
Gunter Gebauer: Die leeren Ränge haben eindeutig Einfluss auf den Fußball, der in den Stadien gespielt wird. Es geht nun viel stärker um das reine Spiel, die Theatralik oder das massenwirksame Jubeln sind weitgehend verschwunden. Es gibt auch kaum noch emotionalen Protest, weil es dafür keine Resonanz mehr von einem großen Publikum gibt. Ohne Fans müssen sich die Spieler nun auf dem Platz selber um alles kümmern, können es aber kaum schaffen, mal eine große Erregung im Spiel auszulösen. Die Partien sind dadurch nüchterner geworden, das Schauspiel und das Drama, das sonst wie selbstverständlich dazu gehörte, kommen fast gar nicht mehr vor. Für Leute, die Spektakel sehen wollen, sind die Geisterspiele weniger attraktiv.
In den vollen Stadien waren die Schiedsrichter oft der Buhmann, sie hatten schnell mal 30.000 wütende Menschen gegen sich. Sind sie die heimlichen Gewinner der Geisterspiele?Das kann man so sehen, weil der Schiedsrichter jetzt nicht mehr der Zielpunkt einer Massen-Aggression ist. Er muss sich nicht mehr dreimal überlegen, ob er eine Karte zückt. Die Schiedsrichter können sich viel mehr Geltung verschaffen, weil die Spieler nicht mehr das laute Publikum im Rücken haben. Nach Fouls müssen sich die „Sünder“ sofort stellen, und mir gefällt, dass viele Schiedsrichter das nutzen, um mit Worten mäßigend einzuwirken. Früher haben die Unparteiischen in den Stadien ihr eigenes Wort nicht verstehen können, weil der Lärm zu groß war. Jetzt sieht man, dass auf dem Platz wieder richtig miteinander gesprochen wird, und das hat natürlich großen Einfluss auf die Spiele.
Ohne die Fans gibt es deutlich weniger Heimsiege in der Bundesliga. Gewinnt ohne Zuschauer in der Regel einfach die bessere Mannschaft?Das würde ich inzwischen mit einem Ja beantworten. Es war eine viel diskutierte Frage im Fußball, wie stark der Einfluss des heimischen Publikums auf den Erfolg einer Mannschaft ist. Ich finde, diese Frage ist nun entschieden.
Zuletzt trugen Leipzig oder Liverpool ihre Heimpartien der Champions League in Budapest aus, um die Vorgaben der Gesundheitsbehörden zu umgehen. Was überrascht Sie mehr: Wie rigoros der Profifußball das durchzieht, oder wie wenig Widerstand es dagegen gibt?Eigentlich überrascht mich beides. Ich bin durchaus beeindruckt von der Strenge, mit der die Hygienekonzepte umgesetzt werden, da hätte ich mit weniger Disziplin gerechnet. Dass Spiele nun immer wieder in Ungarn ausgetragen werden, ist im Grunde der reine Notstand. In der Champions League geht es um so viel Geld, dass die Mannschaften unbedingt antreten wollen. Mit jeder weiteren Runde vervielfacht sich der Gewinn. Jedem sollte bewusst sein, dass Heimspiele in Budapest mit einem extrem hohen Inzidenzwert eine klare Entscheidung zugunsten des Geldverdienens sind.
Eine Europameisterschaft in zwölf Ländern dürfte so ziemlich die unpassendste Idee in einer Pandemie sein. 2020 wurde sie deshalb abgesagt, in diesem Sommer wird sie nun gespielt – verwundert Sie das?
Ich bin nicht sicher, dass diese Europameisterschaft im Juni wirklich so durchgezogen wird. Bis dahin kann in der Pandemie noch viel passieren. Ich fand dieses Turnier-Konzept schon immer übertrieben. Es ist in evidenter Weise aufs Geldverdienen ausgerichtet. Es ist doch absurd, so eine wahnsinnige Reiserei durch zwölf Länder zu veranstalten. An die Fans, die kreuz und quer reisen müssten, hatte schon vor der Pandemie keiner gedacht. Dieses Turnier war ein Prestige-Projekt des damaligen Uefa-Präsidenten Michel Platini, der offenkundig Größenphantasien hatte. Ich könnte mir vorstellen, dass man die Europameisterschaft in den nächsten Wochen auf deutlich weniger Spielorte reduziert. Ich sehe ich noch nicht, dass Nationalmannschaften kreuz und quer durch Europa reisen. Wenn doch, fände ich das wirklich absurd. Dass Uefa-Chef Ceferin von den Veranstaltern fordert, sie müssten ein Publikum zulassen, zeigt den Realitätsverlust der Fußball-Funktionäre.
