Fünf Minuten haben dem TV Lilienthal gefehlt, um die ganz große Sensation zu schaffen. Bis zur 55. Minute lieferte das Team von Trainer Remo Hubacher dem haushohen Favoriten UHC Weißenfels einen unfassbar spannenden Kampf. Erst das Tor zum 4:6 entschied die Partie. Am Ende setzte sich der Rekordmeister vor knapp 500 Zuschauern im ersten Finalspiel um die deutsche Floorball-Meisterschaft mit 8:4 (1:2, 2:0, 1:6) durch. Doch die stehenden Ovationen, der begeisternde Applaus, die nicht enden wollenden Sprechchöre – das alles hatten sich die „Wölfe“ verdient.
Die Lilienthaler hatten nämlich genau das geschafft, was im Vorfeld keiner in dieser Form wirklich glauben wollte. Sie hatten dem UHC Paroli geboten. Jenem Klassenprimus, der sämtliche Punktspiele in dieser Saison gewonnen und dabei über 15 Treffer im Schnitt erzielt hatte. Doch am Sonnabendnachmittag war von all dieser Dominanz nicht mehr viel übrig. Besonders nicht, als es in die zweite Pause ging – und die Lilienthaler plötzlich 3:2 führten. Die Halle stand Kopf, die Ostdeutschen rangen um Fassung und die „Wölfe“ spürten: Hier geht was. „Wir hatten sie soweit. So etwas kennt Weißenfels nicht“, sagte TVL-Trainer Remo Hubacher hinterher über diesen Gänsehaut-Moment. Aber der Reihe nach.
Gänsehaut und große Emotionen hatte es an diesem Nachmittag des Öfteren gegeben. Beispielsweise vor dem Spiel, als die Mannschaften einliefen, die deutsche Nationalhymne gespielt wurde und die TVL-Fans schwarz-weiße Pappen hochhielten sowie ein riesiges Banner mit dem Schriftzug „Forza TVL“ ausrollten. Vorwärts TVL. Das war dann auch die Richtung, in die die „Wölfe“ losmarschierten.
Janos Bröker nach 34 Sekunden, André Heißenbüttel kurz danach und schließlich Mark-Oliver Bothe hatten sofort gute Chancen. Die Halle war umgehend da, die Lilienthaler perfekt im Spiel. Selbst eine Zweiminutenstrafe – die einzige übrigens in diesem Finalspiel – gegen Bothe überstanden die Hausherren unbeschadet.
Anssi Soini (11.) und Harri Naumanen (13.) brachten Weißenfels dann aber mit einem Doppelschlag doch in Front. Die Partie schien nun den erwarteten Verlauf zu nehmen. Doch die „Wölfe“ wehrten sich mit allem was sie hatten. Und schafften kurz vor der Pause den so wichtigen Anschlusstreffer. Nach einer tollen Kombination über Tuomas Rautio und Torben Kleinhans stand Petr Waldmann goldrichtig und traf zum 1:2-Pausenstand. Genau diesen Adrenalinschub, diesen Mutmacher hatten die Lilienthaler offenbar gebraucht.
Weißenfels verlor im zweiten Durchgang endgültig die zwischenzeitliche Dominanz. Die Lilienthaler feuerten Schuss über Schuss ab. Bothe, Siljamo, Diaz – alle verzogen. Dann kam der Kapitän. André Heißenbüttel verwertete eine Waldmann-Vorarbeit und verwandelte die Halle in einen Hexenkessel. Doch das war noch nichts im Vergleich zu dem Jubel, der kurze Zeit später aufbrandete. Der überragende Janos Bröker schloss einen Konter zum 3:2 ab. Die „Wölfe“ führten. Die Zuschauer sprangen von ihren Sitzen, hüpften und jubelten vor Begeisterung. Stadionatmosphäre in der Schoofmoorhalle.
Weißenfels blieb im Mitteldrittel am Ende tatsächlich ohne eigenes Tor – man muss lange zurückblicken, um so etwas überhaupt mal zu finden in der Historie. „Es war uns klar, dass es schwer werden würde hier in Lilienthal“, sagte Weißenfels’ finnischer Spielertrainer Harri Naumanen nach der Partie. „Aber dass es derart schwer werden würde, hatten wir ehrlich gesagt nicht erwartet.“ Was Naumanen damit meinte, wurde im Schlussdrittel noch einmal gut deutlich. Matthias Siede drehte mit einem Doppelschlag (43./46.) zwar schnell die Partie, doch die „Wölfe“ ließen sich einfach nicht abschütteln. Janos Bröker gelang nur eine Minute später das erneut lautstark umjubelte 4:4.
