz in der Europa League.
Persönlichkeit, Charakter und ein positives Wesen: Wenn Gross einen Raum betritt, dann strahlt er Autorität aus. Ein Schleifer ist der gebürtige Zürcher, der viel Wert auf Disziplin legt, aber nicht. «Ich bin sehr leistungs- und zielorientiert und sehr direkt. Grauzonen sind mir ein Gräuel», erklärte er bei seinem Einstand. Der Coach habe sich damals gleich ein Bild gemacht und viele Eindrücke vom Leistungsvermögen der Spieler gesammelt, sagt Heldt. «Mit seinen Einschätzungen und Vorstellungen lag er von Anfang an richtig.»
Immerhin war Gross zuvor mit dem FC Basel sechsmal Schweizer Meister und fünfmal Pokalsieger geworden. Der Fußball-Fachmann, der alles dem Erfolg unterordnet, war bei den Eidgenossen zudem neunmal «Trainer des Jahres». Es gehört zu den Stärken des Charakterschädels, dass er schnell erkennt, wer ihm weiterhilft und wer nicht. So hat er Nationalspieler Thomas Hitzlsperger in der Winterpause ziehen lassen. Dafür entwickelte Stürmer Ciprian Marica eine Qualität und Torgefahr, die ihm kaum noch einer zugetraut hatte.
In Stuttgart zeigt Gross erneut, dass er auch mit schwierigen Charakteren umgehen kann. Heißen sie nun Lehmann, Hleb oder Hilbert. «Als Trainer muss man unheimlich wachsam sein», betont er. Das gilt aber auch für seine Spieler. Nachlässigkeiten lässt ihr Chef, der sie stets mit «Sie» anspricht, nicht durchgehen. Das Kumpelhafte von Babbel ist ihm gegenüber Profis fremd. «Die Gedanken dürfen jetzt nicht abschweifen», fordert Gross für die Endphase der Saison. «Sie sollten sich nur zwischen Trainingsgelände und Stadion bewegen.»
Immerhin kann der frühere Mittelfeldspieler noch die beste Rückrunde der Vereinsgeschichte schaffen. Am Freitagabend gastierte Gross mit dem VfB beim abstiegsbedrohten VfL Bochum, für den er zwischen 1980 und 1982 insgesamt 29 Bundesliga-Spiele bestritt. In der kommenden Saison muss der mit einem Vertrag bis Sommer 2011 ausgestattete Gross dann zeigen, dass er auch in der Bundesliga mehr kann, als ein Team kurzfristig in die Erfolgsspur zurückzuführen. (dpa)
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