Zum Selbstverständnis der Fußballfans gehört es, dazu zu gehören. Gilt das in dieser Krise noch? Oder lernen die Fans gerade, dass sie im modernen Fußball eher zahlende Konsumenten sind?Ich glaube nicht, dass die Fans ihre Rolle so stark hinterfragen. Sie haben schon noch das Gefühl, wichtig zu sein. Man braucht sie auch, wie in einem Theater, als Chor der Begeisterten. Ohne die Fans würde dem Profifußball jede Begeisterung fehlen. Es ist für echte Fans frustrierend, dass sie ihre Mannschaft nur durch symbolische Akte unterstützen können. Hier ein Like, dort ein gepostetes Foto, viel mehr geht nicht. Nach einem Jahr mit Geisterspielen gibt es die Fanklubs aber immer noch, die Treue zum Verein ist offenbar sehr, sehr belastbar.
Wird es nach der Pandemie also schnell wieder volle Stadien geben, bleibt die befürchtete Entfremdung aus?Ganz einfach wird es nicht, es wird anfangs auch nur Kartenkontingente geben, es werden nicht sofort alle Zuschauerplätze freigegeben. Ob später wieder das ganz große Publikum in die Arenen strömt, ist nicht selbstverständlich. Ich bin eher skeptisch. Die Fußballbegeisterung hat zuletzt sehr gelitten. Der Fußball hatte vor der Pandemie einen enorm hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft, er konnte sich im Grunde alles erlauben. Die Bundesliga fühlte sich fast schon als Repräsentator der Bundesrepublik. Die Manager hielten sich für unangreifbar und haben sich eine Menge herausgenommen. Es kann gut sein, dass es nun lange dauert, bis dieser Status wieder errungen wird – wenn er überhaupt jemals wieder erreicht werden kann.
Um weniger Angriffsfläche zu bieten, will der Profifußball künftig demütiger und nachhaltiger agieren, sagte Ligachef Christian Seifert. Glauben Sie daran?Demut ist ein großes Wort, und das ist durch manche Äußerungen von Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge zuletzt ins Karikaturale gezogen wurde. Bei den ganz großen Mannschaften kann man von Demut wirklich nicht reden, da wird nur von Demut gefaselt. Man muss aber differenzieren: Die meisten Fußballmanager haben begriffen, dass die Trauben durch die Corona-Krise nun sehr hoch hängen, nur den FC Bayern trifft das nicht so stark, weil der Verein ein großes finanzielles Polster hat. Andere Vereine haben hohe Verbindlichkeiten und immer noch zu hohe Spielergehälter, so dass man sich fragen muss, wie lange das gutgehen soll. Da wird sich einiges tun müssen.
Verlieren die Spieler in der Pandemie an Macht, weil ihre Gehaltswünsche von vielen Vereinen nicht mehr erfüllt werden?Die Spieler verlieren sogar sehr an Macht. Sie sind aus der Rolle der Wunderknaben rausgefallen. Die besten Spieler konnten immer vorgeben, tolle Angebote der Konkurrenz zu haben. Das nimmt ihnen jetzt niemand mehr ab. Ich habe aber den Eindruck, dass nicht alle Spieler begriffen haben, dass Sie jetzt die schwächsten Glieder in der Kette sind. Die Zukunft vieler Vereine ist ungewiss. Früher wurden Spieler schon weggelockt, wenn sie nur halbwegs gut spielen konnten. Diesen Markt gibt es nur noch für die allerbesten Profis. Die anderen können nicht mehr damit rechnen, bessere Angebote zu bekommen. Viele Spieler sind das aber gewohnt, manche schon seit dem 14. Lebensjahr. Diese Zeiten sind nun endgültig vorbei.
Nach der Fußball-EM stehen die Olympischen Spiele in Tokio an. IOC-Präsident Thomas Bach kündigte an, ein Großteil der Athleten werde geimpft antreten. Ist das zu rechtfertigen, wenn weltweit Menschen auf eine Impfung warten, auch in Deutschland?
In erster Linie ist das ein egozentrischer Akt von Herrn Bach, der seine eigene Organisation als geradezu menschheitsbewahrend ansieht. Ihm geht es nur darum, die Spiele zu retten. Die Japaner lassen die ausländischen Sportler ohne Impfung vielleicht gar nichts ins Land, die sind sehr rigoros, mindestens wird es negative Tests geben müssen. Inzwischen sind 80 Prozent der Japaner gegen die Olympischen Spiele in ihrem Land. Das ist bemerkenswert, denn die Japaner waren sehr stolz, diese Spiele bekommen zu haben und sind sehr gute Gastgeber. Aber jetzt sehen sie nicht mehr die Bedeutung dieser Spiele. Sie sehen die zusätzliche Bedrohung durch das Virus. Und sie haben sehr viel Geld verloren, Japan hat enorm in diese Spiele investiert, auch das lässt die Stimmung nun kippen. Bei Bach ist es anders, er will das Event retten. Die Olympischen Spiele sind nur während der Weltkriege ausgefallen. Sonst fanden sie immer statt - selbst nach dem Attentat in München 1972 wurden sie fortgesetzt. Die Mitglieder des IOC betrachten das als große Qualität. Man könnte auch sagen, ihnen fehlt die Menschlichkeit. Andererseits wäre es für die Athleten natürlich bitter, wenn die Spiele ausfallen würden. Sie haben viele Jahre darauf hingearbeitet, da würden teilweise Lebensplanungen über den Haufen geworfen.