Nun wogte das Geschehen hin und her – mit dem besseren Ende für den wankenden Favoriten. Jonas Hoffmann gelang das 5:4 (53.) und traf fünf Minuten vor Schluss zum 6:4. Danach mussten die „Wölfe“ alles riskieren, nahmen den unfassbar stark haltenden Torwart Nils Hallerstede für das Powerplay runter. Doch mit dem Penalty von Martin Gladigau 38 Sekunden vor Spielende war der Traum endgültig vorbei. Das 8:4 von Matthias Siede kurz vor Schluss ging dann bereits unter im ohrenbetäubenden Jubel der Fans. Die hatten sich längst allesamt erhoben, um den Lilienthaler „Wölfen“ ihren Respekt zu zollen. Den Gastgebern war tatsächlich ein Spiel auf Augenhöhe gelungen. Auf dem Niveau des Rekordmeisters, der lange keinen Sieg mehr derart lautstark und euphorisch bejubelte, wie diesen hier in Lilienthal.
Und so paradox es auch klingt: Die größte Leistung der Vereinsgeschichte endete mit einem herben Schuss Wehmut. Remo Hubacher: „Natürlich ist direkt nach dem Spiel jetzt auch ein wenig Enttäuschung dabei. Wir hatten sie soweit. Alle hier haben gesehen, wir hätten sie wirklich schlagen können.“ Dem war nichts mehr hinzuzufügen.
TV Lilienthal: Hallerstede, Fidelak; Bothe, Bröker, Minnermann, Kleinhans, Brinkmann, Gersdorf, Lubes, Rautio, Osmers, Stierle, Appenrodt, Diaz de Armas, Grabau, Heißenbüttel, Siljamo, Waldmann, Heike, Melde
UHC Weißenfels: Schauer, Köstler; Christopher Gruhne, Anssi Soini, Hoffmann, Schlevoigt, Brückner, Gladigau, Naumanen, Böttcher, Händler, Herlt, Käsmä, Trützschler, Bernieck, Siede, Weigelt, Eskelinen
Tore: 0:1 Anssi Soini (11.), 0:2 Harri Naumanen (13.), 1:2 Petr Waldmann (19.), 2:2 André Heißenbüttel (34.), 3:2 Janos Bröker (36.), 3:3 Matthias Siede (43.), 3:4 Matthias Siede (46.), 4:4 Janos Bröker (47.), 4:5 Jonas Hoffmann (53.), 4:6 Jonas Hoffmann (55.), 4:7 Martin Gladigau (60./Penalty), 4:8 Matthias Siede (60.)
Schiedsrichter: Jan Hoffmann und Jörg Heuer
Zuschauer: knapp 500 TD
Herr Heißenbüttel, Stolz oder Enttäuschung – was überwiegt nach diesem fantastischen Spiel?
André Heißenbüttel: Ehrlich gesagt habe ich gerade wirklich eine Träne weggedrückt. Aber nicht aus Enttäuschung, eher wegen des Adrenalins. Ich bin einfach sehr, sehr glücklich, dass wir ausgerechnet in unserem letzten Heimspiel nach dieser starken Saison so eine Leistung abgeliefert haben.
War es das vielleicht beste Spiel, dass der TV Lilienthal jemals gezeigt hat?
Das war es vermutlich wirklich. Wir haben heute so präzise gespielt, so starke Pässe gebracht bei einem derart hohen Tempo. Wenn es überhaupt etwas zu kritisieren gibt, dann ist es die Chancenverwertung. Und trotzdem gehen wir mit einer Führung ins Schlussdrittel, einfach Wahnsinn.
Wie war denn die Stimmung in der Kabine vor dem letzten Spielabschnitt? Haben Sie gespürt, dass Weißenfels am Schwimmen war?
Wir haben zu Beginn des Schlussdrittels ganz bewusst in deren Gesichter geschaut und gesehen, dass die Köpfe unten waren. Da war nicht mehr diese Aggressivität zu sehen. Das war nicht mehr das Weißenfels, was man sonst immer kennt.
Und trotzdem dreht der Gegner das Spiel in der Schlussphase noch…
Tja, das ist dann eben auch Weißenfels. Das ist einfach deren Qualität. Und da haben sie dann ja auch noch richtig schöne Tore herausgespielt.
Sagen Sie noch einen Satz zu dieser Atmosphäre hier heute Abend.
Einfach unglaublich. Wir sind alle voller Adrenalin gewesen und sind es immer noch. Wir waren mit einer solchen Freude heute im Spiel. Das war genau das, wofür man das ganze Jahr gearbeitet hat. Für einen Sportler gibt es nichts, was das toppen kann.
Mehr Fotos unter: facebook.com/sport- redaktion.osterholz
NACHGEFRAGT BEI ANDRÉ HEISSENBÜTTEL
André Heißenbüttel spielt seit 2004 beim TV Lilienthal Floorball und hat den Höhenflug der „Wölfe“ vom ersten Tag an mitgemacht. Der langjährige Kapitän ist 25 Jahre alt und studierter Betriebswirt. Im Finale erzielte er den 2:2-Ausgleich.
FOTO/HAS
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