Bach stellte für die Spiele chinesischen Impfstoff in Aussicht, kostenfrei. Was steckt dahinter?China würde sich natürlich gerne als Impfstoffgeber für die Welt positionieren. Wenn man 1,3 Milliarden Einwohner hat, kann man nebenbei mal zehntausende Impfdosen für Athleten und Betreuer der Spiele abzweigen. Auf diese Missionarsgeste muss man nicht hereinfallen.
Warum gibt es kaum eine öffentliche Empörung wegen geimpfter Athleten?Zum einen, weil die deutsche Mannschaft schon gesagt hat, dass sie nicht prioritär geimpft werden will. Außerdem ist der chinesische Impfstoff in Europa nicht zugelassen. Deshalb läuft Bachs Ankündigung hierzulande völlig ins Leere. Man sieht an diesem Beispiel aber, wie taktisch schlau Bach operiert: Sein Handeln bezieht sich vor allem auf die afrikanischen Länder, die derzeit nicht an Impfstoffe herankommen. Dieses Impfangebot ist eine publikumswirksame Aktion ersten Ranges, von Peking und vom IOC. Herr Bach wird nicht müde werden, das zu preisen. Er will die Spiele und er braucht die Afrikaner, damit er sagen kann: Alle Kontinente sind vertreten. Bach hat die Vorteile für sich und seine Bewegung sofort erkannt – und zugegriffen. Man kann nichts gegen den Wunsch der Athleten sagen, eine Medaille für ihr Land gewinnen zu wollen. Man kann aber die fein gesponnene Logik hinter dieser Aktion hinterfragen.
Wie sehen Sie die Situation der Millionen Hobby-Athleten, die seit Monaten daheim bleiben müssen: Werden die sich vom Sport entfremden, wird die jüngere Generation erst gar nicht mit Sport anfangen?Wer es gewohnt war, im Verein Sport zu treiben, wird erleichtert wieder loslegen. Das ist ja auch Teil des sozialen Lebens, und das fehlt den Menschen. Anders sieht es beim Kinder- und Jugendsport aus, der so enorm wichtig ist. Dass den Kindern der Sport genommen wurde, war ein Ding der Unmöglichkeit. Es lag natürlich auch daran, dass es keine genauen Erkenntnisse darüber gab, wie infektiös Kinder sind. Es ist wichtig, dass die ersten Kinder jetzt wieder draußen Sport machen können. Aber was ist mit den Kindern, die mit Sport noch nicht angefangen hatten? Unter den jetzigen Bedingungen wird es schwierig sein, diese Kinder für die Sportvereine zu begeistern. Da ist etwas für mehr als ein Jahr unterbrochen worden, das nicht so einfach wieder hochzufahren ist.
Professor Gunter Gebauer (77) ist Sportsoziologe und Philosoph, er wirkte viele Jahre an der Freien Universität Berlin. 2012 wurde er emeritiert. Gebauer lebt in seiner Heimatstadt Kiel.
Die Fußball-Europameisterschaft sollte ursprünglich ebenso wie die Olympischen Spiele im Sommer 2020 stattfinden. Wegen der Pandemie wurde beide Großveranstaltungen um ein Jahr verschoben. Die EM (offizieller Name: EURO 2020) soll nun vom 11. Juni bis zum 11. Juli gespielt werden, in zwölf verschiedenen Ländern mit je einem Spielort. Deutschland ist mit der Arena in München vertreten, wo die Mannschaft von Joachim Löw ihre drei Gruppenspiele austragen darf und wo auch ein Viertelfinale stattfinden soll. Die weiteren Länder sind Italien, Aserbaidschan, Russland, Ungarn, Rumänien, Niederlande, Schottland, Spanien, Irland, Dänemark und England, wo das Finale ausgetragen wird. Uefa-Chef Aleksander Ceferin drohte den Gastgeber-Ländern in dieser Woche mit dem Entzug ihrer Spiele, wenn sie die Zulassung von Zuschauern in den Stadien nicht garantieren.
Die Olympischen Spiele in Japan sollen vom 23. Juli bis zum 8. August im Großraum Tokio nachgeholt werden. Hier sollen keine ausländischen Zuschauer erlaubt werden, es läuft auf ein rein japanischen Publikum an den Sportstätten hinaus.
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